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"Die Emotionen sind äußerst bewegt in der Stadt"

Auf der Straße demonstrieren in Stuttgart Befürworter und Gegner des Bahnhofprojekts "Stuttgart 21". "Wir müssen schauen, dass wir schnell zu einem sachlichen Ton wieder zurückfinden", wünscht es sich Vermittler Michael Brock, katholischer Stadtdekan in Stuttgart: "Sonst fürchte ich, dass die Stimmung in der Stadt eskaliert."

Michael Brock im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.09.2010
    Tobias Armbrüster: Die Debatte um das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21", sie wurde in den vergangenen Wochen vor allem von den Gegnern geprägt. Die machen mit großen Demonstrationen vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof auf sich aufmerksam, aber auch mit eher ungewöhnlichen Protestformen, etwa mit spontanen Trillerpfeifenkonzerten, oder mit Sprechchören mit genau einstudierter Choreografie. Die Befürworter von "Stuttgart 21" konnten dem bislang nicht allzu viel entgegensetzen. Gestern haben sie sich nun zum ersten Mal zu einer Kundgebung getroffen.

    In Sachen "Stuttgart 21" wollen sich heute Vormittag Gegner und Befürworter zum ersten Mal an einem Tisch zusammensetzen. Dabei soll ausgelotet werden, ob die beiden Seiten eine Verhandlungsgrundlage finden. Vermittelt hat dieses Gespräch ein Vertreter der Katholischen Kirche, der Stuttgarter Stadtdekan Michael Brock. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Brock.

    Michael Brock: Guten Morgen.

    Armbrüster: Kann man in einem solchen Konflikt wie "Stuttgart 21" tatsächlich einen Kompromiss finden?

    Brock: Als Erstes brauchen wir eine Gesprächskultur, bevor wir von Kompromissen reden. Das erste Gespräch ist ja schief gelaufen, weil viel zu viele Vorbedingungen genannt worden sind. Jetzt kommt es zu einem ersten Sondierungsgespräch ohne Vorbedingungen, da bin ich schon mal dankbar.

    Armbrüster: Wie haben Sie es denn geschafft, die beiden zerstrittenen Seiten noch mal an einen Tisch zu kriegen?

    Brock: Es sind ja alles vernünftige Menschen und jeder weiß, dass Gespräche jetzt anstehen und Gespräche geführt werden müssen. Ich habe mich angeboten als Neutraler zwischen den Fronten. Wir als Katholische Kirche haben keine Stellung bezogen, pro oder kontra, das kommt uns jetzt zugute, dass wir da möglicherweise zum Vermitteln auch gut in der Lage sind.

    Armbrüster: Das sind nun lediglich Sondierungsgespräche. Was steht da auf der Tagesordnung?

    Brock: Dem möchte ich jetzt nicht vorgreifen. Vielleicht so viel: Wir sind der Meinung, dass es einen Dialog braucht, der nicht auf der Straße stattfindet. Jetzt haben wir heute alle Parteien mal an einem Tisch und wir möchten auch dafür sorgen, dass es zu einem kontinuierlichen Gespräch kommt.

    Armbrüster: In welcher Form setzen Sie sich denn zusammen? Wie muss man sich das vorstellen? Ist das ein Runder Tisch in einem sehr ruhigen Raum, bei angenehmen Getränken, bei etwas zu essen, oder was haben Sie da atmosphärisch geplant?

    Brock: Unser Tisch ist oval. Die Parteien sitzen miteinander an einem Tisch. Ich versuche, mich einmal dazwischenzusetzen, in der Hoffnung, dass es friedlich bleibt.

    Armbrüster: Und wer könnte solche Verhandlungen denn dann langfristig leiten? Würden Sie das übernehmen?

    Brock: Nein. Das muss eine Figur sein, die bundesweite Reputation genießt. Davon bin ich überzeugt. Das wird heute Thema sein, welche Personen für beide Parteien gut geeignet sind. Dem möchte ich jetzt nicht vorgreifen.

    Armbrüster: Beide Seiten verfolgen ja nun bei diesem Konflikt sehr unterschiedliche Ziele. Die Landesregierung will den Gegnern lediglich ein kleines Mitspracherecht, zum Beispiel bei Gestaltungsfragen, einräumen. Die Gegner dagegen wollen über komplette Alternativen zu "Stuttgart 21" sprechen. Gibt es da denn überhaupt Möglichkeiten, einen gemeinsamen Gesprächsfaden zu finden?

    Brock: Da bitte ich Sie sehr um Verständnis, das wollen wir ausloten. Natürlich kann der Bahnhof schlussendlich nur entweder oben oder unten sein. Wir werden natürlich auch sprechen müssen über unser Demokratieverständnis. Wir werden sprechen müssen, wie sind die Entscheidungen zustande gekommen, was ist möglicherweise noch offen und was ist noch gesprächswürdig. Das werden alles Themen sein, die in Ruhe erörtert werden müssen.

    Armbrüster: Und sind Sie da zuversichtlich, dass da beide Seiten aufeinander zugehen?

    Brock: Ich bin zuversichtlich, dass alle Parteien sich einig sein werden, dass es um den sozialen Frieden dieser Stadt und dieser Region geht. Und dass alle Parteien alles dazu tun müssen, um diesen sozialen Frieden, der deutlich gestört ist, wieder herzustellen.

    Armbrüster: Was glauben Sie denn, was könnte auf Stuttgart zukommen, wenn sich Gegner und Befürworter nicht einig werden?

    Brock: Da möchte ich mich jetzt vor dem Gespräch nicht äußern. Ich möchte diese Gespräche nicht durch meine persönlichen Einschätzungen erschweren.

    Armbrüster: Ich meine, weil Sie jetzt vom sozialen Frieden gesprochen haben.

    Brock: Gut, die Emotionen sind äußerst bewegt in der Stadt. Wir müssen schauen, dass wir schnell zu einem sachlichen Ton wieder zurückfinden.

    Armbrüster: Ist es denn nicht ein schlechtes Omen, dass sich die Landesregierung noch nicht mal darauf einlassen wollte, für diese Gespräche die Abrissarbeiten ruhen zu lassen?

    Brock: Ich bitte Sie noch mal herzlich. Ich möchte jetzt vorbehaltlos und offen in das Gespräch gehen und nicht zwei Stunden vor dem Gespräch schon meine Meinung in der Öffentlichkeit kundtun.

    Armbrüster: Sie selbst haben jetzt mehrmals gesagt, dass Sie neutral sind. Ist das tatsächlich so, oder halten Sie Ihre Meinung einfach nur zurück?

    Brock: Nein, nein, das ist tatsächlich so.

    Armbrüster: Das heißt, man kann, wenn man in Stuttgart lebt, auch keine Meinung haben zu "Stuttgart 21"?

    Brock: Nein. Was ich sagen will, ist, dass der Bahnhof kein theologisches und kein kirchliches Thema ist, sondern dass wir schauen, ob die Menschen, die pro und kontra sich jetzt äußern und in der Stadt bewegen, das auch in einem friedlichen und angemessenen und von Respekt getragenen Ton tun.

    Armbrüster: Und das glauben Sie kann der Fall sein in den kommenden Wochen?

    Brock: Das muss der Fall sein. Sonst fürchte ich, dass die Stimmung in der Stadt eskaliert.

    Armbrüster: In Stuttgart treffen sich heute Gegner und Befürworter von "Stuttgart 21" zu einem ersten Sondierungsgespräch. Wir sprachen darüber mit dem Vermittler bei diesem Treffen, mit dem Stuttgarter Stadtdekan Michael Brock. Schönen Dank, Herr Brock, für das Gespräch.

    Brock: Gerne!