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"Die Ekstase der Heiligen Teresa"
Der Bildhauer Gian Lorenzo Bernini und sein Teresa-Altar

Zu sinnlich, zu zweideutig - so reagierten viele Zeitgenossen vor rund 370 Jahren auf den Teresa-Altar des Bildhauers Gian Lorenzo Bernini. Er zeigt eine entrückte, verzückte Teresa von Ávila. Eine Heilige in Ekstase. Das Meisterwerk fasst in einer Szene zusammen, wovon die Heilige in ihrem Selbstbekenntnis berichtet. Ein Altar als Kulminationspunkt mystischen Denken und Erlebens.

Von Astrid Nettling |
    Die Aufnahme zeigt Berninis Skulptur "Die Entrückung der Heiligen Theresa" in Santa Maria della Vittoria in Rom, aufgenommen 2001.
    Die Aufnahme zeigt Berninis Skulptur "Die Entrückung der Heiligen Theresa" in Santa Maria della Vittoria in Rom, aufgenommen 2001. (dpa / picture alliance / APA Publication)
    Das Gewand des Engels ist noch ganz aufgewühlt. Vom Flugwind. Er ist gerade erst an Teresas Seite getreten. Der dünne Stoff seines Gewandes umfließt seinen Körper in kräuselnden Wellen. Daraus heben sich Brust und Schulter hervor. Makellos glatt. Wie auch sein rechter, weit zur Seite ausholender Arm. Seine rechte Hand hält einen goldenen Pfeil. Mit Fingerspitzen bloß. Die linke Hand des Engels lüpft das Gewand der Heiligen. Behutsam. In Höhe ihres Herzens.
    Gian Lorenzo Bernini, der legendäre Bildhauer des Barock, hat diese berühmte Figurengruppe aus weißem Carrara-Marmor geschaffen. Sie trägt den Titel: "Die Ekstase der Heiligen Teresa". Mitte des 17. Jahrhunderts ist sie für die Cornaro-Kapelle in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom entstanden. Es ist die Darstellung einer Vision, die Teresa von Ávila, die spanische Karmelitin und Mystikerin, in ihrem "Libro de la vida" – dem Buch ihres Lebens – beschrieben hat.
    Teresa von Ávila:
    "Einen Engel sah ich neben mir, an meiner linken Seite, und zwar in leiblicher Gestalt. Er war nicht groß, eher klein, sehr schön und mit einem leuchtenden Antlitz. In seiner Hand sah ich einen langen goldenen Pfeil, und an der Spitze dieses Eisens schien ein wenig Feuer zu züngeln. Mir war, als stieße er es mir einige Male ins Herz und als würde es mir bis in die Eingeweide vordringen."
    Die Kirche Santa Maria della Vittoria wurde Anfang des 17. Jahrhunderts für den Reformorden der "Unbeschuhten Karmeliten" erbaut. 1647 erwarb der venezianische Kardinal Federico Cornaro das Patronat über das linke, noch leere Querhaus, um dort eine Grabkapelle für sich und seine Familie ausgestalten zu lassen. Der Kunsthistoriker Charles Avery:
    "Zu jener Zeit war Teresa von Avila eine wichtige Figur der katholischen Kirche. Sie hatte einen Reformorden gegründet, der bei ihrem Tode 1582 sechzehn von ihr gegründete Klöster in Spanien umfaßte. Nach Jahren strenger Prüfung ihrer Visionen war sie 1614 selig gesprochen und 1622 von Papst Gregor XV. als Heilige kanonisiert worden."
    Ermattet ist sie auf einer Wolke hingesunken, die sie gen Himmel zu tragen scheint. Das schwere Gewand lastet in dichten Falten auf ihrem Körper. Er wirkt wie erdrückt von der Macht des Geschehens und in eine andere Sphäre entrückt. Kraft- und willenlos hängen die linke Hand und der entblößte linke Fuß der Heiligen in einem leeren Nirgendwo. Ihr Kopf ist zurückgeworfen. Die Lider sind wie in Trance halb geschlossen, ihre Lippen haben sich zu einem Stöhnen geöffnet.
    Als Bernini 1651 die Cornaro-Kapelle mit dem Teresa-Altar der Öffentlichkeit übergab, schwankte die Resonanz zwischen Bewunderung und Ablehnung. Zu sinnlich, zu zweideutig erschien vielen die Darstellung der Ekstase der Heiligen.
    Mystikerin Teresa von Avila 
    Zeitgenössische Darstellung der katholischen Karmeliterin und Mystikerin Teresa von Avila, genannt Theresia die Große. (picture alliance / dpa / Foto: efe)
    Dabei hatte der Bildhauer lediglich die Worte der Mystikerin so genau wie möglich in Marmor übersetzt:
    Teresa von Ávila:
    "Als der Engel den Pfeil herauszog, dachte ich, er zöge auch mein Innerstes heraus und ließe mich ganz entflammt mit einer großen Liebe zu Gott zurück. Der Schmerz war so scharf, dass ich mehrmals ein Stöhnen ausstieß; und so überwältigend war die Süße, die jener scharfe Schmerz hervorrief, dass man sie nie wieder verlieren möchte. Es ist dies kein leiblicher, sondern ein geistiger Schmerz, auch wenn der Leib Anteil daran hat, und sogar ziemlich viel."
    Dazu Ulrich Dobhan, Theologe und Mitübersetzer der Werke Teresa von Ávilas:
    "Bei allen Deutungsversuchen, die es gegeben hat, zeigen die somatischen Aspekte der religiösen Ekstase, wie sie Teresa unter Rückgriff auf ihre eigenen Erfahrungen beschreibt, wie ganzheitlich sie in ihrem religiösen Erleben war. Trotz aller neuplatonischen Einflüsse und allen zeitbedingten Misstrauens gegenüber körperlichen Bedürfnissen, das man bei ihr sehr wohl auch findet."
    Der Leib als natürlicher Horizont religiöser Erfahrung
    In der Ganzheitlichkeit ihres religiösen Erlebens weicht Teresa von der wirkmächtigen Tradition des Neuplatonismus ab. Diese lehrte einen mit der Abwertung alles Leiblichen verbundenen, strikten Dualismus von Leib und Seele. Für sie hingegen bildet der Leib den natürlichen, wenn auch begrenzten Horizont religiöser Erfahrung.
    Teresa von Ávila:
    "Wir sind keine Engel, sondern haben einen Leib. Uns zu Engeln aufschwingen zu wollen, während wir noch hier auf Erden leben, ist Unsinn, vielmehr braucht das Denken im Normalfall etwas, was ihm Halt gibt. – Dass die Seele manchmal außer sich geraten oder so sehr von Gott erfüllt sein mag, dass sie nichts braucht, um sich zu halten, ist nicht der Normalfall."
    Auch für die Mystikerin bleibt dies ein Geheimnis – was Bernini in der Cornaro-Kapelle mit barocker Bild- und Gestaltungskraft genial umzusetzen wusste.
    Gleißendes Licht, das geradewegs dem Himmel zu entströmen scheint, übergießt die Heilige und den Engel. Ein Fenster in der Kuppel der Kapelle – für den Betrachter unsichtbar – lässt natürliches Licht herein, das im Inneren des Altarbereichs in goldenen Strahlenbündeln auf die beiden hinunterströmt. Nur der Altarraum wird von diesem Licht erfüllt und in eine Sphäre der Erleuchtung verwandelt.
    Teresa von Ávila:
    "Was ich in diesem Zustand merke, ist, dass die Seele für die Dinge Gottes niemals von so viel Licht und Erkenntnis Seiner Majestät erfüllt war. Das mag unmöglich erscheinen, denn wenn die Seelenvermögen so hingerissen sind und die Sinne genauso, wie soll man dann verstehen können, dass sie dieses Geheimnis versteht? Das weiß ich auch nicht, vielleicht weiß das nur der Schöpfer selbst."
    Auch der Engel an ihrer Seite weiß es. Dies scheint das komplizenhafte Lächeln zu bezeugen, mit dem sein von Locken umspieltes, liebliches Gesicht auf Teresa blickt. Während sie selbst tief in das Geheimnis des Allerhöchsten versunken ist.
    Ein gläubiger Christ war auch der 1598 geborene Gian Lorenzo Bernini. Er unterstützte die Gegenreformation und stand dem Jesuitenorden nah. Der 1534 von Ignatius von Loyola gegründete Orden zählt ebenso wie der Orden der "Unbeschuhten Karmeliten" zu den Reformorden, die im 16. Jahrhundert im Zuge der katholischen Erneuerungsbewegung in Spanien entstanden sind.
    1560 hatte Teresa von Ávila damit begonnen, eine Reform des Karmelitenordens in die Wege zu leiten. Er sollte zu seiner ursprünglichen, kontemplativen Lebensweise zurückkehren. Jahrelange interne Streitigkeiten führten schließlich zu einer Neugründung innerhalb des Ordens. Ulrich Dobhan:
    "Was hat sie dazu bewogen? Das allgemeine Reformklima. Teresas Unzufriedenheit im Karmelitinnenkloster Encarnación in Ávila. Der Aspekt der Rückführung ihrer Lebensweise auf die frühere, strengere Observanz. Viele Gottsucher und Gottsucherinnen hatten ihres Erachtens völlig falsche Vorstellungen von dem, worauf es im geistlichen Leben wirklich ankommt."
    Teresa von Ávila:
    "Es besteht nicht in der größten Wonne, sondern in der größten Entschlossenheit."
    Wahres geistliches Leben bedeutet für Teresa, den steinigen Weg einer "vita contemplativa" einzuschlagen, eines der Betrachtung des Allerhöchsten geweihten Lebens. Ein solcher Weg aber beginnt mit nüchterner Selbsterkenntnis.
    Mystik kommt von: "die Augen schließen"
    Darüber waren sich die Lehrer kontemplativen Lebens stets einig. Bereits im 12. Jahrhundert hatte Richard von St. Viktor ein regelrechtes System mystischer Erhebung entworfen. Der Frühscholastiker schreibt:
    "Der Geist, der nicht in der Erkenntnis seiner selbst lange geübt und ganz erzogen ist, wird zur Erkenntnis Gottes nicht emporgehoben. Vergebens erhebt er das Auge des Herzens zum Schauen Gottes, wenn er noch nicht fähig ist, sich selbst zu schauen. Zuerst lerne der Mensch, sein Unsichtbares zu erkennen, bevor er sich unterfange, das Unsichtbare Gottes erfassen zu wollen."
    Das Wort 'Mystik' leitet sich ab vom griechischen Verb "myō" – "die Augen schließen". Denn erst wenn die Augen des Leibes geschlossen sind, das heißt sich gegenüber dem verschlossen haben, wovon das menschliche Wahrnehmen, Fühlen und Denken gewöhnlich bestimmt wird, können sich die Augen des Geistes öffnen.
    Und erst dann vermag sich die menschliche Seele vom Erkenntnisdunkel hin zum Licht wahrer Erkenntnis zu wenden. Schon Platon hatte von einer solchen "Umwendung der ganzen Seele" gesprochen:
    "Man muss die Seele – ganz ähnlich wie das Auge aus dem Dunklen nach dem Hellen – nach der anderen Seite umwenden, bis sie fähig geworden ist, die Betrachtung des Hellsten auszuhalten."
    Jenes Licht erschauen
    Ganz in diesem Sinne heißt es bei dem spätantiken Philosophen Plotin, einem der wichtigsten Vertreter des Neuplatonismus, der letzten Gestalt griechischer Philosophie:
    "Die Seele ist, wenn sie unerleuchtet ist, gottlos, ist sie aber erleuchtet, so hat sie, was sie suchte. Und das ist das wahre Endziel für die Seele: Jenes Licht zu erschauen."
    Ein solcher Erkenntnisweg aber erfordert ausdauernde geistige Übung sowie eine Ausrichtung des ganzen Lebens auf dieses Ziel. Der Philosoph und Historiker Pierre Hadot:
    "Das Christentum hat sich schon in den ersten Jahrhunderten das Erbe der antiken Philosophie zunutze gemacht. Es darf uns nicht wundern, dass wir die in der griechischen Philosophie traditionellen geistigen Übungen wiederfinden."
    Dabei wurden aus den geistigen Übungen der Philosophen die geistlichen Übungen der Gottsucher, die sie nun auf der Basis christlicher Wahrheits- und Glaubensgewissheiten entwickelten. "Exercitia spiritualis" hat Loyola sie genannt.
    Auch die Schriften Teresas stellen Unterweisungen dar, die Seele zu läutern, sie für Gott bereit zu machen, um zur Schau des Allerhöchsten zu gelangen. "Das Buch meines Lebens", "Weg der Vollkommenheit" oder "Wohnungen der inneren Burg" sind drei ihrer wichtigsten Schriften.
    Teresa von Ávila:
    "Es kommt vor, dass eine Seele ganz wachen Sinnes plötzlich eine Aufhebung überkommt, in der der Herr ihr große Geheimnisse zu verstehen gibt, die sie, wie ihr scheint, in Gott selbst sieht. Obwohl ich von "Sehen" spreche, sieht sie nichts, denn es ist dies eine rein intellektuelle Schau, wo sich ihr enthüllt, wie in Gott alle Dinge geschaut werden."
    Diese höchste Stufe der Erkenntnis hatte Plotin das "Einswerden mit Gott" genannt. Im Sinne antiker Gottesauffassung bezeichnete es das Einswerden mit einem höchsten "Einen" als dem Ursprung und Ziel alles Seienden. Von "Einung mit Gott" spricht die christliche Mystik. Der Philosoph und Mystik-Forscher Alois Maria Haas:
    "Dieser schwer beschreibbare Zustand ist kaum noch Schau, sondern Verzückung, Hingabe seiner selbst, Ruhe. Die Einigung vollzieht sich als plötzlicher Aufschwung und als Entrückt-Werden zur "Einung" mit demjenigen, der "alles Sein und Erkennen übersteigt"."
    Schrankenlose Hingabe spricht aus ihren Zügen. Alle Anstrengung ist von ihr gewichen. In völliger Stille und Zurückgezogenheit hat sich das Wunder der "Einung mit Gott", der "unio mystica", vollzogen.
    Eine anonyme Quelle:
    "Ich habe den Mund meiner Seele geöffnet und deinen göttlichen Atem eingesogen."
    Scheinen ihre wortlos geöffneten Lippen besagen zu wollen. Dem Licht zugekehrt, das von oben auf sie herabfließt, hat ihr Mund die himmlischen Strahlen weit in ihre Seele einströmen lassen.
    Bernini hat den nicht zu betretenden Altarraum mit der Figurengruppe des Engels und der Heiligen deutlich vom begehbaren Innenraum der Kapelle abgetrennt. Geheimnisvoll bleibt die Entrückung Teresas damit ebenso für den Betrachter.
    Während der Engel und Teresa aus leuchtend weißem Marmor geschaffen sind, ist die Kapelle üppig mit vielfarbigem Marmor ausgekleidet. Zwei Logen zur rechten und zur linken Seite des Altars verwandeln sie in eine Art Theaterraum. In diesen sogenannten Stifterlogen hat Bernini jeweils vier Kardinäle der Cornaro-Familie in Marmor verewigt – unter ihnen auch den Stifter selbst.
    Einer bloß schaut zum Altar. Ganz vorn in der rechten Loge verharrt er in distanzierter Betrachtung - seine Hände auf der Balkonbrüstung übereinandergelegt. Die anderen Kardinäle wenden sich vom Altar ab und gestikulieren lebhaft - in Gespräche vertieft. Bis auf einen: Der hat links vorne auf der Logenbrüstung ein Buch aufgeschlagen. Mit dem Finger folgt er angestrengt seinen Zeilen.
    Was er liest? Vielleicht ist es eine theologische Abhandlung, vielleicht aber auch das "Libro de la Vida", vielleicht jener Abschnitt aus Kapitel 29, in dem Teresa ihre Engel-Vision schildert.
    1575 war ihr Buch auf Anfrage des obersten Inquisitionsgerichts in Toledo einer strengen Prüfung unterzogen worden. Das Gutachten des Dominikaners und Theologen Domingo Báñez fiel positiv aus. Trotz der üblichen Vorbehalte eines "letrado", eines Studierten gegenüber den "espirituales", den Spirituellen.
    Domingo Báñez:
    "Nur gibt es eines, was man beanstanden könnte, und zwar mit Recht. Es enthält nämlich viele Offenbarungen und Visionen, die immer sehr bedenklich sind. Man soll Offenbarungen und Visionen für Menschen, die nach Vollkommenheit streben, als gefährliche Prüfungen betrachten. Denn der Satan hat die Gewohnheit, sich in einen Engel des Lichts zu verwandeln."
    Dazu der Teresa-von-Ávila-Biograph Alois Prinz:
    "Es herrschte ein regelrechter Krieg zwischen den Spirituellen und den Theologen. Die Spirituellen stritten rundweg ab, dass man Gott mit dem Verstand und mit Begriffen erfassen könnte. Theologen waren für sie Männer, die sich hinter ihren Büchern verschanzten. Umgekehrt warfen die Studierten den Spirituellen vor, ihre geistigen Höhenflüge mit der Stimme Gottes zu verwechseln und die Tradition zu missachten."
    Intimität mystischer Gottesschau
    Als Bernini die Cornaro-Kapelle mit dem Teresa-Altar schuf, war die spanische Karmelitin fast 30 Jahre nach ihrer Heiligsprechung allerdings auch im Rom längst 'altarwürdig' geworden.
    Umso erstaunlicher, dass in den beiden Logen nichts von Andacht und Hinwendung zu sehen ist. Keine Hand, kein Arm weisen über die Brüstung hinaus und nehmen Bezug auf das Altargeschehen. Die lebhafte Unterhaltung der weltläufigen Kardinäle vollzieht sich ganz im Binnenraum der Logen, ebenso wie die distanzierte Betrachtung des einen oder die akribische Lektüre des anderen.
    Augenfälliger und auch provokanter hätte Bernini den Kontrast kaum verdeutlichen können – den Kontrast zwischen der Intimität mystischer Gottesschau einerseits und einer durch die Theologie sanktionierten und durch die Kirche und deren weltliche Vertreter, die Kardinäle, repräsentierten Religiosität andererseits. Der Kunsthistoriker Hans Kauffmann:
    "Die Cornaro-Herren sind in einer abgegrenzten Räumlichkeit geborgen. Während in Teresa die für Bernini konstitutiven Ausdruckswerte angelegt sind: die Versunkenheit, die Stille und die Vereinsamung einer auf sich selbst zurückgeworfenen Seele."
    Darin manifestiert sich über den gegenreformatorischen Geist seiner Zeit hinaus das Bekenntnis des Künstlers zu einer existentiellen Grenzerfahrung, die mit bloßen Verstandesbegriffen nicht zu begreifen ist. Denn im Wort 'Mystik' steckt nicht bloß das Verb "myō" – "die Augen schließen", sondern ebenso das Adjektiv "mystikos" – "mit den Geheimnissen verbunden". Der Theologe Ulrich Dobhan:
    "Die mystische Erfahrung formt den Menschen zu einem neuen Dasein um. Sie lässt sich in herkömmlicher Sprache gar nicht ausdrücken, und dennoch kann der Mystiker auch nicht darüber schweigen."
    Und noch in der Moderne wird der Philosoph Ludwig Wittgenstein, als er in seinem "Tractatus logico-philosophicus" versucht, die Grenzen des Sagbaren aufzuzeigen, zu dem Schluss kommen:
    "Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische."
    Wer wüsste das nicht besser als die Mystikerin selbst. In ihren Schriften betont sie immer wieder:
    Teresa von Ávila:
    "Das möge aussprechen, wer kann. Man kann es nicht einmal begreifen, geschweige denn aussprechen. Ich kann nur sagen, dass es sich ihr so darstellt, dass sie mit Gott zusammen ist, und es bleibt eine solche Gewissheit zurück, dass man gar nicht anders kann, als das zu glauben."
    Den Glanz solcher Gewissheit hat Gian Lorenzo Bernini über die Gestalt seiner Heiligen ausgebreitet. Den Glanz "seliger Innigkeit", der sich dem Betrachter als leuchtender Abglanz auf ihrem Gesicht offenbart.
    Der Leib ist von den schweren Schichten ihres Gewands bedeckt, doch ihre Seele bietet sich in völliger Entblößtheit den Blicken der Welt dar.
    Für viele seiner Zeitgenossen war dies schon zu viel an Enthüllung, die weit über die Grenzen des Erlaubten hinausging. Doch darin wusste sich der Bildhauer, der stets ein Exemplar der "Exercitia spiritualis" mit sich geführt haben soll, mit der Mystikerin eng verbunden. So hat Bernini in seinem Tagebuch notiert:
    "Wer nicht manchmal die Regeln durchbricht, wird nie über sie hinauskommen."