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Die Erbschaft der Securitate

Ein wichtiges Kriterium für den EU-Beitritt Rumäniens ist der Umgang des Landes mit der eigenen Vergangenheit. Diesen Blick zurück fordert der rumänische Historiker Marius Óprja. Er setzt sich für die Offenlegung der Akten des kommunistischen Geheimdienstes Securitate ein. Bis Ende des Monats müssen die Nachfolgedienste der Securitate alle Akten herausgeben. Keno Verseck berichtet.

    Zuhause bei Marius Oprea, in seiner Wohnung im siebenbürgischen Kronstadt. Der Historiker hat einen einjährigen Sohn. Er ist ein glücklicher Vater - und ein besorgter. Vor knapp einem Jahr bedrohte ihn ein Unbekannter auf der Straße, als er seinen neugeborenen Sohn gerade spazieren fuhr. Kurz zuvor hatte Oprea in einer rumänischen Tageszeitung eine Artikelserie über die Securitate-Vergangenheit heutiger rumänischer Geheimdienstler veröffentlicht.

    "Es war einige Tage vor meinem Geburtstag am 22. Mai auf der Straße. Plötzlich klopfte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ein großer, sportlicher Mann mit einer Baseballmütze und einer schwarzen Jacke, so um die 40 Jahre alt. Er sagte, es wäre gut, wenn ich mich mäßigen würde. Wenn ich schon nicht an mich selbst denken würde, so sollte ich doch wenigstens an die Zukunft meines Kleinen denken. Dann ging er weg."

    Marius Oprea war schockiert. Es lag Jahre zurück, dass er wegen seiner Veröffentlichungen über die Geschichte der Securitate bedroht worden war. Im Februar 1990 hatten Unbekannte ihn krankenhausreif geschlagen, später hatte er häufig anonyme Drohanrufe und Drohbriefe bekommen. Der Vorfall vom Mai vergangenen Jahres bestätigte ihn in seiner Ansicht, dass die Securitate lebt.

    "Worüber kaum richtig gesprochen wird, ist: Die Securitate wurde nach 1989 offiziell gar nicht aufgelöst. Sie existiert weiter - bloß unter anderen Namen. Diejenigen ehemaligen Offiziere, die nicht in den neuen Geheimdienststrukturen sind, sind irgendwo in der Geschäftswelt oder im öffentlichen Leben untergekommen, im Parlament, in der Verwaltung oder in zahlreichen Regierungsstrukturen."

    Wochentags in Bukarest. Marius Oprea lehrt an der Fakultät für Politologie. In einem Seminar spricht er vor Studenten über seine Arbeit. Persönliche Erfahrungen brachten ihn dazu, über die Securitate zu forschen. 1988, als er in Bukarest Geschichte studierte, verteilte er zusammen mit Kommilitonen heimlich antikommunistische Flugblätter an der Universität. Die Securitate kam ihm und seinen Freunden auf die Spur. Oprea musste sich mehr als ein Jahr lang im Zwei-Wochen-Rhythmus zu Verhören bei der Geheimpolizei melden.

    Nach 1990 konnte er Securitate-Archivmaterial meistens nur auf verschlungenen Wegen einsehen. Doch er ist nicht nur Forscher, sondern mischt sich auch in die Politik ein. Im Januar dieses Jahres ernannte ihn der liberale rumänische Regierungschef Calin Popescu Tariceanu zum Berater für Fragen der nationalen Sicherheit. Oprea überzeugte den Regierungschef, die Securitate-Nachfolgedienste anzuweisen, dass sie die Archive des früheren Geheimdienstes an die rumänische Aktenöffnungsbehörde CNSAS überstellen. Auch der Gesetzesentwurf, mit dem ehemalige Parteiaktivisten und Securitate-Mitarbeiter von öffentlichen Funktionen ausgeschlossen werden sollen, entstand unter anderem auf Initiative von Marius Oprea. Dabei gehe es um mehr als nur um moralische Fragen, sagt Oprea.

    "Das große Ausmaß der Korruption in Rumänien rührt auch daher, dass in allen Strukturen ehemalige Parteiaktivisten und Securitate-Leute sitzen. Sie sind korrupt, und ihre Geschäfte sind nie ehrlich. Sie aus staatlichen Funktionen auszuschließen, ist auch eine Frage der europäischen Sicherheit. Andersfalls werden sie ihre Methoden schnell exportieren, zum Beispiel wie man fiktive öffentliche Ausschreibungen organisiert oder wie man Akten fälscht, um Staatsgelder zu veruntreuen. Darin sind sie Spezialisten."

    Abends zuhause bei Marius Oprea. Er sieht seinem Sohn beim Spielen zu. Seit er Berater des Regierungschefs geworden sei, sagt er, habe er nicht nur mehr Einfluss auf die Politik der Securitate-Vergangenheitsbewältigung, sondern er fühle sich auch privat viel sicherer.

    "Es ist bezeichnend für die Situation in Rumänien, dass ich auf der Straße oft gefragt werde, ob ich nicht Angst habe wegen meiner Arbeit. Das zeigt, dass viele Menschen immer noch mit der ständigen Angst leben, die sie früher hatten. Es zeigt auch das geringe Maß, in dem in Rumänien über die Diktatur gesprochen worden ist. Über die kommunistische Vergangenheit wurde nicht mal die halbe Wahrheit gesagt."