Archiv


Die ersten Gefährten der franziskanischen Bruderschaft und das Armutsgelübde

Franziskus von Assisi und seine Gefolgschaft bekamen von Papst Innozenz III. ihr Armutsgelübde bestätigt. Doch bis dahin war es ein weiter Weg, der Franziskus für immer von seiner Familie trennen sollte. Die Begegnung mit dem Kirchenoberhaupt wird unterschiedlich beschrieben.

Von Rüdiger Achenbach |
    "So machte er sich denn auf, ließ ein Pferd satteln, bestieg es, nahm ein Scharlachtuch mit zum Verkauf und begab sich eilends in eine Stadt, die Foligno hieß. Dort verkaufte er alles, was er mit sich führte, und ließ auch das Pferd um eine Summe Geldes zurück."

    berichtet Thomas von Celano. Den Erlös für die verkaufte Ware hat Franziskus dann dem Priester von San Damiano für die Renovierung der Kirche gebracht. Doch der weigerte sich, das Geld anzunehmen, weil er den Zorn von Franziskus’ Vater, des einflussreichen Pietro di Bernadone, fürchtete.

    Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis Pietro di Bernadone nach seinem Sohn suchen ließ, um ihn wegen der verkauften Stoffe zur Rede zu stellen. Franziskus versteckte sich in einer Höhle im Wald. Erst nach einem Monat kehrte er in einem völlig verwahrlosten Zustand nach Hause zurück.

    Helmut Feld, Professor für Historische Theologie am Institut für europäische Geschichte in Mainz:

    "Als er nach dem Aufenthalt in der Dunkelheit und wohl auch unzureichend ernährt in den Straßen von Assisi erschien, war er so abgerissen, dass er von den Leuten, die ihn von früher kannten, für verrückt gehalten wurde. Man beschimpfte ihn nicht nur, sondern bewarf ihn auch mit Steinen und Dreck."

    Pietro di Bernadone unternimmt nun alles, um seinen Sohn vom dem Entschluss, die Welt zu verlassen, abzubringen. Er redet auf ihn ein, schlägt ihn und sperrt ihn ein. Franziskus kann aber entkommen. Schließlich verklagt der Vater seinen Sohn. Bischof Guido von Assisi und ein kirchliches Gericht nehmen sich nun der Sache an.

    Veit Jakobus Dieterich, Professor an der Evangelischen Fakultät der Universität Hohenheim:

    "Dann folgt der endgültige Bruch zwischen Vater und Sohn, in den Legenden bildhaft in Szene gesetzt, in der Malerei der späteren Zeit mit Vorliebe dargestellt. Franziskus verzichtet auf sein Erbe, legt alle Kleider ab, alle, entblößt sich, steht öffentlich splitternackt da."

    "Hört alle und versteht! Bis jetzt habe ich den Pietro di Bernadone meinen Vater genannt; aber weil ich mir vorgenommen habe, Gott zu dienen, gebe ich jenem das Geld zurück, um dessentwillen er in Unruhe war, und dazu noch sämtliche Kleider, die ich von seiner Habe besitze. In Zukunft will ich sagen: Unser Vater im Himmel, nicht Vater Pietro di Bernadone."

    Franziskus hat von nun an niemals mehr sein Elternhaus betreten. Der Bruch mit dem Vater bedeutet gleichzeitig auch den Abschied von der Mutter, die nach diesem Prozess in keiner der schriftlichen Quellen mehr erwähnt wird.

    Franziskus’ Entschluss, die Welt zu verlassen, fällt genau in die Zeit, in der das aufstrebende Bürgertum, dessen Repräsentant auch Franziskus’ Vater ist, in den Städten den Adel immer mehr verdrängt und die politische Führungsrolle übernimmt. Veit Jakobus Dieterich:

    "Es kommt zu einer massiven rechtlichen und finanziellen Umverteilung zugunsten der bürgerlichen Schicht. In derselben Zeit also, in der sich das Geld seines Vaters in politische Macht verwandelt, sagt sich Franziskus vom Geld los. Jetzt hätte er alles haben können, was er früher erträumte. Doch er wollte nicht mehr."

    Indem Franziskus völlig nackt vor den Vater, den Bischof und die versammelten Bewohner von Assisi tritt, demonstriert er mit dieser Zeichenhandlung, dass er sich von allen bisherigen sozialen Bindungen lossagt. Der evangelische Theologe und Franziskus-Biograf, Klaus Reblin:

    "Man kann das, was sich hier vor dem geistlichen Gericht der Diözese Assisi abspielt, kaum überwerten. Hier negiert einer radikal, was die Basis aller bürgerlichen Welten ausmacht: das Schätze-Sammeln, das Sparen und das Planen, den Hunger nach Einfluss und Macht, das Herrschen-Wollen, das Prestigedenken, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, die hierarchischen Hack- und Standesordnungen."

    Die modische Kleidung des reichen Kaufmannssohns, aber auch die elegante Ritterrüstung, die er sich einst für seine geplante Teilnahme am Feldzug in Süditalien anfertigen ließ, hatte er, als er damit begann, die kleinen halb zerfallenen Kirchen wieder instand zu setzen, bereits gegen die Ausstattung eines Eremiten getauscht.

    Nachdem Franziskus nun aber im Evangelium von der Aussendung der Jünger gehört hatte, in der Jesus von den Jüngern forderte, ihre Familien, den festen Wohnsitz und allen Besitz hinter sich zu lassen, legte Franziskus nun auch noch die Schuhe, den Beutel und den Stock ab. Er ging jetzt barfuß und tauschte das schlichte Eremitengewand gegen eine vielfach geflickte Kutte ein. Den Ledergürtel ersetzte er durch einen einfachen Strick. Franziskus wollte noch bedürfnisloser sein als ein Eremit. Veit Jakobus Dieterich:
    "Charakteristisch für sein Armutsverständnis ist, dass er sich bei den Grundbedürfnissen des Menschen, bei Nahrung, Kleidung und Obdach, auf das absolut notwendige Existenzminimum beschränkt und dabei auf Jesus verweist."

    Trotz seiner Armut lebt Franziskus aber normalerweise nicht vom Betteln, sondern von seiner Hände Arbeit. Seine Dienste ließ er sich jedoch nie mit Geld, sondern immer mit Nahrungsmitteln bezahlen.

    Diese Lebensweise übernahmen dann auch seine ersten Gefährten. Erstaunlicherweise waren die beiden Ersten, die sich ihm anschlossen, zwei hoch angesehene Bürger aus dem Stadtadel von Assisi, die beide etwa im Alter von Franziskus waren: Bernardo da Quintavalle und Pietro Catanii. Bernardo war einer der reichsten Männer Assisis und als juristischer Berater für die Stadtregierung tätig gewesen, die gleiche Funktion hatte Pietro Catanii beim Domkapitel erfüllt. Beide hatten, bevor sie zu Franziskus kamen, all ihren Besitz an die Armen verteilt. Einige Wochen später kam als vierter Gefährte noch ein Handwerker von robuster Statur namens Egidio dazu, der später auch zu einem Heiligen werden sollte.

    Die vier lebten zunächst im Wald bei der Portiuncula-Kirche und riefen in Assisi und Umgebung die Menschen zur Buße und Friedfertigkeit auf. Doch schon bald teilten sie sich auf und zogen je zu zweit in verschiedene Richtungen durch Mittelitalien. Ulrich Köpf, Professor für Kirchengeschichte an der Evangelischen Fakultät der Universität Tübingen:

    "Mit Buße meinte Franziskus nicht die asketische oder satisfaktorische Leistung, sondern eine umfassend verstandene, auf innere Umkehr beruhende Erneuerung des Lebenswandels. Und Friede war ihm nicht ein isoliertes politisches Ideal, sondern der Inbegriff des irdischen Heils, das Geschenk Gottes an die Bußfertigen. Die Forderung nach Buße und Frieden zielte also auf die radikale Umkehr des üblichen Verhaltens."

    Die älteren Legenden berichten, dass Franziskus damals auch gelegentlich Bischof Guido von Assisi aufsuchte, um bei ihm den einen oder anderen Rat einzuholen. Der Bischof machte ihm gegenüber von Anfang an keinen Hehl daraus, dass er für die radikale Lebensform des Franziskus und seiner Brüder keinerlei Verständnis hatte. Der Franziskusforscher Helmut Feld:

    "Im Klartext sagt der Bischof: Gebt auf oder reduziert zumindest euren Anspruch! Zum ersten Mal wird die Forderung erhoben, das ursprünglich hoch gespannte Armutsideal irgendwie abzumildern, da es unrealistisch sei."

    Die Haltung von Bischof Guido machte Franziskus deutlich, dass seine Vorstellungen von einem religiösen Leben in der offiziellen Kirche nicht unbedingt auf Gegenliebe stießen.

    Der Mittelalterhistoriker Jacques Le Goff:

    "Franziskus musste seine ganze Überredensgabe aufbieten, um den Bischof von der Rechtmäßigkeit seines Handels und seiner Lebensführung zu überzeugen. Um diesen Bedrohungen ein Ende zu setzen, beschloss er mit den Brüdern nach Rom zu ziehen und Papst Innozenz III. um die Bestätigung dieser Lebensform für sich und seine Brüder zu bitten."

    Diese Absicherung schien ihm auch notwendig, weil ihm inzwischen auch selbst gelegentlich Zweifel gekommen waren, ob er wirklich den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Denn die Bemühungen der Brüder, auf ihre Mitmenschen einzuwirken, waren bisher erfolglos geblieben. Fast überall stießen die Brüder bei den Leuten auf Ablehnung. Man warf ihnen vor, dass sie schäbig aussähen und nicht auf ordentliche Weise ihren Lebensunterhalt verdienten.

    Zwischen Ostern und Pfingsten des Jahres 1209 machten sich die Brüder, deren Zahl inzwischen einschließlich Franziskus schon auf zwölf angewachsen war, dann auf den Weg nach Rom. Bischof Guido hatte Franziskus den Kontakt zu einem der einflussreichsten Männer der römischen Kurie vermittelt, Kardinalbischof Giovanni di San Paolo, aus der adeligen römischen Familie der Colonna.

    Der Kardinal nahm die Brüder nach ihrer Ankunft in Rom erst einmal gründlich unter die Lupe. Dabei war er schnell von deren Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit beeindruckt. Aber Giovanni di San Paolo war Benediktiner und lehnte eine mönchische Lebensform ohne eigene Klostergebäude und eine gewisse materielle Sicherheit grundsätzlich ab. Dass Franziskus und seine Brüder eine völlig ungesicherte Existenz führten und wie Vaganten umherzogen, lehnte er ab. Er versuchte deshalb in langen Gesprächen, die Brüder von diesem Lebensstil der radikalen Armut abzubringen. Doch ohne Erfolg. Trotzdem vermittelte der Kardinal Franziskus eine Audienz beim Papst.

    Die Berichte darüber, wie Innozenz III. Franziskus empfangen hat, sind zum Teil widersprüchlich. Deutlich wird aber, dass der Papst ihm mit großer Skepsis begegnet sein muss. Im Grunde stießen hier zwei Welten aufeinander: der Vertreter des kirchlichen Imperialismus und der auf alles verzichtende, demütige Franziskus.

    Auch das Äußere des Franziskus und seiner Brüder, die barfuß und in geflickten Kutten vor den Stellvertreter Christi traten – wie Innozenz der III. sich als erster Papst neuerdings nennen ließ, wurde von den versammelten Kirchenfürsten mit deutlichem Missfallen wahrgenommen.

    Doch Franziskus schreckten die prunkvollen Gewänder der Prälaten nicht ab. Fest entschlossen ging er auf Innozenz den III. zu und überreichte ihm die Regel, die als Satzung für das Zusammenleben der Brüder gelten sollte. Bei dieser Regel, die verlorenen gegangen ist, handelte es sich um eine Sammlung von Bibelversen, die die Nachfolge Jesu in absoluter Armut und die Lösung aus allen bisherigen sozialen Bindungen fordern.

    Als der Papst die Regel gelesen hatte, soll er in helle Aufregung geraten sein. Und mit ihm auch fast alle anwesenden Kardinäle. Dass diese Brüder sich auf das Evangelium beriefen und gerade deshalb in absoluter Armut lebten, schien ihnen ungeheuerlich. Helmut Feld:

    "Denn dieses Ideal enthielt ja einen beständigen wortlosen Vorwurf an die reiche und mächtige Kirche, der in seiner Radikalität über alle bisherigen Reformideen hinausging."

    In den Quellen wird überliefert, dass Kardinal Giovanni di San Paolo in dieser Situation den Papst auf ein wichtiges Argument hingewiesen habe:

    "Wenn wir dem armen Kerl die Bitte ablehnen, diese Form des Lebens zu führen, die er aus dem Evangelium übernimmt, müssen wir uns hüten, dass wir uns nicht am Evangelium Christi versündigen. Denn wer behauptet, diese Forderungen seien unvernünftig und unmöglich zu erfüllen, der lästert ohne Zweifel Christus, den Urheber des Evangeliums."

    Das leuchtete auch Innozenz dem III. sofort ein und nach einigen Beratungen mit den Kardinälen bestätigte er den Brüdern die vorgelegte Regel.

    Denn angesichts der Tatsache, dass schon Anhänger anderer christlicher Armutsbewegungen inzwischen zu Ketzern geworden waren, schien in diesem Punkt eine Wende in der Kirchenpolitik notwendig. Man wollte dazu übergehen, den gehorsamen Armutsbewegungen auch einen Platz in der Kirche zuzugestehen. Veit Jakobus Dieterich:

    "Franziskus schien für die Integration der Armutsbewegungen besonders geeignet, da er einerseits ein radikaler Armer, anderseits ein loyales Kirchenmitglied war."

    Allerdings bestätigte der Papst die Regel, die Franziskus ihm vorgelegt hatte, nur mündlich. Er wollte zunächst die weitere Entwicklung dieser Bruderschaft abwarten. Ulrich Köpf:

    "Zum anderen musste sich Franziskus gegenüber dem Papst, und dann die Brüder gegenüber Franziskus zum Gehorsam verpflichten. Außerdem erhielt die Gemeinschaft die allgemeine Erlaubnis zur Bußpredigt, nicht aber zur dogmatischen Predigt."

    Die mündliche Bestätigung der Regel im Frühjahr 1209 gilt traditionell als das Gründungsdatum des Ordens. Franziskus und seine Brüder werden das damals sicherlich nicht so empfunden haben. Er benutzt in seinen Schriften außerdem nie die Bezeichnung "ordo", also Orden, sondern immer "fraternitas", Bruderschaft.

    Als Franziskus und die Brüder Rom dann wieder verließen, sollen sie glücklich gewesen sein, dass ihr Wunsch, "die radikale Armut zu leben", vom Papst erlaubt worden war, wenn auch vorerst nur mündlich. Doch sie wussten auch, dass man an der Kurie weiterhin ihrer Bruderschaft gegenüber misstrauisch eingestellt war. Helmut Feld:

    "Es muss ihnen überdies klar geworden sein, dass das dem Papst gegebene Gehorsamsversprechen, das im Prolog der Regel festgeschrieben worden war, und die Grundforderung der Regel, die 'heilige Armut', miteinander in Konflikt geraten konnten. Und die Zukunft sollte zeigen, dass hier zwei im Grunde unvereinbare Vorstellungen zusammengespannt waren."