Noch immer gibt es nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien auch aus EU-Sicht mehr Fragen als Antworten. Zugleich geht es darum, wie und ob die EU die schwere Krise durchstehen kann. Zumal sich längst eine politische Hängepartie abzeichnet -– denn weiterhin ist völlig unklar, wann der schwierige Loslösungsprozess Großbritanniens von der EU beginnen wird. Kommissionssprecher Magaritis Schinas bekräftigte noch einmal die Ermahnung in Richtung London, so schnell wie möglich den Austrittswunsch nach Artikel 50 des EU-Vertrages zu erklären. Denn erst ab dann greift die zweijährige Scheidungsfrist, kann das künftige Verhältnis zwischen der zweitgrößten Volkswirtschaft und der EU neu definiert werden, betonte Schinas: "Es gibt keine Verhandlungen ohne die Notifikation von Art. 50. Das ist unsere Meinung".
Und so schmettert die Kommission auch alle Nachfragen über die weiteren Konsequenzen bei einem Austritt Großbritanniens konsequent ab. Obwohl hinter den Kulissen zumindest in Teilbereichen längst Fakten geschaffen worden sind. Der Belgier Didier Seehus wird für den Rat die Brexit-Arbeitsgruppe leiten. Der zuständige EU-Kommissar für den Finanzmarkt, der Brite Jonathan Hill, hatte wiederum am Wochenende seinen Rücktritt für Mitte Juli angekündigt. Der Schritt war erwartet worden. Seine Zuständigkeit übernimmt Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis.
Ein EU-Kommissar bleibt den Briten - vorerst
Weil aber Großbritannien zunächst Mitglied der EU bleibt, soll das Land auch weiterhin einen Kommissar stellen. Allerdings, so heißt es, dürfte der eher mit einem nachrangigen Resort betraut werden. Kommissionschef Jean-Claude Juncker werde aber rasch mit David Cameron darüber reden, kündigte Schinas heute an: "Er ist bereit, über mögliche Namen für diesen Posten mit dem britischen Premierminister zu diskutieren".
Klar ist inzwischen auch: Die Beamten mit britischem Pass in der Kommission, knapp 1.200 von insgesamt 33.000, haben arbeitsrechtlich auch nach einem Brexit nichts zu befürchten. Juncker hat ihnen das zugesichert. Aber ihre Karrieremöglichkeiten dürften sich seit letzter Woche erheblich verschlechtert haben.
Arzneimittelbehörde und Banken-Aufsicht müssen wohl umziehen
Unklar ist dagegen, was aus den beiden großen EU-Behörden mit Sitz in London, die 2011 gegründete Bankenregulierungsbehörde EBA sowie die seit 1995 bestehende Europäische Arzneimittelbehörde EMA wird. Nach einem Austritt Großbritanniens müssten sie umziehen. Für die Bankenregulierungsbehörde sind Frankfurt und Paris im Gespräch, für die Arzneimittel-Aufsicht, die immerhin rund 600 Beschäftigte zählt, haben Deutschland, Italien, Schweden und Dänemark bereits Interesse angemeldet.
Doch erst einmal dauert der politische Aufarbeitungsprozess zur Brexit-Entscheidung an. Am Nachmittag kam das Kommissionskollegium zu einer Sondersitzung zusammen, morgen tagt zunächst das EU-Parlament, danach beginnt der EU-Gipfel. Zunächst noch mit Cameron, am zweiten Tag aber wollen die 27 Staats- und Regierungschefs schon unter sich bleiben. Thema dann: die politischen und praktischen Folgen des Brexit, aber auch die Zukunft einer EU mit nur noch 27 Mitgliedern.