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Die EU und Katalonien
"Brüssel ist dringend abzuraten, sich hier einzumischen"

Der Konflikt zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung sei an einem toten Punkt angelangt, sagte Joachim Fritz-Vannahme von der Bertelsmann-Stiftung im Dlf. Die Europäische Union könne hier aber nicht als neutraler Mittler aufzutreten. Das könnten vielleicht andere internationale Organisationen.

Joachim Fritz-Vannahme im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Joachim Fritz-Vannahme, Bertelsmann-Stiftung, Direktor des Programms "Europas Zukunft"
    Joachim Fritz-Vannahme, Bertelsmann-Stiftung, Direktor des Programms "Europas Zukunft" (Bertelsmann-Stiftung / Katrin Christiansen)
    Jasper Barenberg: Wann es geschieht, ist noch nicht klar, ob Katalonien am Freitag, am kommenden Wochenende oder Anfang nächster Woche seine Abspaltung von Spanien erklärt. Dass die Regionalregierung diesen Schritt gehen wird und gehen will, daran lässt der Regierungschef in Barcelona keinen Zweifel, obwohl das Referendum gerichtlich untersagt wurde, obwohl es Madrid für illegal hält, obwohl es grundlegende Regeln für solche Abstimmungen missachtet hat.
    Joachim Fritz-Vannahme leitet bei der Bertelsmann-Stiftung das Europaprogramm. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Tag.
    Joachim Fritz-Vannahme: Schönen guten Tag.
    Barenberg: Herr Fritz-Vannahme, wie ernst schätzen Sie die Situation ein?
    Fritz-Vannahme: Die Situation ist sehr ernst. Aber das ist ja nicht neu und auch nicht überraschend. Da rasen doch seit Jahren zwei Züge aufeinander zu und keiner findet im Stellwerk irgendwo den richtigen Knopf, um diese Raserei noch rechtzeitig zu beenden. Madrid beharrt darauf, dass alles mit rechten Dingen, vor allem mit rechtsstaatlichen Dingen zugeht. Die Katalanen beharren darauf, dass sie gerne Rechte hätten, die andere in Spanien, Baskenland beispielsweise, haben, oder vielleicht auch das Recht wirklich erringen, eine unabhängige Nation zu werden.
    Barenberg: Würden Sie sagen, die Verantwortung für diese Entwicklung liegt zu gleichen Teilen in Madrid und in Barcelona?
    "Der Vergleich mit den Schotten ist nicht ganz statthaft"
    Fritz-Vannahme: Ich glaube, wenn man es über die Jahre hin anschaut, ja. Denn egal wer in Madrid regiert hat, ob das dann der Sozialist Zapatero war, oder jetzt der Christkonservative Rajoy, man hat sich gegenüber Katalonien immer ähnlich verhalten. Der Justizapparat bis hoch zum Verfassungsgericht hat ebenfalls immer in einer Richtung Recht gesprochen. Da mussten sich katalanische Nationalisten schon berufen fühlen, auch mal ernst zu machen und den nächsten Schritt in Richtung Unabhängigkeit zu tun. Umgekehrt kann man sich natürlich fragen: Wenn man in einem Rechtsstaat und in einem befriedeten Europa, in einer Europäischen Union lebt, ist eigentlich die Abspaltung noch der wirklich adäquate Schritt. Ich finde den Vergleich, den man hier und da ja auch hört, mit den Schotten nicht ganz statthaft, denn die Schotten stehen nach dem Brexit ja vor einer ganz anderen Situation. Als Schotten wollten sie ganz gerne weiterhin zur EU gehören, als Briten werden sie jetzt hinauskomplimentiert. Das ist in Katalonien ganz, ganz anders gelagert.
    Barenberg: Dem Ministerpräsidenten in Madrid, Rajoy, wird ja oft jetzt der Vorwurf gemacht, er hätte die Dinge zu lange einfach laufen lassen und zu spät reagiert, und jetzt hätte er das große Problem, dass dieser Polizeieinsatz, dieser massive Polizeieinsatz ganz gewaltig auf ihn selbst zurückschlägt. Teilen Sie diese Kritik an dem Ministerpräsidenten speziell?
    "Rajoy ist politisch zu kritisieren, rechtlich nicht"
    Fritz-Vannahme: Ja. Ich glaube, da ist einiges richtig dran. Man muss einfach sehen: Er hat sich auf Gesetz und die Buchstaben des Gesetzes immer wieder berufen, bis hin zu den Urteilen, die von unabhängigen Gerichten ja gefällt worden sind, gegen die katalanischen Separatismuspläne. Ich glaube, er war politisch kritikabel und politisch zu kritisieren, rechtlich nicht. Ich meine, rechtlich ist die Position, die er einnimmt und eingenommen hat, kaum angreifbar. Aber ob dann der politische Verstand sich einfach nur an die Rechtsprechung halten sollte, ist noch mal eine ganz andere Frage. Da wären mit Sicherheit Spielräume drin gewesen, übrigens auch Spielräume für den König, der hier natürlich auch nicht kritisierbar ist, weil er sagt, Recht muss Recht bleiben, aber vielleicht kritisierbar ist, weil er die Geste, die im Augenblick politisch-psychologisch nötig gewesen wäre, nicht gemacht hat.
    Barenberg: Heißt das alles zusammen genommen, Herr Fritz-Vannahme, auch, dass im Moment eine Lösung unter den Beteiligten - wir sprechen über den Ministerpräsidenten in Madrid, den Regionalregierungschef in Barcelona und den König -, dass unter diesen Beteiligten eine Lösung nicht möglich ist oder nicht gangbar scheint?
    "Es wird keine rein spanische Lösung geben"
    Fritz-Vannahme: Von außen betrachtet zweifelsohne. Es wird keine rein spanische Lösung geben. Deswegen ist der Ruf nach der Europäischen Union, nach der Europäischen Kommission oder dem europäischen Ratspräsidenten durchaus verständlich. Ich würde allerdings den Brüsselern dringend abraten, sich hier einzumischen, denn der Vertrag, in dem Fall der Europäischen Union ist absolut eindeutig. Die Kommission, genau wie die Ratspräsidentschaft ist aufgerufen, die wirtschaftliche, soziale und territoriale Einheit der Union zu bewahren. Das heißt, sie haben im Grunde genommen von dem Vertrag her einen eindeutigen Auftrag bekommen und können jetzt nicht bei einer Bewegung, die ja letztlich zu einer Trennung Kataloniens von Spanien führt, sich einmischen. Das ist leider jenseits der Möglichkeiten der Europäischen Union, hier als neutraler Mittler aufzutreten. Ob das psychologisch-politisch überhaupt machbar wäre, ist auch ganz, ganz schwer zu entscheiden, denn wie gesagt: Der Konflikt datiert ja nicht vom letzten Wochenende, sondern er zieht sich über Jahre, Jahrzehnte mittlerweile hin, und ist unter ganz unterschiedlichen Umständen schon an einem toten Punkt angekommen und jetzt erneut an einem völlig toten Punkt angekommen, und ich denke, es hier sehr, sehr schwierig, mit den innerspanischen Instanzen eine Lösung zu finden. Ich würde dringend davor warnen, dass die Europäische Union sich einmischt. Ich könnte mir eher vorstellen, dass man seitens der OSZE oder der UNO eine Mittlerposition irgendwo einnimmt, weil man dort rechtlich einfach nicht so stark eingebunden ist, wie das die Europäische Union wäre.
    Barenberg: Um da noch mal nachzufragen, weil Sie das so kategorisch sagen, dass Sie der EU abraten würden, sich dort einzuschalten. Wenn Sie aus den Verträgen zitieren, dass dort auch von der territorialen Einheit die Rede ist, wäre das nicht ein Grund geradezu, sich einzuschalten, weil genau das jetzt ja auf dem Spiel steht und in Gefahr zu geraten scheint?
    "Bei der Abspaltung dürfen wir euch eigentlich nicht helfen"
    Fritz-Vannahme: Aber dann würde ja die Europäische Union, dann würde ja Brüssel denselben Standpunkt einnehmen wie Madrid, und das wird wiederum in Barcelona und in Katalonien auf taube Ohren stoßen. Das ist genau das Verfahrene an der Situation. Natürlich könnte die Europäische Union sagen, ich mache mir Sorgen um den territorialen Zusammenhalt, der Vertrag gibt mir eigentlich sogar die Pflicht auf, dafür zu sorgen, dass dieser gewahrt bleibt. Aber in dem Augenblick würde sie in den Augen der Katalanen zur Partei werden und im Grunde genommen den Einheitsstaat Spanien verteidigen müssen.
    Barenberg: Aber nun hat ja Barcelona ausdrücklich eine Vermittlerrolle seitens der EU sich gewünscht, und das wurde dann abschlägig aus Brüssel entschieden, eben aus diesem Grund, dass man nicht Partei sein möchte.
    Fritz-Vannahme: Ja, ja, genau das. Aber das ist natürlich auch die Schwierigkeit. Wenn man sich diesen Auftrag zu Herzen nimmt und ihn wirklich ausführt, bliebe einem Jean-Claude Juncker oder auch einem Donald Tusk als Verhandlungsführer gar nichts anderes übrig, als den Katalanen zu sagen, wir können euch bei eurem Verlangen nach mehr Autonomie vielleicht helfen und gucken, dass wir mit Madrid vielleicht in ein Einvernehmen kommen, aber bei der Abspaltung dürfen wir euch eigentlich überhaupt nicht helfen, weil das natürlich gegen den territorialen Zusammenhalt und damit gegen unseren eigenen Auftrag verstößt.
    Barenberg: Insofern wäre das auch genau richtig, was wir jetzt von der Bundeskanzlerin an diesem Vormittag aus der Regierungspressekonferenz gehört haben, gefragt, ob sie denn eine Vermittlungsmission sich vorstellen könnte: Nein, das strebe sie nicht an, hat ihr Sprecher gesagt. Und: Alle notwendigen Diskussionen werden in Spanien geführt. Damit allerdings nimmt sich die EU raus, nehmen sich auch die politisch Verantwortlichen in den Beitrittsländern raus und lassen alles einfach so laufen?
    "An dem Zustand sind zwei Parteien beteiligt und auch schuld"
    Fritz-Vannahme: Ja das ist natürlich das Verfahrene daran. Aber noch mal: Der Zustand ist nicht neu. An dem Zustand sind zwei Parteien gleichermaßen, wie ich eingangs erklärt habe, beteiligt und auch schuld. Jeder trägt da sein Päckchen für sich selbst auch an Verantwortung mit. Ich könnte mir wie gesagt einen ganz neutralen Mittler unter Umständen noch vorstellen. Ein Mittler, der selbst gebunden ist durch seine eigenen Mandate und durch sein eigenes Selbstverständnis, der wird nicht schrecklich viel zu vermitteln haben, sondern er wird ganz, ganz schnell entweder bei der einen Partei, oder bei der anderen Partei landen und deswegen für das jeweilige Gegenüber unglaubwürdig.
    Barenberg: … sagt Joachim Fritz-Vannahme, der bei der Bertelsmann-Stiftung das Europaprogramm leitet. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag und das Gespräch, Herr Fritz-Vannahme.
    Fritz-Vannahme: Gerne geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.