Vor zwölf Jahren veröffentlichte Rainald Goetz in mehreren poprot glänzenden Bänden und unter dem Projektnamen "Heute Morgen" seine Geschichte der Gegenwart, die ihre Entstehung nicht zuletzt einem Erweckungserlebnis zu verdanken hatte: dem "großen Bumbum", dem mächtigen Beat, der aus den Kellern, Clubs und von den Straßen Berlins schallend den Soundtrack zum Jahrzehnt abgab. Goetzens Techno-Roman "Rave" war vielleicht das einzige literarische Werk von Rang, das ins Innere der Szene vordrang, geschrieben von einem dem Rhythmus Verfallenen und einem beobachtenden Eckensteher. Nun gibt es einen verspäteten Nachhall auf diese Dekade der Raver, eine Dreiecksgeschichte unter der sengend-heiligen Sonne Mexikos, ein im Pseudo-Slang der Jugend verfasstes Buch einer ebensolchen Verzauberung: In "Ich weiß nicht" von Jürgen Teipel werden drei junge Menschen auf DJ-Tour nach Übersee geschickt.
Montezumas Rache ereilt sie nicht, aber zunächst doch allerhand anderes Ungemach – Eifersucht, schlechte Vibrations und ein kleiner Reitunfall. Aber mehr als von diesen Unbilden erschüttert, werden sie umgepustet von der Schönheit des Erlebten, dem Zusammenklang von Raum, Zeit und Gefühl, von der Liebe, die plötzlich alle ereilt. Tere, Tommy und der Erzähler sind zwar einfach nur auf einer Dienstreise zu Diskussionspanels, Clubs und einem Festival in Mexico City, aber sie finden etwas Höheres: Erleuchtung, oder wie man das nennen will.
Tommy, der Ex-Freund Teres, stellt zu Anfang ein kleines Störelement auf dem Weg zum wunschlosen Glück dar. Da kann auch der mexikanische Sonnyboy Rico als Katalysator zunächst nur wenig ausrichten. Dass der aus Regensburg stammende und fortwährend mit sprichwörtlich offenem Mund durch die Szenerie taumelnde Ich-Erzähler sich in Tere verguckt hat, entspannt die Situation der Reisegruppe nicht gerade. Aber ein paar Haschkekse, einige Abenteuer und ein paar Reisestationen später löst sich vieles Unheilvolle in Wohlgefallen auf. Der Freundschaftsbund wird enger, die ganze Welt möchte umarmt sein. Irgendwann bleibt nur noch das reine Staunen: "Immer mehr so: Oh!"
Jürgen Teipel, Journalist, Konzertveranstalter und DJ, bekannt geworden mit seinem Doku-Punk-Roman "Verschwende deine Jugend", hat für seine Figuren eine Kunstsprache ersonnen, die wahrscheinlich einiges mit dem zu tun hat, was auf Tanzflächen, in Clubs und unter Einfluss bewusstseinserweiternder Drogen von sich gegeben wird. Und doch hat die konzentrierte Verwendung dieser Sprache etwas Künstliches. Und sogar Kunstvolles. Sie erzeugt, durchdrungen von Banalität, Naivität und Begeisterungsrhetorik, einen Sog und eine Wirkung: Die Unmittelbarkeit des Geschehens wird nachgeschaffen in einer fließenden, Mündlichkeit suggerierenden, streng komponierten Schwurbelsprache. Und dieses eindrückliche Hervorbringen von Unmittelbarkeit führt einen auch zum Kern des Buches.
Eigentlich geht es darin um Entäußerung und Selbstfindung: Das falsche Bewusstsein, die ganzen Hüllen, mit denen man sein westliches Ich bedeckt, sollen abgeschüttelt werden. Fast am Ende des Romans, als die Sonne mit letzter Kraft eine Straße ins schönste Licht setzt, der DJ oben auf seinem Pult thront, die Menschen sich umarmen und irgendwie eins werden und der Erzähler schließlich auf der Sonnenpyramide zu sitzen kommt, scheint dieser magische Augenblick der Erkenntnis erreicht:
"Alles ist in Bewegung. Alles ist gar nicht so unbeweglich, wie man immer denkt. Sondern es fließt alles durcheinander hindurch. (...) Zeit und diese ganzen Dinge existieren eigentlich gar nicht wirklich. Es existieren überhaupt keine Dinge."
Da kommt einer ganz zu sich, eingebunden in eine komisch-kosmische Einheit aus Vergangenheit und Gegenwart. Die Mischung aus Transzendenzhoffnung und Besänftigungspotenzial, die in diesem Buch steckt, ist enorm. So viel Erbauung war lange nicht mehr. Die Jugend von heute hat es gut: Mit Jürgen Teipels Techno-Trip gibt es nun eine ernsthafte Alternative zu Hermann Hesse und Paolo Coelho.
Jürgen Teipel: "Ich weiß nicht", DuMont Buchverlag, Köln 2010, 120 Seiten, 14,95 Euro.
Montezumas Rache ereilt sie nicht, aber zunächst doch allerhand anderes Ungemach – Eifersucht, schlechte Vibrations und ein kleiner Reitunfall. Aber mehr als von diesen Unbilden erschüttert, werden sie umgepustet von der Schönheit des Erlebten, dem Zusammenklang von Raum, Zeit und Gefühl, von der Liebe, die plötzlich alle ereilt. Tere, Tommy und der Erzähler sind zwar einfach nur auf einer Dienstreise zu Diskussionspanels, Clubs und einem Festival in Mexico City, aber sie finden etwas Höheres: Erleuchtung, oder wie man das nennen will.
Tommy, der Ex-Freund Teres, stellt zu Anfang ein kleines Störelement auf dem Weg zum wunschlosen Glück dar. Da kann auch der mexikanische Sonnyboy Rico als Katalysator zunächst nur wenig ausrichten. Dass der aus Regensburg stammende und fortwährend mit sprichwörtlich offenem Mund durch die Szenerie taumelnde Ich-Erzähler sich in Tere verguckt hat, entspannt die Situation der Reisegruppe nicht gerade. Aber ein paar Haschkekse, einige Abenteuer und ein paar Reisestationen später löst sich vieles Unheilvolle in Wohlgefallen auf. Der Freundschaftsbund wird enger, die ganze Welt möchte umarmt sein. Irgendwann bleibt nur noch das reine Staunen: "Immer mehr so: Oh!"
Jürgen Teipel, Journalist, Konzertveranstalter und DJ, bekannt geworden mit seinem Doku-Punk-Roman "Verschwende deine Jugend", hat für seine Figuren eine Kunstsprache ersonnen, die wahrscheinlich einiges mit dem zu tun hat, was auf Tanzflächen, in Clubs und unter Einfluss bewusstseinserweiternder Drogen von sich gegeben wird. Und doch hat die konzentrierte Verwendung dieser Sprache etwas Künstliches. Und sogar Kunstvolles. Sie erzeugt, durchdrungen von Banalität, Naivität und Begeisterungsrhetorik, einen Sog und eine Wirkung: Die Unmittelbarkeit des Geschehens wird nachgeschaffen in einer fließenden, Mündlichkeit suggerierenden, streng komponierten Schwurbelsprache. Und dieses eindrückliche Hervorbringen von Unmittelbarkeit führt einen auch zum Kern des Buches.
Eigentlich geht es darin um Entäußerung und Selbstfindung: Das falsche Bewusstsein, die ganzen Hüllen, mit denen man sein westliches Ich bedeckt, sollen abgeschüttelt werden. Fast am Ende des Romans, als die Sonne mit letzter Kraft eine Straße ins schönste Licht setzt, der DJ oben auf seinem Pult thront, die Menschen sich umarmen und irgendwie eins werden und der Erzähler schließlich auf der Sonnenpyramide zu sitzen kommt, scheint dieser magische Augenblick der Erkenntnis erreicht:
"Alles ist in Bewegung. Alles ist gar nicht so unbeweglich, wie man immer denkt. Sondern es fließt alles durcheinander hindurch. (...) Zeit und diese ganzen Dinge existieren eigentlich gar nicht wirklich. Es existieren überhaupt keine Dinge."
Da kommt einer ganz zu sich, eingebunden in eine komisch-kosmische Einheit aus Vergangenheit und Gegenwart. Die Mischung aus Transzendenzhoffnung und Besänftigungspotenzial, die in diesem Buch steckt, ist enorm. So viel Erbauung war lange nicht mehr. Die Jugend von heute hat es gut: Mit Jürgen Teipels Techno-Trip gibt es nun eine ernsthafte Alternative zu Hermann Hesse und Paolo Coelho.
Jürgen Teipel: "Ich weiß nicht", DuMont Buchverlag, Köln 2010, 120 Seiten, 14,95 Euro.