Archiv


Die ersten Sounddesigner der Geschichte

Archäologie.- Die Maya-Pyramiden von Chichen Itza sind eine der meist besuchten Touristenattraktionen der mexikanischen Halbinsel Yucatan. Die letzten Bewohner verließen den einst blühenden Stadtstaat um das Jahr 1400. Doch ihr Vermächtnis ist bis heute hörbar.

Von Ralf Krauter |
    Eigentlich ist der Ruf des Quetzals nur im Hochland Mittelamerikas zu hören. Denn dort, in den Nebelwäldern von Guatemala, Mexiko und Honduras, ist der grüne Vogel mit den langen Schwanzfedern und der scharlachroten Brust heimisch. Das heiße, trockene Klima Yucatans bekommt ihm nicht. Und trotzdem kann man den Quetzal auch dort hören. Zumindest, wenn man beim Besuch der Maya-Ruinen von Chichen Itza die Ohren spitzt und am rechten Ort in die Hände klatscht.

    Der kalifornische Akustik-Experte David Lubman war schon ein halbes Dutzendmal in Chichen Itza. Und jedes Mal stellte er sich wieder auf den grünen Rasen, vor eine der vier Treppen der imposanten Kukulkan-Pyramide. 91 Stufen hat jede dieser Treppen. 91 mal 4 ergibt 364. Addiert man die Sockelstufe, erhält man die Zahl der Tage eines Sonnenjahres. Doch David Lubman interessiert sich nur am Rand für solche Zahlenmystik. Der Wissenschaftler hat stets ein Mikrofon im Gepäck und nimmt den Klang auf, den die steilen Stufen zurückwerfen, wenn man davor in die Hände klatscht.

    "Ich hatte am Ende einer Versuchsreihe oft ganz rote Hände vom Klatschen. Aber das Ergebnis war immer dasselbe: Das von den Stufen in seine Frequenzen zerlegte Echo ist ein zwitscherndes Geräusch. Sein Klang ist dem Ruf des Quetzals unheimlich ähnlich. Den Mayas war dieser Vogel heilig. Sie glaubten, er sei ein Botschafter der Götter."

    Das Sonogramm, eine Art farbiges Frequenzbild vom Klatsch-Echo der Kukulkan-Pyramide, sieht dem des Quetzalrufes in der Tat verblüffend ähnlich: Ein hohes Geräusch, dass dann rasch abfällt und ausklingt. Bei gleichen Hintergrundgeräuschen wird die akustische Analogie hörbar.

    David Lubman ist überzeugt, dass die Maya-Architekten die Pyramide mit Absicht so konstruierten, dass sie den Ruf des Quetzals imitiert. Bei einer religiösen Zeremonie hätte ein Priester nur in die Hände klatschen müssen, um dem Volk die Existenz des Götterboten ins Gedächtnis zu rufen. Der Kukulkan-Tempel in Chichen Itza - eine in Stein gehauene Tonaufnahme aus grauer Vorzeit? Als David Lubman diese These 1998 erstmals öffentlich vertrat, stieß er auf Ablehnung.

    "Die Archäologen hielten zunächst gar nichts davon. Sie hielten es für absurd, zu glauben, dass die Maya das nötige Wissen hatten."

    Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Mit neuen Argumenten nahm David Lubman seinen Kritikern den Wind aus den Segeln. Der Einwand, das Zwitscher-Echo sei ein Effekt, der durch die Rekonstruktion der Treppen hervorgerufen wurde zum Beispiel, ist nach Messungen an den nicht-rekonstruierten Tempelstufen vom Tisch. Lubmans bestes Argument aber ist ein anderes: Er hat in Chichen Itza noch weitere Beispiele von "Ton-Architektur" entdeckt. Eine Flüstergalerie etwa, die es ermöglicht zwischen zwei Tempeln zu kommunizieren. Und dann wäre da noch der Ballspielplatz, wo die Mayas einst eine Art rituelles Handball mit schweren Kautschukbällen spielten. Zwei acht Meter hohe Steinmauern begrenzen die 145 Meter lange Rasenfläche.

    "In der Mitte des Spielfeldes ruft Klatschen ein flatterndes Echo hervor, das dem Gebrüll eines Jaguars ähnelt. Diese Raubkatzen verehrten die Mayas ebenfalls, wie zahlreiche Skulpturen und Gemälde in Chichen Itza belegen."

    Aber könnten mysteriöse Geräuscheffekte wie dieser nicht auch einfach nur zufällig entstanden sein?

    "Theoretisch könnte es Zufall sein. Aber dass am selben Ort bei verschiedenen Bauwerken zufällig so bemerkenswerte akustische Effekte entstanden sind, ist extrem unwahrscheinlich. Viel plausibler ist, dass Absicht dahinter steckt."

    Will heißen: Die Maya-Architekten vor über 1000 Jahren waren vermutlich die ersten Sound-Designer auf dem Planeten.