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Die Entdecker der Erden

Für gedruckte Landkarten dürfte im Zeitalter von Streetview, Google Maps und vielen ähnlichen digitalen Orientierungshelfern die Zeit gekommen sein - so mag manch einer jedenfalls denken. Doch auf der Messe "International Map Fair" in Miami erlebt die Karte eine Renaissance.

Von Guido Meyer |
    "Hier ist Europa, da ist Asien, und das ist Afrika. Man hat's halt sehr, sehr grob dargestellt."

    Das ist dann wohl doch eine Untertreibung. So einfach kann die Weltsicht sein: Eine rosa Masse im Osten, eine orange Landmasse im Süden, und nördlich davon ein paar grüne Kleckse – "fertig ist das Mondgesicht". Oder, in diesem Fall: das Gesicht der Erde im Jahr 1495. Ein bisschen Asien, ein bisschen Afrika, ein bisschen Europa; das war's. Noch keine Spur von Australien, Amerika, der Arktis oder der Antarktis. Das mangelnde geografische Wissen der Zeit machten die Kartenzeichner wett, in dem sie nach Gutdünken Fabelwesen hinzufügten, die in den verschiedenen Gegenden der Welt angeblich leben sollten.

    "Auf der Karte sehen wir die Welt, wie sie damals dargestellt wurde – mit einigen Menschen, wie man sich damit vorgestellt hat, wie die Leute auf der Erde aussehen , die großen Menschen, die abnormalen Menschen. Man hatte ja damals noch keine Ahnung, wie es wirklich auf der Welt aussah. Und die Welt ist damals völlig falsch dargestellt worden."

    Heute ist diese historische Weltkarte im Besitz von Adina Sommer von Antique Sommer. Seit zwölf Jahren stellt das Münchner Antiquariat auf der internationalen Karten-Messe von Miami seine kuriosen Sammlerstücke der letzten Jahrhunderte aus. Und Adina Sommer verteidigt die Grafiker des 15 Jahrhunderts, deren Prioritäten nicht auf der Richtigkeit der Umrisse von Kontinenten gelegen hätten:

    "Allgemein in der Kartografie wurden die Länder ja anders begriffen. Man hat so Vorurteile: Die Seefahrer waren die Geschichtenerzähler der damaligen Zeit, weil die sind rumgekommen. Das langweilige Rumfahren auf hoher See - da is ja nix passiert. Und als sie zurückkamen waren sie also die Geschichtenerzähler und haben erzählt 'wir haben Riesenkraken gesehen, wir mussten sie bekämpfen, und die Ungeheuer in Südamerika, die riesengroßen Menschen konnten wir zurückschlagen, und wir haben uns gerettet'. Eigentlich die Märchenerzähler der damaligen Zeit waren die Seefahrer."

    20.000 Dollar sind – in diesem Fall – der Preis für die historischen Fehler von einst. Sie zeigen, dass die Entwicklung von Karten zwar einherging mit der Entdeckung der Erde seit dem 15. Jahrhundert. Der Pioniergeist der Seefahrer war jedoch ungleich stärker ausgeprägt als die technischen Möglichkeiten der Kartografen. Mit ihren Messmethoden kamen sie dem Entdeckerdrang schlicht nicht hinterher. Die Menschen erschlossen den Globus schneller, als es sich schriftlich wissenschaftlich exakt festhalten ließ. Die amerikanische Autorin Dava Sobel schreibt in ihrem Buch Longitude über das Problem des Längengrades – darüber, dass es für Reisende jahrhundertelang nahezu unmöglich war, ihre Ost-West-Position auf dem Globus genau zu bestimmen.

    "Der Franzose René-Robert Cavelier, Sieur de La Salle hat 1682 den Mississippi entdeckt und das umliegende Land zu Ehren König Louis XIV Louisiana genannt. Als er später dorthin zurückkehren wollte, verfehlte er die Gegend, weil er keine Längengradangaben hatte. Statt zur Mississippi-Mündung reiste er zur texanischen Küste an den Golf von Mexiko. Zwei Jahre lang irrte er dort umher, bevor er von seiner Mannschaft umgebracht wurde."

    Das Entdecken neuer Landschaften war stets ein heikle Angelegenheit, solange es keine sicheren Möglichkeiten gab, ihre Existenz geografisch abzusichern. Dieser Spagat und die daraus resultierenden Fehler sind es, die Kartensammler auch nach Jahrhunderten noch faszinieren. Doch es würden weniger, beklagt Adina Sommer.

    "Es kommen wenig Junge nach, die das Geschäft weiter übernehmen. Und deswegen sind natürlich die Karten in ihrer Geschichte und in ihrer Existenz als solcher immer weniger bekannt. Und um so bekannter es ist, desto mehr ist natürlich das Interesse für den Kauf da und für den Handel. Wenn einer sich mal interessiert und fragt, das ist eine Karte aus dem 15. Jahrhundert, das können die Leute dann fast überhaupt nicht mehr glauben, weil sie damit überhaupt nicht mehr konfrontiert werden, dass es so was im Handel überhaupt noch gibt."

    Zu Unrecht – wie Adina Sommer findet. Denn trotz aller kuriosen Irrtümer bei der zweidimensionale Abbildung der Welt sollte die Anerkennung für das Können der Kartografen vergangener Jahrhunderte im Vordergrund stehen.

    "Also, ich denke mal, das war ne wirklich reife Leistung. Es waren immerhin die Entdecker der Erde mit ganz einfachen Mitteln."