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Die fantastische Geschichte von Chachapoya

Karthager und andere Mittelmeervölker sowie Nordspanier gelangten etwa hundert Jahre vor Christus bis nach Südamerika und gründeten das Reich Chachapoya. Das ist die steile These, für die Kulturwissenschaftler Hans Giffhorn in jahrzehntelanger Arbeit Indizien gesammelt hat.

Von Roland H. Wiegenstein |
    Die fantastische Geschichte geht so: Nach dem dritten Punischen Krieg, um 126 bis 123 vor Christus, gelang es einigen Puniern, die man auch Karthager nannte, dem von den siegreichen Römern gründlich zerstörten Karthago im nördlichen Maghreb und den mehrere Hunderttausend gemeuchelten Einwohnern zu entkommen. Auf ihren großen seetüchtigen Handelsschiffen, mit denen sie lange den Mittelmeerhandel dominierten, flohen sie nach Mallorca und Ibiza. Dort sammelten sie ihre Kräfte, stockten sie auf um Mallorquiner und Iberokelten aus dem nordwestlichen Spanien, die sie früher als tapfere Krieger unterstützt hatten, und begaben sich auf die gemeinsame Flucht vor den Siegern.

    Bis nach Brasilien, wo sie an einem grünen Stand in der Nähe der Amazonasmündung landeten. Sie zogen weiter, nachdem der Handel mit den ansässigen Indiostämmen begann, problematisch zu werden. Immer den Amazonas aufwärts bis zum Westabhang der Anden im nördlichen Peru, wo sie sich endgültig niederließen und ein Reich aus lauter kleineren Stammesgemeinschaften gründeten: Chachapoya. Das wurde fast tausend Jahre später von den aus dem Süden Perus anrückenden Inkas erobert. Die überlebenden Chachapoya-Krieger aber, die mit 1,80 Meter weit größer waren als die Inkas, wurden zu gefürchteten Kämpfern dieser Inka. Ihre Frauen vermischten sich mit ihnen, und heute noch heißt ein Städtchen mit 27.000 Einwohnern im östlichen Peru Chachapoya.

    Doch in einigen unzugänglichen, besonders hoch gelegenen Bergdörfern sollen direkte Nachfahren der Einwanderer aus der Alten Welt mit deren genetischen Merkmalen überlebt haben. Was sonst von ihnen übrig blieb, ist eine riesige, vom Urwald überwucherte Festung, "Kuelap", und sind die Reste kreisrunder Hütten aus Stein, die es nirgends sonst bei den Inka gibt. Die bauten rechteckig und aus Holz, das es im Urwald in Fülle gab. Doch diese Hütten gibt es auf Mallorca, Ibiza und in Nordspanien.

    Am Ende findet der Leser alles völlig plausibel
    Für die Theorie von den merkwürdigen Chachapoya und ihrer Herkunft aus dem Mittelmeerraum gibt es keinen unwiderleglichen "Beweis" – sondern nur Indizien. Und die hat der Kulturwissenschaftler und Dokumentarfilmer Hans Giffhorn in jahrzehntelanger Arbeit gesammelt und zum ersten Mal in dem Buch "Wurde Amerika in der Antike entdeckt?" vorgestellt. Es enthält, wissenschaftlich aufbereitet, mit allen Quellenangaben und Zitatnachweisen, die Ergebnisse der Forschungen. Und zeigt, wie viel detektivische Arbeit und wohl auch Finderglück dazu gehört, eine auf den ersten Blick fantastische These so auszubreiten, dass der Leser, oft atemlos gespannt ob der steilen Annahmen und ihrer Verifizierung, seine Theorie am Ende völlig plausibel findet.

    Klar, der Atlantik war so unüberwindlich nicht. Dass die Wikinger im frühen Mittelalter in Nordamerika gelandet sind, ist inzwischen erwiesen. Auch, dass über die Behringstraße Mongolenvölker in die Neue Welt kamen. Und vermutlich sind am Ende der Eiszeit am Rande des damals von Eis bedeckten Atlantiks auch andere Europäer bis nach Amerika gelangt.

    Aber Karthager und andere Mittelmehrvölker sowie Nordspanier nur etwa hundert Jahre vor Christus? Darüber existieren keinerlei handfeste Aufzeichnungen, sieht man einmal ab von ein paar kryptischen Hinweisen des fantasievollen griechischen Historikers Diodorus und einer Bemerkung in den "Mirabilia" eines Pseudo-Aristoteles. Aber in den Tagebüchern und Berichten der spanischen Eroberer steht doch einiges über die merkwürdigen Chachapoya. In Überbleibseln der Inka finden sich ein paar Bilder, die hellhäutige blonde Frauen im Gefolge eines Inkakönigs zeigen, deren letzter, Atahualpa, eine solche Fremde als Mutter gehabt haben soll.

    Wer sich mit antiken Quellen auskennt, der weiß, wie eingeschränkt man ihnen trauen kann. Da war viel Fantasie im Spiel. Doch Kuelap, die Bergfestung, steht noch als ziemlich gut erhaltenes Trümmerfeld im Urwald, wie die steinernen Rundhüttenreste. Giffhorn suchte weiter in den in Peru verbreiteten archäologischen Forschungsstätten, etwa dort, wo gleich etwa hundert Mumien verwahrt werden, ohne dass diese bisher genau untersucht worden wären.

    Denn die peruanischen Behörden haben Giffhorn Steine in den Weg gelegt. Dass es in den Gebieten ihres Urvolks, der Inka, noch vor den Spaniern eine Einwanderung aus der Alten Welt gegeben haben soll, dass diese sogar mit Chachapoya ein eigenes Reich gehabt haben sollen, das kratzt am nationalen Selbstverständnis. Doch Giffhorn ließ sich nicht schrecken – er forschte weiter, fand zahlreiche Mitstreiter, sogar in Peru selbst, aber auch Paläoanthropologen in Europa und Amerika, die bereit waren, solche Mumien zu untersuchen. Karbonunterschungen an Funden zu unternehmen, DNA-Proben von den Hellhäutigen zu machen. Alles keine Beweise, wie gesagt, aber doch eine Indizienkette von einschüchternder Vollständigkeit. Giffhorn hat vieles auf seinen Entdeckungsreisen in Peru gefunden – wobei es ihm gelingt, Einzeluntersuchungen, bei aller Vorsicht, die er walten lässt, hervorragend darzustellen.

    Giffhorn hat auf jeden Einwand eine Entgegnung, die überzeugender ist als der Einwand selbst. Er hat ein im Wortsinn erstaunliches Buch geschrieben, das fasziniert und hoffentlich weitere Erkundungen anstößt, ungeachtet des Zögerns peruanischer Beamter.

    Hans Giffhorn: "Wurde Amerika in der Antike entdeckt?"
    C.H. Beck Verlag, München 2013, 288 Seiten, 18,95 Euro