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"Die Evolutionstheorie ist am Ende"

Es gibt keine Theorie in der biologischen Wissenschaft, die so eng mit nur einem Namen verknüpft ist wie die Evolutionstheorie mit Charles Darwin. Sein Werk "Über die Entstehung der Arten" war eine Revolution und erklärte, dass die Arten nicht von jetzt auf gleich nebeneinander standen, sondern durch Selektion und zufällige Mutation entstanden sind. Dieser Gedanke empört christliche wie auch islamische Fundamentalisten gleichermaßen. In der Türkei versuchen nun Kreationisten diese Erkenntnis, auf der 50 Jahre Wissenschaft fußen, für falsch zu erklären. Ein Bericht von Gunnar Köhne.

    Der Film trägt den Titel "Die gefälschten Belege der Evolution". In schnellen Sequenzen ziehen Dinosaurier, Menschenschädel und Fossilienfunde vorbei - und der Kommentator schärft dem Zuschauer ein: Die Evolution hat nicht stattgefunden. Allah erschuf die Welt so wie sie heute ist, samt seiner Geschöpfe.

    Vertrieben wird das Video vom türkischen "Verein für Wissenschaft und Forschung" hinter welchem wiederum Adnan Oktar steckt, einer der einflussreichsten und geldmächtigsten Islamisten der Türkei. Unter dem Pseudonym "Harun Yayha" vertreibt Oktar hunderte Bücher und Filme gegen die Evolutionstheorie - weltweit und in dutzende Sprachen übersetzt. Der Sitz des Vereins im Istanbuler Stadtteil Sisli sieht aus wie eine moderne Firmenzentrale: Teppichboden, Möbel aus Chrom und Glas , und nirgendwo sind Angestellte mit Kopftuch oder Bart zu sehen. Tarkan Yavas ist Unternehmer und ehrenamtlich für den Verein tätig. Im klimatisierten Besucherzimmer berichtet Yavas zufrieden vom Kampf gegen die Evolutionstheorie:

    "Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Türken nicht an die Evolutionstheorie glaubt. Das ist im Wesentlichen dem Einsatz von Adnan Oktar zu verdanken, der im Internet und in seinen Büchern die Wahrheit über diese Theorie zeigt. In der ganzen Welt wird die Evolutionstheorie inzwischen hinterfragt. Auch von immer mehr seriösen Wissenschaftlern. Die Evolutionstheorie ist am Ende."

    Die Kreationisten, wie sie sich nennen, fühlen sich in der Türkei im Aufwind. Durch das Internet finden ihre Thesen weite Verbreitung, vor allem in Indonesien und Malaysia sowie unter den in Westeuropa lebenden Türken. In den Medien wird spekuliert, dass islamistische Unternehmer die Arbeit der Kreationisten finanzieren. Fast wöchentlich halten Anhänger von Harun Yayha in der Türkei Konferenzen ab oder eröffnen Ausstellungen in Einkaufszentren, in denen sie für ihre Sicht auf das Entstehen des Lebens werben: Nämlich, dass Mensch und Tier von Gott vollständig entwickelt und zur gleichen Zeit erschaffen wurden – und sie sich nicht im Laufe eines Millionen Jahre dauernden Prozesses entwickelt haben.

    Anfang des Jahres warnten 700 türkische Naturwissenschaftler in einem offenen Brief an das Erziehungsministerium vor dem wachsenden Einfluss der Kreationisten in Schulen und Universitäten des Landes. Özgür Genc von der Bosporus-Universität hat den Appell mit unterzeichnet:

    "Obwohl die Evolutionstheorie immer noch Bestandteil des Curriculums ist, wird sie von vielen Biologielehrern in Mittelschulen einfach nicht mehr behandelt. Sie sind verunsichert und werden unter Druck gesetzt – von Eltern und von den Kreationisten, die den Schulen dauernd Filme und Bücher zuschicken. Und die Regierung lässt in einigen neuen Biologiebüchern Zweifel an der Evolutionstheorie zu. In einem Schulbuch heißt es zum Beispiel: ‚Darwin stellte die Hypothese auf, nach der neue Spezies durch Selektion entstanden sind. Aber er war sich über die Ergebnisse seiner Forschung selbst so unsicher, das er sie zu Lebzeiten nicht publizieren wollte.’ Noch vor ein paar Jahren stand an dieser Stelle des Schulbuches: ‚Die Evolution ist eine Tatsache.’"

    Als im vergangenen März bekannt wurde, dass Istanbuler Schulklassen eine Anti-Darwin-Ausstellung der Kreationisten um Harun Yahya besucht hatten, griffen liberale Medien die religiös-konservative Regierung an. Doch Erziehungsminister Celik wiegelte ab und sagte, die Evolutionstheorie sei doch nur eine unter vielen.

    Sie hätten gute Beziehungen zum Erziehungsministerium, sagt Cihat Gündogdu vom "Verein für Wissenschaft und Forschung". Der Arzt behauptet, die Belege der Evolutionisten seien alle gefälscht:

    "Um die angebliche Abstammung des Menschen vom Affen nachzuweisen, wird im Britischen Museum ein Zahn ausgestellt, der dem so genannten ‚Nebraska-Menschen’, einem Vorläufer des Menschen gehören soll. Aber hinterher hat sich herausgestellt, dass der Zahn weder einem Menschen oder Affen, sondern einem Wildschwein gehörte!"

    Der Allmächtige hat Himmel und Erde und alles was dazwischen liegt in sechs Tagen erschaffen – so steht es in Koran und Bibel gleichermaßen und darum muss es so gewesen sein. Da sind sich islamische und christliche Fundamentalisten einig. So ist es nicht verwunderlich, dass in den Videos von Harun Yahya fast ausschließlich Filmmaterial US-amerikanischer Kreationisten gezeigt wird.