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Die ersten Tage der Berlinale
Starke Themen dominieren

Die ersten Wettbewerbsfilme der Berlinale setzen auf starke Themen. So wird mit das Flüchtlingsdrama vor der Insel Lampedusa ganz nah eingefangen oder die Flucht eines Kindes vor religiösen Eiferern. Filmisch der bislang beste Betrag ist nach Ansicht der Rezensentin eine portugiesische Liebesgeschichte über den Kolonialkrieg in Angola.

Von Maja Ellmenreich |
    Schon jetzt hat die Jury ein Problem. Wie soll sie umgehen mit einem Film, der bereits vor Berlinale-Beginn in aller Munde war, der aber – trotz starker Bilder, berührender Momente und einer kaum zu überbietenden Aktualität – der dennoch große Schwächen besitzt?
    Dokumentarfilmer Gianfranco Rosi hat mit "Fuocoammare" den Film der Stunde vorgelegt. Ein zweiteiliges Porträt der Insel Lampedusa: Da ist zum einen der zwölfjährige Samuele, der als Sohn von Fischern eine Bilderbuchkindheit erlebt. Und da sind zum anderen die zahllosen Flüchtlinge, die von italienischen Hubschraubern und Schiffen aus dem Meer gerettet werden, viele tot, viele lebendig.
    Gianfranco Rosi ist mit seiner Kamera ganz nah dran: Er zeigt, wie leblose Körper aus einem hoffnungslos überfüllten Boot gezogen werden, wie Menschen, die in allerletzter Sekunde mit dem Leben davon gekommen sind, angstvoll in die Zukunft starren.
    Schwer zu ertragene Bilder
    Bilder, die schwer zu ertragen sind. Auf ganz andere Weise schwer erträglich ist die brachiale Symbolkraft von "Fuocoammare": Auf einem Auge sieht der kleine Samuele schlecht, er klagt über Atemnot, der Arzt diagnostiziert Angst. Die Leiden des sympathischen Dreisekäsehochs sind allzu offensichtlich ein Sinnbild für das verunsicherte Europa. Rosis Idee, Heimat und Heimatlosigkeit einander gegenüberzustellen, geht nicht auf. Aber er hat beeindruckendes, ästhetisch überzeugendes Filmmaterial von der Insel mitgebracht, vielleicht hätte er lieber zwei Filme daraus gemacht.
    Was soll die Jury also tun? Soll sie Lobbyarbeit für eines der drängendsten Themen unserer Zeit betreiben? Oder soll sie den besten Film auszeichnen?
    Da ist zum Beispiel "Midnight Special" von US-Regisseur David Nichols: eine ungemein spannende Mischung aus Road-Movie und Science-Fiction. Erzählt wird die Geschichte eines achtjährigen Jungen, der mit seinen Eltern auf der Flucht ist vor religiösen Eiferern – sie sehen in ihm einen Heilsbringer - und auf der Flucht vor der Staatsgewalt - für die stellt das Kind mit seinen übersinnlichen Fähigkeiten eine Gefahr dar. "Midnight Special" verzeiht man so manch einen Griff in die Science-Fiction-Trickkiste, dafür erlebt man, wie sich gegenseitige Angst voreinander bis ins Unermessliche steigert. Das Glück in diesem Film ist ein selbstloses: Die Eltern setzen alles daran, damit ihr Wunderknabe seiner Bestimmung folgen kann.
    Ringen mit den philosophischen Überzeugungen
    Ist Glück also nur im Miteinander oder Füreinander erlebbar? Dieser Frage sieht sich etwa die Philosophiedozentin Nathalie ausgesetzt, als sie – wunderbar gespielt von Isabelle Huppert – plötzlich alleine da steht. Zum ersten Mal überhaupt darf sie erleben, wie sich Freiheit anfühlt. Und wenn sie wild gestikulierend ihren Ex-Mann ermahnt, endlich aufzuwachen, dann ahnt man, dass sie insgeheim sich selbst diesen Auftrag erteilt.
    "L'avenir" – in der deutschen Fassung "Was kommt" - heißt der Film von Mia Hansen-Løve, die selbst Tochter zweier Philosophen ist. So anstrengend es auch manchmal ist, der Hauptfigur Nathalie dabei zuzuschauen, wie sie mit den eigenen philosophischen Überzeugungen ringt, so sehr ist der Film doch auch ein Plädoyer für die Auseinandersetzung damit. Auf die Frage nach einem neuen Mann in ihrem Leben antwortet Nathalie keck: "Mein Leben ist intellektuell erfüllt – das reicht zum Glücklichsein."
    Der stärkste Film aber bisher: eine portugiesische Liebesgeschichte, ein in Szene gesetzter Briefroman. Ein junger Militärarzt zieht 1971 in den Kolonialkrieg nach Angola, seiner schwangeren Frau zu Hause schreibt er Briefe. Während die Kamera ihn ins afrikanische Kampfgebiet begleitet, liest sie aus dem Off seine Feldpost vor.
    Die schwarz-weißen Bilder erzählen vom Kämpfen und Überleben, das zum Alltag wird. Die sinnliche Tonspur erzählt vom Heimweh, vom Begehren und der Angst davor, nicht mehr nach Hause zu kommen. Eine eindrucksvolle Symbiose aus tatsächlicher Handlung und bewegtem Innenleben. "Briefe aus dem Krieg" ist filmisch der bislang wohl beste Beitrag in einem Wettbewerb, der in den ersten Tagen von starken Themen dominiert wurde.