Christoph Heinemann: Unzählige Male hat er die "Meistersinger"-Ouvertüre gehört. Wolfgang Wagner ist tot, der frühere Leiter der Richard-Wagner-Festspiele starb gestern im Alter von 90 Jahren in Bayreuth. Rund ein halbes Jahrhundert lang leitete Wolfgang Wagner den Grünen Hügel, ab 1951 mit seinem Bruder Wieland, nach dessen Tod 1966 allein. Wir hören Wolfgang Wagner:
O-Ton Wolfgang Wagner: Ich persönlich wäre ein schlechter Enkel, wenn ich nicht hierfür mich ganz einsetzen würde, nachdem schon so viele meiner Familie es vorher taten.
Heinemann: Am Telefon ist der Opern- und Theaterregisseur Hans Neuenfels. Guten Tag!
Hans Neuenfels: Guten Tag.
Heinemann: Er hat sich ein halbes Jahrhundert ganz eingesetzt. Welche entscheidenden Veränderungen und Verbesserungen sind ihm in dieser Zeit gelungen?
Neuenfels: Ich denke vor allen Dingen, dass er es geschafft hat mit seiner Frau Gudrun Wagner, die auch verstorben ist, und das darf man nicht vergessen, wie wichtig diese symbiotische Beziehung dieser zwei Menschen war. Er hat es geschafft, diesen erratischen Block Bayreuth durch alle möglichen Miss- und Zerrformen von Zeiten konzentriert zu führen und auch teilweise natürlich – nennen wir mal zwei extreme Engagements; das war das von Chéreau und das von Schlingensief – das zu öffnen.
Heinemann: Die Bayreuther Festspiele sind in jedem Jahr ausgebucht. War der Künstler Wolfgang Wagner ebenso erfolgreich wie der Betriebswirt?
Neuenfels: Ich denke nicht. Was wir von seinem Bruder Wieland Wagner überlassen bekommen haben, das sieht bedeutend inspirativer und innovativer aus als das von Wolfgang Wagner. Ich würde sagen, dass die Fähigkeit von Wolfgang Wagner vor allem die des Leitens war und des Organisierens, aber Organisieren im Sinne eines höchst sensiblen Wissens um Menschen und gleichzeitig auch um das musikalische Wohl von Wagner.
Heinemann: Also als Regisseur hat er keine Maßstäbe gesetzt?
Neuenfels: Das kann man nach dem, was man weiß, nicht sagen.
Heinemann: Hätte er sich früher vom Grünen Hügel verabschieden sollen?
Neuenfels: Das finde ich immer eine Anmaßung von anderen Menschen, so was zu sagen. Da halte ich mich total raus. Das war sein Leben, das war sein Schicksal und die Schlappen, die vielleicht uns da übel aufgestoßen sind, die muss man bei einem solchen verdienstvollen Leben und einem so großen Einsatz mit schlucken.
Heinemann: Herr Neuenfels, was muss sich auf dem Grünen Hügel ändern, damit Bayreuth bleibt was es ist?
Neuenfels: Ich denke, man muss das Werk von Wagner bedeutend krasser, kontrastreicher, vielschichtiger und konträrer noch ausdrücken wollen, ausformen wollen und zur Diskussion stellen, und natürlich – das tun ja inzwischen auch die zwei Erbinnen – auch eine andere Form der Öffnung zum Publikum, zur Presse, ja überhaupt zur Öffentlichkeit, zum diskursiven Sinn muss passieren.
Heinemann: Katharina Wagner hat gesagt, sie könne sich auch Wagners Musik auf Originalinstrumenten, das heißt dem klassischen Instrumentarium der Zeit vorstellen. Aber an einen Siegfried Rumpf auf dem Naturhorn müssten sich Wagnerianer erst mal gewöhnen, oder?
Neuenfels: Ja. Das sind alles Überlegungen, die stehen immer bei einer Person, wenn sie sagt, das soll doch jeder so sagen, wie er sich das vorstellt und das gehört dazu. Da muss ich ja nicht direkt drauf antworten, oder?
Heinemann: Schön wäre es, wenn Sie es könnten!
Neuenfels: Wie?
Heinemann: Schön wäre es, wenn Sie es täten!
Neuenfels: Na ja, ich persönlich bin da ein bisschen bedeckt bei solchen Dingen. Ich denke, man sollte sich nicht zu sehr in die Retrospektive und in die Historie bewegen, sondern man sollte das tun, was ein Werk ins Heute bringt, und da ist so viel Aktuelles, so viel Zeitgenössisches aufzuspüren, dass man da versuchen sollte, vielleicht auf anderen Ebenen sich zu bemühen.
Heinemann: Herr Neuenfels, zu Wolfgang Wagners Jugend gehören Adolf Hitlers Besuche auf dem Grünen Hügel und auch im Haus der Familie, Haus Wahnfried. Haben sich die Festspiele, hat sich die Familie in ausreichender Weise mit diesem Teil der Geschichte beschäftigt?
Neuenfels: Das kann ich nicht beurteilen. Zumindest hat man sich mit der Familie über diesen Zustand literarisch wie biografisch genügend beschäftigt. Ob die Familie es getan hat, kann ich nun wirklich nicht beurteilen. Das würde ich mich auch nicht trauen zu beurteilen. Aber das Werk von Richard Wagner, auf den ich mich dann am liebsten beziehe, ist, glaube ich, auf dem besten Wege, sich generell zu ändern, zu entnazifizieren, falls es jemals den Anruch haben hätte können. Ich meine, nur weil ein Verbrecher wie Hitler ein Genie wie Wagner benutzt, ist natürlich auf keinen Fall die Musik dieses Genies faschistisch. Das muss man ja einfach mal feststellen.
Heinemann: Auf dem Grünen Hügel geht es auch um die Bewahrung eines Teils unseres kulturellen Erbes, unseres Patrimoniums. Wie kann man jungen Menschen, die mit Klassik kaum etwas am Hut haben, Richard Wagners Musik näher bringen, sie dafür begeistern, ohne dass sie gleich ihr Handy oder ihr Nintendo bearbeiten?
Neuenfels: Generell muss man natürlich nicht vergessen, dass diese Konzentration, die der Grüne Hügel ausströmt, erst mal etwas ganz ungeheuerlich Positives ist in einer Zeit, die sich total zerfasert und über die Probleme schnell hinwegspringt. Ich kann mir vorstellen, dass eine Jugend auch bereit ist und vielleicht sogar besonders neugierig ist, wie intensiv und nahezu – ich gebrauche das Wort ruhig – manisch man sich mit einem einzigen Komponist beschäftigt und dessen vielseitigen Möglichkeiten, die ja nicht nur musikalischer Natur sind, sondern die natürlich auch in der Schriftweise, in seinen Schriften von Wagner auch durchaus strittig und eigenartig sind, weil er ja mehr berührt als ein musikalisches Insider-Wesen, sondern er berührt ja wirklich eine ganze Welt und vor allen Dingen die deutsche Welt. Das darf man nicht vergessen.
Heinemann: Und ein wichtiges Wort haben Sie genannt: neugierig. Wir sind neugierig auf Ihren Lohengrin in diesem Jahr. – Der Regisseur Hans Neuenfels zum Tot des Festspielleiters und Regisseurs Wolfgang Wagner. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Neuenfels: Ich danke und auf Wiederhören.
O-Ton Wolfgang Wagner: Ich persönlich wäre ein schlechter Enkel, wenn ich nicht hierfür mich ganz einsetzen würde, nachdem schon so viele meiner Familie es vorher taten.
Heinemann: Am Telefon ist der Opern- und Theaterregisseur Hans Neuenfels. Guten Tag!
Hans Neuenfels: Guten Tag.
Heinemann: Er hat sich ein halbes Jahrhundert ganz eingesetzt. Welche entscheidenden Veränderungen und Verbesserungen sind ihm in dieser Zeit gelungen?
Neuenfels: Ich denke vor allen Dingen, dass er es geschafft hat mit seiner Frau Gudrun Wagner, die auch verstorben ist, und das darf man nicht vergessen, wie wichtig diese symbiotische Beziehung dieser zwei Menschen war. Er hat es geschafft, diesen erratischen Block Bayreuth durch alle möglichen Miss- und Zerrformen von Zeiten konzentriert zu führen und auch teilweise natürlich – nennen wir mal zwei extreme Engagements; das war das von Chéreau und das von Schlingensief – das zu öffnen.
Heinemann: Die Bayreuther Festspiele sind in jedem Jahr ausgebucht. War der Künstler Wolfgang Wagner ebenso erfolgreich wie der Betriebswirt?
Neuenfels: Ich denke nicht. Was wir von seinem Bruder Wieland Wagner überlassen bekommen haben, das sieht bedeutend inspirativer und innovativer aus als das von Wolfgang Wagner. Ich würde sagen, dass die Fähigkeit von Wolfgang Wagner vor allem die des Leitens war und des Organisierens, aber Organisieren im Sinne eines höchst sensiblen Wissens um Menschen und gleichzeitig auch um das musikalische Wohl von Wagner.
Heinemann: Also als Regisseur hat er keine Maßstäbe gesetzt?
Neuenfels: Das kann man nach dem, was man weiß, nicht sagen.
Heinemann: Hätte er sich früher vom Grünen Hügel verabschieden sollen?
Neuenfels: Das finde ich immer eine Anmaßung von anderen Menschen, so was zu sagen. Da halte ich mich total raus. Das war sein Leben, das war sein Schicksal und die Schlappen, die vielleicht uns da übel aufgestoßen sind, die muss man bei einem solchen verdienstvollen Leben und einem so großen Einsatz mit schlucken.
Heinemann: Herr Neuenfels, was muss sich auf dem Grünen Hügel ändern, damit Bayreuth bleibt was es ist?
Neuenfels: Ich denke, man muss das Werk von Wagner bedeutend krasser, kontrastreicher, vielschichtiger und konträrer noch ausdrücken wollen, ausformen wollen und zur Diskussion stellen, und natürlich – das tun ja inzwischen auch die zwei Erbinnen – auch eine andere Form der Öffnung zum Publikum, zur Presse, ja überhaupt zur Öffentlichkeit, zum diskursiven Sinn muss passieren.
Heinemann: Katharina Wagner hat gesagt, sie könne sich auch Wagners Musik auf Originalinstrumenten, das heißt dem klassischen Instrumentarium der Zeit vorstellen. Aber an einen Siegfried Rumpf auf dem Naturhorn müssten sich Wagnerianer erst mal gewöhnen, oder?
Neuenfels: Ja. Das sind alles Überlegungen, die stehen immer bei einer Person, wenn sie sagt, das soll doch jeder so sagen, wie er sich das vorstellt und das gehört dazu. Da muss ich ja nicht direkt drauf antworten, oder?
Heinemann: Schön wäre es, wenn Sie es könnten!
Neuenfels: Wie?
Heinemann: Schön wäre es, wenn Sie es täten!
Neuenfels: Na ja, ich persönlich bin da ein bisschen bedeckt bei solchen Dingen. Ich denke, man sollte sich nicht zu sehr in die Retrospektive und in die Historie bewegen, sondern man sollte das tun, was ein Werk ins Heute bringt, und da ist so viel Aktuelles, so viel Zeitgenössisches aufzuspüren, dass man da versuchen sollte, vielleicht auf anderen Ebenen sich zu bemühen.
Heinemann: Herr Neuenfels, zu Wolfgang Wagners Jugend gehören Adolf Hitlers Besuche auf dem Grünen Hügel und auch im Haus der Familie, Haus Wahnfried. Haben sich die Festspiele, hat sich die Familie in ausreichender Weise mit diesem Teil der Geschichte beschäftigt?
Neuenfels: Das kann ich nicht beurteilen. Zumindest hat man sich mit der Familie über diesen Zustand literarisch wie biografisch genügend beschäftigt. Ob die Familie es getan hat, kann ich nun wirklich nicht beurteilen. Das würde ich mich auch nicht trauen zu beurteilen. Aber das Werk von Richard Wagner, auf den ich mich dann am liebsten beziehe, ist, glaube ich, auf dem besten Wege, sich generell zu ändern, zu entnazifizieren, falls es jemals den Anruch haben hätte können. Ich meine, nur weil ein Verbrecher wie Hitler ein Genie wie Wagner benutzt, ist natürlich auf keinen Fall die Musik dieses Genies faschistisch. Das muss man ja einfach mal feststellen.
Heinemann: Auf dem Grünen Hügel geht es auch um die Bewahrung eines Teils unseres kulturellen Erbes, unseres Patrimoniums. Wie kann man jungen Menschen, die mit Klassik kaum etwas am Hut haben, Richard Wagners Musik näher bringen, sie dafür begeistern, ohne dass sie gleich ihr Handy oder ihr Nintendo bearbeiten?
Neuenfels: Generell muss man natürlich nicht vergessen, dass diese Konzentration, die der Grüne Hügel ausströmt, erst mal etwas ganz ungeheuerlich Positives ist in einer Zeit, die sich total zerfasert und über die Probleme schnell hinwegspringt. Ich kann mir vorstellen, dass eine Jugend auch bereit ist und vielleicht sogar besonders neugierig ist, wie intensiv und nahezu – ich gebrauche das Wort ruhig – manisch man sich mit einem einzigen Komponist beschäftigt und dessen vielseitigen Möglichkeiten, die ja nicht nur musikalischer Natur sind, sondern die natürlich auch in der Schriftweise, in seinen Schriften von Wagner auch durchaus strittig und eigenartig sind, weil er ja mehr berührt als ein musikalisches Insider-Wesen, sondern er berührt ja wirklich eine ganze Welt und vor allen Dingen die deutsche Welt. Das darf man nicht vergessen.
Heinemann: Und ein wichtiges Wort haben Sie genannt: neugierig. Wir sind neugierig auf Ihren Lohengrin in diesem Jahr. – Der Regisseur Hans Neuenfels zum Tot des Festspielleiters und Regisseurs Wolfgang Wagner. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Neuenfels: Ich danke und auf Wiederhören.