Christiane Kaess: Theresa May will liefern. Die britische Premierministerin wiederholt das wie ein Mantra, und wahrscheinlich ist das die einzige Motivation, die sie in diesen Tagen durch das politische Chaos in Großbritannien steuert. May will diejenige sein, die den Brexit über die Bühne bringt. Die Frage ist nur wie, nachdem sie mit ihrem Abkommen bei den eigenen Abgeordneten gescheitert ist. Immerhin hat sie gestern Abend ein Misstrauensvotum überstanden.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Manfred Weber von der CSU. Er ist Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahl. Guten Morgen, Herr Weber.
Manfred Weber: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Welche Zugeständnisse kann die EU noch machen?
Weber: Wir reden im Moment nicht über Zugeständnisse. Es geht zunächst mal um die Klärung in London. Wie Ihr Kollege im Vorbericht ja zurecht ausgeführt hat, ist diese Frage jetzt zu klären. Man muss sehen: Wir haben jetzt über zwei Jahre verhandelt miteinander. Wir haben Gespräche geführt, haben uns in die Niederungen der Gesetzesarbeit hinabbegeben und haben dann einen Kompromiss erzielt, der von 28 Regierungen auf diesem Kontinent und drei Institutionen in Brüssel bestätigt worden ist, also von einem breiten Konsens getragen ist.
Jetzt hat das britische Parlament als einziger Nein gesagt, und deswegen liegt der Ball jetzt bei den britischen Kollegen. Sie müssen uns jetzt endlich Orientierung geben: Sagt uns endlich, was ihr wollt, wie ihr euch die zukünftigen Beziehungen vorstellt. Dann sind wir auch zu Gesprächen bereit.
"Einfach nur Zeit gewinnen, vertagt die Frage nur"
Kaess: Das ist ja gestern auch immer wieder betont worden, dieser Appell an London, den Sie jetzt auch noch mal formuliert haben. Spekuliert wird aber trotzdem, zum Beispiel über einen Aufschub des Austritts. Macht das Sinn?
Weber: Eine Diskussion über einen Aufschub des 29. März macht nur Sinn, wenn wir aus London wissen, wie der Plan aussieht. Einfach nur Zeit gewinnen, vertagt die Frage nur, die eigentlichen Fragen nur, und das haben wir zu oft gemacht in den letzten Monaten und Jahren, dass wir den Briten immer wieder nachgegeben haben, immer wieder Zeit gewonnen haben.
Kaess: Sie sagen, da muss was Konkretes auf den Tisch. Dann könnte man eventuell darüber reden. Wieviel Sorgen machen Sie sich da über die Europawahl?
Weber: In Bezug auf die Europawahl mache ich mir da weniger Sorgen zunächst mal, weil die Bürger im ganzen Kontinent sehen, was es bedeutet, wenn man Populismus und Extremismus nachgibt, wenn man glaubt, dass man seine Souveränität, wie das Nigel Farage versprochen hat, zurückgewinnen kann. Realität in der heutigen Welt ist, dass die Mitgliedsstaaten, die einzelnen Nationen dann Souveränität erhalten, wenn wir unsere Kräfte bündeln, wenn wir europäisch denken. Das ist die Realität.
Kaess: Ich meinte jetzt eher, Herr Weber, wie sich das übereinbringen lassen würde, wenn das zeitlich kollidieren würde.
Weber: Die politische Dimension, Frau Kaess, ist natürlich zentral und wichtig, dass wir deutlich machen, dass man Populisten nicht folgt. Lassen Sie mich das einfach noch sagen, dass in Deutschland die AfD für mich die deutsche Brexit-Partei ist. Sie hat das beschlossen mit dem Dexit auf ihrem Parteitag. Jeder muss wissen, was hinter dieser Partei steht, nämlich britische Verhältnisse, Unsicherheit für unser Land.
Aber ganz praktisch für die Frage Europawahl: Wenn wir verschieben, dann hätte das natürlich Einfluss auf die praktische Durchführung der Europawahlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Land, das die Europäische Union verlassen will und dafür auch einen Antrag gestellt hat, dass dieses Land auch über die Zukunftsgestaltung des Kontinents mitredet.
Deswegen: Die Zeit läuft. Es gibt nur noch wenige Wochen bis zur Europawahl, was dann der endgültige Zeitpunkt ist, wo wir dann Klarheit haben müssen. Deswegen wird es endlich Zeit, dass in Großbritannien geliefert wird.
"Britische Politik hat den Menschen nie die Wahrheit gesagt"
Kaess: Sie sagen immer wieder, London ist jetzt am Zug. Aber mal ganz ernsthaft, Herr Weber: Haben Sie geglaubt, dass Großbritannien den Backstop akzeptieren würde? Das heißt ja, Teile der Souveränität abzugeben, obwohl Großbritannien gerade versucht, seine volle Unabhängigkeit wiederherzustellen.
Weber: Der Backstop ist ja von der britischen Regierung akzeptiert worden, und man darf daran erinnern, dass der Backstop …
Kaess: Aber nicht vom Parlament, und darum dreht sich jetzt das Ganze. Hat die EU hier einen riesengroßen Fehler gemacht?
Weber: Wir sind sehr selbstkritisch. Wir laufen dauernd mit gesenktem Haupt durch die Gegend und sagen, was wir Europäer alles für Fehler gemacht haben. Der große Fehler ist passiert, als die britische Politik den Menschen in Großbritannien nie die Wahrheit gesagt hat, was passiert, wenn sie für den Brexit stimmen. Es wurde nie ehrlich reiner Wein eingeschenkt.
Kaess: Da ist ja wieder der Fehler auf der britischen Seite, so wie Sie es gerade darstellen.
Weber: Natürlich! Ich bin auch der Meinung, dass die Briten Schuld sind. Dass wir in Europa Reformbedarf haben, steht außer Frage, und dass ich der Meinung bin, dass wir zunächst Europa reformieren, das wird mein Wahlprogramm auch als Wahlkämpfer sein. Aber bei der britischen Frage haben die Briten viele Fehler gemacht.
"Beim Backstop geht es um Frieden in Nordirland"
Kaess: Das ändert jetzt auch nichts an der Tatsache, dass sich im Moment alles wieder an dieser Backstop-Frage verhakt. Ist es vorstellbar, den Backstop aus dem Abkommen rauszunehmen?
Weber: Ich darf noch mal darauf hinweisen, dass der Backstop eine britische Idee war, um Probleme zu lösen, und jetzt ist er in Großbritannien umstritten. Die Idee hinter dem Backstop ist, dass wir dauerhaft sicherstellen können, dass es in Nordirland keine harte Grenze gibt. Da geht es um Frieden in Nordirland. Da geht es um die Frage, ob Gewalt wiederkommt.
Deswegen ist die Vereinbarung, die wir getätigt haben, der richtige Weg, um diesen Frieden in Nordirland zu sichern und dauerhaft sicherzustellen. Wir machen ja nicht solche technischen Ansätze wie Backstop, nur weil wir irgendwie technisch Lust an solchen Debatten haben. Da steckt ja Politik dahinter und in dieser Frage sehr substanzielle Politik, nämlich die Friedenssicherung in Nordirland.
Kaess: Aber die Alternative ist jetzt eventuell ein ungeordneter Brexit, und der kommt ja dann aufs Gleiche raus, aber mit noch mehr Chaos.
Weber: Aber trotzdem dürfen wir doch bei den Verhandlungen nicht sagen, wir geben jetzt alles nach als Europäer, an das wir glauben, nur weil Großbritannien sich im politischen Chaos befindet. Ich glaube zum Beispiel an die Idee der Freizügigkeit, dass jeder Europäer sich auf dem Kontinent frei seinen Wohnort suchen darf. Das ist eine der großen Errungenschaften dieses Kontinents und das lasse ich mir auch durch den Brexit in keinster Weise, in irgendeiner Form beschädigen.
Deswegen: Wir werden zu unseren Werten stehen. Wir werden das verteidigen, was Europa heute ausmacht. Wenn die Briten nicht mehr dabei sein wollen, dann müssen sie mit den Konsequenzen leben. Dann wird es für Großbritannien schwierig.
Ich kann auch nichts Besseres Ihnen sagen, wissen Sie, weil der Brexit auf jeden Fall eine Lose-Lose-Situation ist.
"Es geht nicht nur um Großbritannien in dieser Frage, es geht um viele andere Interessen"
Kaess: Herr Weber, ich möchte trotzdem gerne noch mal zurück zu dem Backstop, denn das ist einfach der Knackpunkt, um den es jetzt geht. Sollte die EU versuchen, die Regierung in Dublin zu überzeugen, sich da zu bewegen? Denn letztendlich ist das ja diejenige, auf die man sehr große Rücksicht nimmt von EU-Seite aus.
Weber: Ich bleibe dabei: Jetzt liegt der Ball in London und Nachverhandlungen sind aus meiner Sicht für den Austrittsvertrag nicht denkbar. Es ist ein Kompromiss von 28 Staaten, die sich vereinbart haben. Wenn Großbritannien weitere Forderungen auf den Tisch legt für die Nachverhandlungen, dann ist es auch das Recht beispielsweise Spaniens in der Gibraltar-Frage weitere Forderungen auf den Tisch zu legen. Dann wird das gesamte Paket wieder aufgemacht. Dann werden alle Interessen neu abgewogen, nicht nur die britischen Interessen neu abgewogen, und das müssen die britischen Kollegen wissen.
Es geht nicht nur um Großbritannien in dieser Frage, es geht um viele andere Interessen, die alle ausgewogen werden müssen, und auch wir im Europäischen Parlament müssen zustimmen, nicht nur das britische Unterhaus muss zustimmen.
Kaess: Nein, das ist klar. Aber wenn es jetzt darum geht, einen Kompromiss zu finden, müssen Sie sich ja Gedanken machen über die Szenarien, die anstehen könnten. Da stellt sich ja die Frage: Fällt der Brexit ohne Abkommen der EU vielleicht viel mehr auf die Füße, weil die irische Regierung will ja auf keinen Fall eine harte Grenze, und dann haben Sie das Risiko, dass es dann zu einer unkontrollierten EU-Außengrenze kommt.
Weber: Das wird man dann sehen, wenn es soweit ist. Klar ist, dass die Rechtslage in Europa eindeutig ist in diesem Zusammenhang. Der einfachste Weg, den Backstop zu verhindern, um das noch mal konstruktiv zu formulieren, wäre, dass uns die britischen Kollegen jetzt endlich sagen, was sie wollen.
Ich nenne nur ein Beispiel: Wenn wirklich für Norwegen - wir haben ja Länder, die nicht in der EU sind, aber eng angebunden sind -, wenn die Briten sich für ein ähnliches Modell wie Norwegen entscheiden, wenn wir da Mehrheiten hätten dafür, wenn die uns endlich sagen, was sie wollen, dann wäre morgen oder übermorgen so ein Vertrag relativ schnell umsetzbar. Unser Problem ist der luftleere Raum. Wir haben keine Orientierung, was Großbritannien will.
"Unser Problem ist, dass Großbritannien keine Antwort geben kann"
Kaess: Aber Sie wollen ja noch nicht mal auf diesen Knackpunkt Backstop eingehen, worüber ich seit fünf Minuten versuche, mit Ihnen zu diskutieren.
Weber: Frau Kaess, ich habe gerade versucht, eine konstruktive Antwort zu geben. Der Backstop greift erst dann, wenn wir nach zwei Jahren Verhandlungen nach wie vor keine Lösung haben, also im Jahre 2021, oder vielleicht sogar 2023, weil wir maximal vier Jahre jetzt Verhandlungszeit noch mal vereinbart haben, wo der Backstop nicht greift. Und dieser Backstop greift nur dann, wenn wir uns nicht einigen können.
Anders herum formuliert: Wenn uns die Briten sagen, wir nehmen das Norwegen-Modell, oder wir nehmen das Kanada-Modell mit einem Freihandelsabkommen, dann sind wir innerhalb von einem Jahr, weil das Modell existiert ja bereits, abschlussfähig. Dann sind wir schnell abschlussfähig und dann können wir schnell wieder zur Tagesordnung übergehen.
Unser Problem ist nicht, dass kein Wille da ist; unser Problem ist, dass Großbritannien keine Antwort geben kann, und deswegen müssen Sie mir gestatten, auf das zu insistieren, dass die Briten uns sagen müssen, was sie wollen.
Kaess: Aber, Herr Weber, dann wären Sie doch in Ansätzen dazu bereit, oder Ihrer Meinung nach sollte die EU dazu bereit sein, diese sogenannte Rosinenpickerei Großbritanniens ein Stück weit auch weiter mitzumachen, weil letztendlich, wenn das dazu führen würde, dass Großbritannien doch dann einen einigermaßen geregelten Brexit hinbekommt, auch die EU davon profitieren würde.
Weber: Wir wollen weiter vernünftige Beziehungen, freundschaftliche, partnerschaftliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich. Deswegen werden wir auch Zugeständnisse machen und die sind auch in diesem Vertrag bestätigt, diese Zugeständnisse. Wenn wir das größere Bild noch mal sehen, dann stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen als Europäer, mit der Verteidigungsfrage, Schlagwort NATO-Stabilität, mit Wladimir Putin, mit der chinesischen Wirtschaftsmacht.
Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen und da will ich ein geeintes Europa, eine EU der 27, die zusammensteht. Da ist die letzten Jahre auch wegen des Brexits das Zusammenrücken eher stärker geworden denn schwächer. Und ich will, dass wir eng an der Seite auch von Großbritannien weiter arbeiten und Drähte aufbauen und Kontakte aufbauen und Verbindungen stärken. Deswegen: Wir wollen die Partnerschaft. Ich muss, auch wenn es sich manchmal langweilig anhört, sagen: Bitte kommt zu Potte. Bitte sagt uns, was ihr wollt.
Kaess: Sagen Sie uns zum Schluss noch zu dieser Geschlossenheit der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Das haben Sie jetzt immer wieder betont, auch in den letzten Tagen, dass die Schulter an Schulter stehen und dass das eine große Errungenschaft ist. Aber ist die Gruppe eigentlich noch so geschlossen?
Es heißt ja, die Nordländer wollen den Brexit ohne Abkommen unbedingt verhindern, also eventuell auch Zugeständnisse, und die eher südlichen Länder wollen Großbritannien auf keinen Fall weiter entgegenkommen. Sehen Sie da erste Risse?
Weber: Ich habe gestern mit dem spanischen Premierminister darüber gesprochen im Europäischen Parlament, vorgestern mit Sebastian Kurz. Ich sehe in der Europäischen Union derzeit keine Spaltung. Wir haben eine klare Position, dass es keine Nachverhandlungen in der Sache gibt, in dem Verhandlungsergebnis gibt, weil es ein breiter Konsens ist, der erzielt worden ist.
Ich sehe aber auch den breiten Willen, dass man jetzt ins Gespräch kommt, dass man jetzt schaut, ob uns Großbritannien die Orientierung gibt und ins Gespräch kommt. Deswegen sehe ich keine Nord-Süd-Spaltung, sondern den gemeinsamen Willen, jetzt voranzugehen. Theresa May hat jetzt zumindest mal für Stabilität gesorgt, dass sie die Vertrauensabstimmung überstanden hat. Das gibt uns Gott sei Dank, muss ich sagen, Stabilität bei den Verhandlungspartnern.
Und jetzt ran an die Verhandlungsgespräche. Wenn die Oppositions- und Regierungsgespräche in Großbritannien hoffentlich Früchte tragen, dann kann man hoffentlich einen Schritt weiterkommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.