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Die Elfenbeinmafia des Barocks

Elfenbein ist ein schönes Material mit der Aura des Schrecklichen. Zigtausend Elefanten werden Jahr für Jahr in Afrika von Wilderern getötet, weil die Stoßzähne viel Geld einbringen. Als Schnitzmaterial war Elfenbein schon in der Barockzeit begehrt.

Von Thomas Migge |
    Das sich wild aufbäumende Pferd springt in das Loch. Pferd und Reiter sind in genau jenem Moment dargestellt, in dem das Tier mit seinen Hinterhufen noch das Erdreich berührt, aber die vorderen Hufe bereits in der Luft sind. Der Reiter in wehendem Gewand und das Pferd mit seinem muskulös-kräftigen Körper sind ungemein realitätsnah dargestellt.

    Die Szene zeigt den römischen Soldaten Marcus Curtius, der der antiken Sage nach sich und sein Pferd durch einen Sprung in einen Erdspalt opfert, um damit die Götter zu versöhnen. Ein namentlich nicht bekannter Elfenbeinkünstler, der in der Kunstgeschichtsforschung als "Maestro delle furie" ein Begriff ist, schuf dieses darstellerisch äußerst raffinierte Kunstwerk. Es ist nur knapp 50 Mal 50 Zentimeter groß. Geschaffen wurde es um 1625. Es ist sicherlich eines der eindrucksvollsten Ausstellungsstücke, die im Florentiner Palazzo Pitti zu sehen sind.

    Cristina Acidini ist Kunsthistorikerin und als Florentiner Superintendentin verantwortlich für die Elfenbeinausstellung:

    "Das ist eine sehr aufwendige Ausstellung, die nur möglich war dank der Hilfe anderer Museen. Denn diese Objekte lassen sich nicht leicht transportieren, sind sie doch sehr zerbrechlich. Und doch haben viele Museen und Sammlungen ihre schönsten Stücke entliehen, weil sie dieses Ausstellungsprojekt unterstützen wollen."

    Die Schlösser und Residenzen europäischer Fürsten und Könige strotzten nicht nur vor Gemälden, Fresken und kostbarsten Möbeln, sondern auch vor luxuriösen Dekorationselementen. Diese wurden gern aus Elfenbein gefertigt , erklärt Ausstellungskurator Eike Schmidt am Telefon, der am Minneapolis Institute of Arts für dekorative Künste tätig verantwortlich ist:

    "Erstens: Das ist ein ganz, ganz kostbarer Werkstoff, teilweise noch teurer als Gold. Zweitens: Aufgrund der bestimmten Eigenschaften, die es als Schnitzmaterial bietet. Man kann in Elfenbein kleine Details auf kleinsten Flächen schnitzen, wenn man's kann, die annähernd so nur in Buchsbaum zu schnitzen sind, aber nicht in anderen Materialien, deshalb wurde Elfenbein von Bildhauern so geschätzt."

    Der Elfenbeinkunst – diesem Genre wurde bisher nie eine monothematische Ausstellung gewidmet. Im Palazzo Pitti holt man das jetzt mit einer überaus sehenswerten Kunstschau nach. Florenz ist ein geeigneter Ort dafür. Medici-Fürst Francesco I., der von 1549 bis 1609 lebte, war doch einer der wichtigsten Sammler von Elfenbeinkunst im damaligen Europa. Darin war er gleichbedeutend mit dem Kaiser in Rom und dem Sachsenherrscher in Dresden.

    Cristina Acidini:
    "Das war schon ein ganz neues Phänomen: Kunst aus Elfenbein. Sicherlich: Seit der Gotik wurde dieses Material für sakrale und liturgische Gegenstände benutzt, aber als Material zur Herstellung von Kunst- und Kunsthandwerk zu dekorativen Zwecken diente es erst seit der hohen Renaissance. Objekte, die bisher nur selten Gegenstand kunsthistorischer Forschung waren."

    Die Ausstellung zeigt Werke aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, unter anderem von Meistern wie Francois Duquesnoy, Georg Petel und Filippo Sengher. Sie machen deutlich, dass die Sujets elfenbeinerner Kleinskulpturen denen aus Bronze ähnelten.

    Faszinierend sind vor allem die Darstellungen menschlicher Körper aus Elfenbein. Im Unterschied zur "dunklen" Wiedergabe des Körpers in Bronze verleiht das zarte gelbweiß des Elfenbeins der geschnitzten Haut und der Muskeln Anmut. Der nackte menschliche Körper scheint zu atmen, sich zu bewegen, wirkt ungemein realistisch. Das sieht man am besten bei den verschiedenen Kreuzesabnahmen oder den angespannten Muskeln altgriechischer Helden.

    Die Elfenbeinmode fürstlicher Sammler endete Mitte des 18. Jahrhunderts: Fortan war Porzellan als Werkstoff der neue Hit. Elfenbein galt als altmodisch.