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"Die Erfindung der RAF..." als Theaterstück
Von Puppen in den Hintergrund gespielt

"Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" ist preisgekrönter Roman von Frank Witzel. Armin Petras und Maja Zade haben das Werk nun auf die Theaterbühne gebracht. Die Einschätzung unseres Kritikers Michael Laages: Eine Nummernrevue mit etwas Blitz-Gelichter und ganz viel Langeweile.

Von Michael Laages |
    Die Schauspieler, Peter-Rene Lüdicke (l-r), Tilman Strauß, Julischka Eichel, Paul Grill und Jule Böwe stehen am 07.04.2016 in der Schaubühne in Berlin, in wechselnden Rollen während der Fotoprobe des Stückes "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" auf der Bühne.
    Schauspieler in der Schaubühne in Berlin während der Fotoprobe des Stückes "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969". (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Vielleicht, bestimmt sogar schwärt im Roman die "Wunde Deutschland" vor sich hin, dieses spätestens seit der Fußballweltmeisterschaft 1954 allseits präsente "Wir sind wieder wer!" Unter dieser auf Höchstglanz polierten Oberfläche macht sich speziell in jüngeren Köpfen der Unglaube breit – kann das alles wahr sein? Wie verlogen ist die Generation der Väter und Mütter, die nicht sprechen mag über eigene Taten, die eigene Schuld?
    Der Buchpreis-Jury des vorigen Jahres möchten wir gern glauben, dass Frank Witzels Roman dieses explosive Unbehagen der Jungen in ganz neue Worte, Sätze und Gedanken gefasst hat. Nur kommt aus 800 Seiten wirklich sehr wenig an auf der Theaterbühne. Miniaturen bestenfalls – diese zum Beispiel:
    "Flecken und deren Entfernung hatten im Nachkriegsdeutschland eine besondere Bedeutung. Der Fleck erinnerte an die Vergangenheit, als man großen Teilen der Bevölkerung Flecken auf die Kleider machte, um sie auszusondern. Da man das nicht mehr rückgängig machen konnte, versuchte man, wenigstens selbst möglichst unbefleckt zu sein."
    Viele Details zu bestaunen
    Nicht wirklich neu, aber klar formuliert. Überhaupt: Eine Menge Details sind zu bestaunen im Heranwachsen der namenlosen Ich-Figur: "Neben dem Grundig-Gerät TK 25 mit Trick-Taste und magischem Auge, neben dem Braun-Rührgerät KM 31 mit Mixer-Aufsatz aus Glas." Es folgt eine gute Minute voll von Kostbarkeiten aus der 60er-Jahre-Produktpalette. "Neben den drei Kuchengabeln von WMF mit Griffen aus Bakkelit steht ein Plattenspieler von Braun und darauf eine Platte von Willy Schneider!" Und dieser Willy Schneider singt nun nicht etwa "Schütt‘ die Sorgen in ein Gläschen Wein ...", sondern er rappt: "Ej, voll konkret, Alter! Schütt‘ Deine Sorgen in ein Gläschen Wein, den Kummer tu auch mit hinein. Und mit Köpfchen hoch und Mut genug leer das Glas in einem Zug ... das ist gut! Jou!"
    Ulkig, durchaus, und mit der lärmenden Rock-Band, die sich nicht zu Unrecht "Die Nerven" nennt, schlägt der Abend ja auch den Bogen vom Aufruhr der pubertären Provinz-Jugend damals zum musikalischen Anti-Mainstream von heute. Trotz reizvoller Details also gerade im Ungewissen zwischen einerseits der Gymnasiasten-Fabel (in der das RAF-Signet nur wie ein schräges Geheim-Zeichen auftaucht) und den Parallelen zur politischen Terror-Biografie der echten RAF andererseits entwickelt sich dieser Versuch in deutscher Zeitgenossenschaft zur derben Theater-Pleite, zur zweieinhalb, gefühlt mindestens dreieinhalb Stunden langen Nummernrevue mit etwas Blitz-Gelichter und ganz viel Langeweile.
    Gegen Puppen anzuspielen, ist extrem schwer
    Wie kann denn sowas passieren? Die Antwort ist im Grunde eher einfach: Nichts von dem funktioniert, was aus einem womöglich interessanten Roman einen mindestens genau so interessanten Theaterabend werden lassen könnte. Schon Katrin Brack, eine der speziell in Arbeiten mit dem verstorbenen Dimiter Gotscheff wirklich herausragende Bühnen-Erfinderin, liegt diesmal richtig schief – denn sie hat knapp drei Dutzend Kaufhauspuppen auf die Bühne gestellt. Gegen Puppen anzuspielen, ist extrem schwer – selbst wenn die gar nichts tun; eine allerdings schaut derart hinreissend ins Publikum, dass das auf "jung" gedrillte Gezeter und Gezappel des Ensembles glatt in den Hintergrund rückt.
    Auch einen Maltisch gibt es noch in diesem 60er-Jahre-Kaufhausschaufenster - was darauf gekritzelt wird im Buch der Erinnerung, landet auf einer Leinwand rechts oben, gemischt mit dokumentarischem Material. Und auch der Text-Extrakt aus dem Roman bleibt angestrengt (und anstrengend!) unpräzise – Ich-Figur kann hier jeder sein und jede; die dialogische Qualität und Quantität hält sich in Grenzen. Und sehr viel Zeit wird mit dem Lieblings-Feindbild der Zeit verbracht, der DDR.
    Der fatalste Flop der Petras-Regie liegt aber im Spiel-Tempo. Unpräzise Anschlüsse wachsen sich so sehr zu ungewollten Pausen aus, dass die Klima-Anlage der Schaubühne zuweilen lauter ist als das Spiel. Vielleicht ist der Abend ja noch zu retten, bis er von Berlin im koproduzierenden Stuttgart ankommt – aber ob ihm das wirklich zu wünschen ist?