Tamrat Al Zeitoun, die erste arabische Waldorfschule Israels und der arabischen Welt liegt in Schefa Amr, 15 Kilometer nordöstlich der israelischen Hafenstadt Haifa. Der Ort ist bekannt für seine gemischt religiöse Bevölkerung: Muslime, Drusen und Christen leben hier friedlich miteinander. Dass die erste arabische Waldorfschule ausgerechnet in Schefa Amr entstand, war kein Zufall: Nur wenige Autominuten entfernt liegt der Kibbuz Harduf, das Zentrum der Waldorfbewegung in Israel.
Schon Ende der 1980er Jahre gründeten die Kibbuzbewohner einen Waldorfkindergarten; heute führt die Schule bis zur 12. Klasse, das Waldorflehrerseminar richtet sich auch arabischsprachige Interessierte. Eine Absolventin des Seminars von Harduf ist die Kunstpädagogin Lana Nasrallah. Sie war vor zehn Jahren Mitbegründerin der ersten arabischen Waldorfschule in Israel.
"Wir haben es geschafft, weil soviele Eltern fest an dieses Projekt geglaubt haben, vor allem die Mütter. Wir haben alles selbst eingerichtet, die Möbel besorgt, die Malerarbeiten gemacht. So viel freiwilliges Engagement habe ich in der arabischen Gesellschaft noch nicht erlebt."
Lana Nasrallah ist selbst Mutter von vier Kindern. Den normalen Unterrichtsbetrieb erlebte sie als Lehrerin an einer staatlichen Schule über zehn Jahre lang täglich - überfüllte Klassen, stupides Auswendiglernen für Prüfungen, Notendruck, Erziehung zum Gehorsam statt zum kritischen Denken. Zumindest ihren beiden jüngsten Kindern wollte sie das ersparen: Sie besuchen die Waldorfschule seit dem Kindergarten.
Kleine Klassen und individuelle Förderung statt Massenbetrieb, ausführliche Fortschrittsberichte statt Noten, kein Sitzenbleiben, Stricken und Häkeln auch für die Jungen statt Computer – dass diese Pädagogik funktioniert, zeigten im letzten Jahr landesweite Vergleichsprüfungen in Israel. In den Fächern Englisch und Hebräisch gehörten die Kinder von Tamrat Al Zeitoun landesweit zu den Besten, ansonsten lagen sie gut im Schnitt. Dennoch ist die Waldorfpädagogik vielen arabischen Eltern nicht geheuer. Die Sozialarbeiterin Rawiya Haddad aus Schefa Amr musste sich herbe Kritik anhören, als sie ihren jüngsten Sohn Baschar auf die Waldorf-Grundschule schickte.
"Baschar hat erst im zweiten Schuljahr mit dem Schreiben begonnen. Ein kleiner Cousin von ihm wurde zur gleichen Zeit woanders eingeschult, und er konnte schon am Ende des ersten Jahres lesen und schreiben. Die ganze Familie schaute dann auf meinen Sohn und drängelte, wann er es denn endlich lernen würde. Sie warfen mir vor: Du experimentierst mit deinem Kind herum, das ist unverantwortlich. Ich stand sehr unter Druck. Aber ich wollte nicht aufgeben. Ich meine, es kann ja nicht sein, dass eine Methode völlig falsch ist, die seit fast einhundert Jahren funktioniert."
Mittlerweile ist der kleine Baschar neun Jahre alt. Er liest gern Bücher und er schreibt seitenlange Aufsätze über selbstgewählte Themen in bestem Arabisch – sehr zur Verwunderung seiner skeptischen Verwandten. Neben dem freiheitlichen, innovativen Erziehungsstil hat die Waldorfschule aus Sicht von Rawiya Haddad noch einen weiteren großen Vorteil: Die Kinder lernen, unterschiedliche Glaubensüberzeugungen zu tolerieren. Rawiya Haddad ist selbst Christin und tiefgläubig. Doch sie kritisiert, dass viele staatliche und private Schulen in Israel die religiöse Identität zu sehr betonen.
"In Schefa Amr wohnen Muslime, Drusen, Christen. Aber die meisten privaten Schulen sind christliche Schulen. Sie sehen neben der Bildung die christliche Verkündigung als Hauptaufgabe. Die Folge ist, dass vor allem christliche Kinder diese Schulen besuchen. Muslimische Schüler werden kaum aufgenommen und wenn doch, dann werden sie in der Klasse wie Zaungäste behandelt. An den staatlichen Schulen sollte das anders sein. Aber man muss sehen, dass die Araber in Israel selten in religiös gemischten Vierteln leben. Wenn eine staatliche Schule in einem Viertel liegt, wo hauptsächlich Muslime wohnen, dann gehen hauptsächlich Muslime auf diese Schule."
An staatlichen Schulen in Israel wird mehrere Stunden pro Woche die hebräische Bibel unterrichtet. An der arabischen Waldorfschule von Schefa Amr gibt es keinen konfessionellen Religionsunterricht. Statt dessen erleben die Kinder die verschiedenen Religionen im Alltag. Sie feiern Weihnachten, Ostern, das islamische Opferfest und das Ramadan-Ende gemeinsam.
Die jüdische Religion lernen die Kinder durch einen regelmäßigen Austausch mit der Waldorfschule im benachbarten Harduf hautnah kennen. Diese Offenheit findet in der konservativen arabischen Gesellschaft Israels nicht durchweg Anklang. Während nichtarabische Waldorfschulen in Israel umfangreiche Spenden von jüdischen Firmen und Privatleuten im In- und Ausland erhalten, hat die arabische Waldorfschule von Schefa Amr bislang keinen einzigen arabischen Sponsor. Die Kunstpädagogin Lana Nasrallah zieht dennoch eine positive Bilanz der ersten zehn Jahre.
"Ich freue mich wie ein kleines Kind, dass unsere Schüler es geschafft haben, und ich hoffe, dass sie die Gesellschaft zum Positiven verändern werden. Diese Kinder sind sehr besonders. Sie denken kritisch, sie sind offen, sie wissen was sie wollen und sie kennen ihre Rechte."
Trotz der guten Ergebnisse: In diesem Jahr müssen die Kinder der arabischen Waldorf-Schule von Schefa Amr nach der sechsten Klasse auf andere Schulen ausweichen. Die staatlichen Zuschüsse und das Schulgeld allein reichen nicht aus, um die Schule wie geplant weiter auszubauen. Lana Nasrallah und ihre MitstreiterInnen hoffen, dass sich in Zukunft mehr private Sponsoren finden werden, damit die Kinder auch über die Grundschule hinaus ein arabisches Waldorf-Angebot haben werden.
Schon Ende der 1980er Jahre gründeten die Kibbuzbewohner einen Waldorfkindergarten; heute führt die Schule bis zur 12. Klasse, das Waldorflehrerseminar richtet sich auch arabischsprachige Interessierte. Eine Absolventin des Seminars von Harduf ist die Kunstpädagogin Lana Nasrallah. Sie war vor zehn Jahren Mitbegründerin der ersten arabischen Waldorfschule in Israel.
"Wir haben es geschafft, weil soviele Eltern fest an dieses Projekt geglaubt haben, vor allem die Mütter. Wir haben alles selbst eingerichtet, die Möbel besorgt, die Malerarbeiten gemacht. So viel freiwilliges Engagement habe ich in der arabischen Gesellschaft noch nicht erlebt."
Lana Nasrallah ist selbst Mutter von vier Kindern. Den normalen Unterrichtsbetrieb erlebte sie als Lehrerin an einer staatlichen Schule über zehn Jahre lang täglich - überfüllte Klassen, stupides Auswendiglernen für Prüfungen, Notendruck, Erziehung zum Gehorsam statt zum kritischen Denken. Zumindest ihren beiden jüngsten Kindern wollte sie das ersparen: Sie besuchen die Waldorfschule seit dem Kindergarten.
Kleine Klassen und individuelle Förderung statt Massenbetrieb, ausführliche Fortschrittsberichte statt Noten, kein Sitzenbleiben, Stricken und Häkeln auch für die Jungen statt Computer – dass diese Pädagogik funktioniert, zeigten im letzten Jahr landesweite Vergleichsprüfungen in Israel. In den Fächern Englisch und Hebräisch gehörten die Kinder von Tamrat Al Zeitoun landesweit zu den Besten, ansonsten lagen sie gut im Schnitt. Dennoch ist die Waldorfpädagogik vielen arabischen Eltern nicht geheuer. Die Sozialarbeiterin Rawiya Haddad aus Schefa Amr musste sich herbe Kritik anhören, als sie ihren jüngsten Sohn Baschar auf die Waldorf-Grundschule schickte.
"Baschar hat erst im zweiten Schuljahr mit dem Schreiben begonnen. Ein kleiner Cousin von ihm wurde zur gleichen Zeit woanders eingeschult, und er konnte schon am Ende des ersten Jahres lesen und schreiben. Die ganze Familie schaute dann auf meinen Sohn und drängelte, wann er es denn endlich lernen würde. Sie warfen mir vor: Du experimentierst mit deinem Kind herum, das ist unverantwortlich. Ich stand sehr unter Druck. Aber ich wollte nicht aufgeben. Ich meine, es kann ja nicht sein, dass eine Methode völlig falsch ist, die seit fast einhundert Jahren funktioniert."
Mittlerweile ist der kleine Baschar neun Jahre alt. Er liest gern Bücher und er schreibt seitenlange Aufsätze über selbstgewählte Themen in bestem Arabisch – sehr zur Verwunderung seiner skeptischen Verwandten. Neben dem freiheitlichen, innovativen Erziehungsstil hat die Waldorfschule aus Sicht von Rawiya Haddad noch einen weiteren großen Vorteil: Die Kinder lernen, unterschiedliche Glaubensüberzeugungen zu tolerieren. Rawiya Haddad ist selbst Christin und tiefgläubig. Doch sie kritisiert, dass viele staatliche und private Schulen in Israel die religiöse Identität zu sehr betonen.
"In Schefa Amr wohnen Muslime, Drusen, Christen. Aber die meisten privaten Schulen sind christliche Schulen. Sie sehen neben der Bildung die christliche Verkündigung als Hauptaufgabe. Die Folge ist, dass vor allem christliche Kinder diese Schulen besuchen. Muslimische Schüler werden kaum aufgenommen und wenn doch, dann werden sie in der Klasse wie Zaungäste behandelt. An den staatlichen Schulen sollte das anders sein. Aber man muss sehen, dass die Araber in Israel selten in religiös gemischten Vierteln leben. Wenn eine staatliche Schule in einem Viertel liegt, wo hauptsächlich Muslime wohnen, dann gehen hauptsächlich Muslime auf diese Schule."
An staatlichen Schulen in Israel wird mehrere Stunden pro Woche die hebräische Bibel unterrichtet. An der arabischen Waldorfschule von Schefa Amr gibt es keinen konfessionellen Religionsunterricht. Statt dessen erleben die Kinder die verschiedenen Religionen im Alltag. Sie feiern Weihnachten, Ostern, das islamische Opferfest und das Ramadan-Ende gemeinsam.
Die jüdische Religion lernen die Kinder durch einen regelmäßigen Austausch mit der Waldorfschule im benachbarten Harduf hautnah kennen. Diese Offenheit findet in der konservativen arabischen Gesellschaft Israels nicht durchweg Anklang. Während nichtarabische Waldorfschulen in Israel umfangreiche Spenden von jüdischen Firmen und Privatleuten im In- und Ausland erhalten, hat die arabische Waldorfschule von Schefa Amr bislang keinen einzigen arabischen Sponsor. Die Kunstpädagogin Lana Nasrallah zieht dennoch eine positive Bilanz der ersten zehn Jahre.
"Ich freue mich wie ein kleines Kind, dass unsere Schüler es geschafft haben, und ich hoffe, dass sie die Gesellschaft zum Positiven verändern werden. Diese Kinder sind sehr besonders. Sie denken kritisch, sie sind offen, sie wissen was sie wollen und sie kennen ihre Rechte."
Trotz der guten Ergebnisse: In diesem Jahr müssen die Kinder der arabischen Waldorf-Schule von Schefa Amr nach der sechsten Klasse auf andere Schulen ausweichen. Die staatlichen Zuschüsse und das Schulgeld allein reichen nicht aus, um die Schule wie geplant weiter auszubauen. Lana Nasrallah und ihre MitstreiterInnen hoffen, dass sich in Zukunft mehr private Sponsoren finden werden, damit die Kinder auch über die Grundschule hinaus ein arabisches Waldorf-Angebot haben werden.