Während der Corona-Pandemie ist Marlene Streeruwitz gleich mehrfach mit umstrittenen Äußerungen in Erscheinung getreten. So verglich sie in einem Artikel für die Zeitung „Der Standard“ die Terminologie der staatlich verordneten Hygienemaßnahmen mit dem Duktus der Nürnberger Rassengesetze. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ bekannte Streeruwitz, dass die pandemiebedingte Isolation sie in eine Depression getrieben habe. Zudem sei sie durch den Ausfall sämtlicher Veranstaltungen auch in finanzielle Bedrängnis geraten. Was hingegen nicht ausfiel, war die Joseph-Breitbach-Poetikdozentur im Jahr 2021, die die Autorin in digitaler Form abhielt. In dem später auch unter dem Titel „Geschlecht. Fall. Zahl.“ als Buch veröffentlichten Vortrag charakterisierte sie die Pandemiephase als einen tiefen Einschnitt in ihre künstlerische Arbeit:
„Für mich war mit einem Schlag alles ungültig, was ich bis dahin geschrieben hatte. In einem mir körperlich wahrnehmbaren Schlag war es mit meinem Werk vorbei. Ich stand vor der Reihe der Bücher und verstand eine Zeit lang gar nicht, was ich da gemacht hatte. Die Notwendigkeit, so weit in den vererbten Sinneinheiten von Sprache, Sprechen und der zu bezeichnenden Welt zu bleiben, um die Kommunikation aufrechtzuhalten.“
All das hängt unmittelbar mit der Entstehung ihres neuen Romans „Tage im Mai“ zusammen. Nimmt man die Schriftstellerin beim Wort, so soll, ja: so muss ein neuer, post-pandemischer Roman zwangsläufig ein Bruch und zugleich ein Neuansatz sein. Zugleich betonte Streeruwitz in ihrer Vorlesung, dass sie ihren sprachlichen Ansatz, ihren Tonfall, der ihre Theatertexte und ihre Romane von Beginn an unverwechselbar gemacht hat, beibehalten muss. Die harten, parataktischen Sätze, oft grammatikalisch unvollständig und kalkuliert verstückelt, spiegeln den Blick der Autorin Streeruwitz auf die vom Patriarchat vorgegebene Ordnung, die Streeruwitz durch ihr Schreiben aufzusprengen sucht:
„Die Ablehnung grammatikalischer Geordnetheit in meinen Texten ist die Ablehnung der Weltverhältnisse, so wie sie sind. Diese Ablehnung ist ein ästhetisches Prinzip und folgt der eigenen poetischen Logik. Der ganze Satz nur der Beschreibung einer Ansicht oder eines Vorgangs legt diese Ansicht und diesen Vorgang als unveränderlich so gewollt fest.“
Die Schockwellen der Ereignisse
Die Corona-Pandemie hat Streeruwitz‘ seit jeher pessimistischen Blick auf die Gesellschaft, vor allem auf die politische Klasse, bestätigt. In ihren Augen wurden solidarisches Handeln und staatliche Fürsorge in Lippenbekenntnisse verwandelt. Die Verantwortung liegt stattdessen nur noch beim Einzelnen.
„In der neoliberalen und nun der pandemisch-neoliberalen Zurichtung der Person ist es der Kraft der Person überlassen, in der Selbstfürsorge und der Selbstvorsorge über den eigenen Erfolg oder Misserfolg zu entscheiden. Dieses neoliberale Modell wird der pandemischen Person genauso in bewusst vagen und widersprüchlichen Umstandsangaben vermittelt.“
So Streeruwitz in ihrer Breitbach-Vorlesung. Vor diesem komplexen Hintergrund von staatlichen Verordnungen, die wiederum persönliche Zwangslagen produzieren, bewegt sich ihr neuer Roman. Der Mai, auf den sich der Titel des Romans bezieht, ist der Mai des Jahres 2022. Das Ende der Pandemie scheint nahe, doch gibt es kein Aufatmen. In Europa herrscht Krieg. Die Schockwellen beider Ereignisse lähmen die Protagonistinnen des Romans, treiben aber seine innere Mechanik und seine Sprache an. Im Zentrum des Romans stehen zwei Frauen, Konstanze und Veronica, genannt Nizzi.; Mutter und Tochter.
Hinter dem Pandemievorhang
In wechselnden, mit dem jeweiligen Figurennamen überschriebenen Kapiteln erzählt Marlene Streeruwitz einige Tage aus dem Leben ihrer Protagonistinnen in einem wie atemlos getriebenem Strom erlebter Rede, den Streeruwitz mittlerweile perfektioniert hat. Konstanze ist 56 Jahre alt und arbeitet als freie Übersetzerin in Wien. Ihre Beziehung ist vor kurzem gescheitert, am Narzissmus ihres Ex-Partners, wie sie es vor sich selbst erklärt. „Tage im Mai“ erzählt auch einen Abstieg aus einst sicheren bürgerlichen Verhältnissen. Nun lebt Konstanze allein in ihrer neuen Wohnung nahe des Praters. Ihr Blick auf die Welt und ihre persönliche Zukunft sind düster und ohne Hoffnung auf Verbesserung:
„Das Leben. Es war so scheußlich. So elend geworden. Sie genierte sich, wie schrecklich die Welt geworden war. In die sie dieses Kind geholt. Es waren Lawinen von Scheußlichkeiten. Wenn sie nur an die Seuchengesetzgebung dachte und dass der Gesundheitsminister über ihr Kind die Isolation verhängen konnte. Der ihr Kind zur Impfung zwingen durfte. Der ihnen das Demonstrieren verboten hatte. Der die Polizei einsetzte. Und wenn nun der Atomschlag?“
Wie haben sich Corona und der Krieg in der Ukraine in ein allgemein schon hoffnungsloses Alltagstableau hineingefräst? Das ist die übergeordnete Frage, die Streeruwitz in einer Aneinanderreihung von Szenen durchexerziert. Was an Illusionen und Perspektiven noch nicht grundsätzlich zerstört war, ist spätestens seit 2020 den Bach hinuntergegangen. Alle positiv besetzten Erinnerungen und Erlebnisse seien, so heißt es einmal, „hinter dem Pandemievorhang“ verschwunden. So schlägt sich Konstanze durch die Tage, streitet sich mit Auftraggebern, die sie nur über E-Mail-Kontakte kennt; muss sich bei einem Bekannten Geld leihen, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen.
Der Staat, zumal der österreichische Staat mit seiner übergriffigen, auf Nobilitierung ausgerichteten Regierung, habe, so wird insinuiert, seine Bürger entmündigt und sie anschließend sich selbst überlassen. Das gilt für die Jungen wie für die Alten. Konstanzes Tochter Veronica, die Anfang 20 ist, hat ihr Studium abgebrochen und jobbt nun für einen dubiosen Chef in einem noblen Wohnhaus, das diversen Briefkastenfirmen als Adresse dient. Unterkunft hat Veronica zum Unverständnis ihrer Mutter in einem katholischen Wohnheim gefunden. Auch Veronica hat jegliche Gedanken an eine Zukunftsplanung mittlerweile ad acta gelegt:
Der Staat, zumal der österreichische Staat mit seiner übergriffigen, auf Nobilitierung ausgerichteten Regierung, habe, so wird insinuiert, seine Bürger entmündigt und sie anschließend sich selbst überlassen. Das gilt für die Jungen wie für die Alten. Konstanzes Tochter Veronica, die Anfang 20 ist, hat ihr Studium abgebrochen und jobbt nun für einen dubiosen Chef in einem noblen Wohnhaus, das diversen Briefkastenfirmen als Adresse dient. Unterkunft hat Veronica zum Unverständnis ihrer Mutter in einem katholischen Wohnheim gefunden. Auch Veronica hat jegliche Gedanken an eine Zukunftsplanung mittlerweile ad acta gelegt:
„Die Zukunft. Alle hatten eine Meinung zur Zukunft. Nur sie. Sie wusste nichts. Und wollte nichts wissen. Die hatten es leicht. Die hatten schon alles und hatten damit alles ruiniert. Ihre Zukunft? Das war deren Schuld. Warum sollte sie Ökologiegeographie studieren? Es war alles kaputt. Aber warum sollte sie das richten? Und warum sollte sie etwas erreichen wollen? Wenn nichts mehr existierte?“
Der Sound ist nur noch Selbstzweck
„Tage im Mai“ ist, das muss leider so deutlich gesagt werden, ein über weite Strecken misslungenes Buch, das seine Autorin möglicherweise tatsächlich an einem Kipp-Punkt zeigt. Von jenem Neuanfang, den Streeruwitz selbst als Notwendigkeit bezeichnet hat, kann keine Rede sein. So ästhetisch reflektiert sie sich in ihren essayistischen Schriften auch zeigt, so enttäuschend ist das Ergebnis dieser Reflexionen dann im vorliegenden neuen Roman. Rein werkbiografisch befindet sich Marlene Streeruwitz an einem Punkt, an dem sich vor rund 40 Jahren auch der späte Thomas Bernhard, ihr österreichischer Antagonist, in Werken wie „Beton“ befunden hat: Die elaborierte Sprachmaschinerie rattert routiniert angetrieben, effektvoll tönend, aber mit Allgemeinplätzen gefüttert, vor sich hin.
Der einst innovative und ästhetisch überzeugend hergestellte Sound – bei Bernhard die hypotaktische Abschweifung, bei Streeruwitz die parataktische Verknappung – ist nur noch Selbstzweck. Die Sprache trägt das Buch zwar von Seite zu Seite, setzt aber keine Impulse. „Tage im Mai“ tritt auf der Stelle. Das Bestechende an Streeruwitz war von jeher ihre Fähigkeit, überindividuelles, also gesellschaftlich bedingtes Unwohlsein in die Schilderung einer als ausweglos empfundenen physischen Bedrängnis zu transferieren. Sozialer Druck, der sich körperlich niederschlägt. Auch im neuen Roman blitzen derartige Passagen hin und wieder auf:
„Und ihre Bauchmuskeln zogen sich zu grell stechenden Linien zusammen. Das Zwerchfell. Immerhin. Sie hatte gelernt. Wenn sie sich gerade aufsetzte. Oder vorsichtig hinlegte. Dann bekam sie ganz normal Luft. Am Anfang hatte sie auch noch um Luft gerungen. Asthma? Dann hatte sie sich das mit den Gallenproblemen ausgedacht. Hatte sich den Schmerz so übersetzt. Aber es war Entwertung, was die machten. So. Wortlos. Und ohne Argumente. Es war nicht, dass sie alt wurde. Aber in ihrem Alter. Sie hatte die Erfahrung. Und das wurde weggewischt. Das mochten ihre Bauchmuskeln nicht. Ihr Zwerchfell.“
Schuldzuweisungen und abstrakte Behauptungen
Das ist eine quasi in Echtzeit mitgeschriebene, also anschauliche Schilderung einer Symptomatik, die in der Postpandemie immer wieder von Menschen so wahrgenommen wurde; auch und gerade von Menschen, die wie Konstanze nicht an Corona erkrankt waren. Ein diffuses Gefühl von Gesamtbeschädigung, diagnostisch kaum präzise zu verbalisieren, aber somatisch dauerpräsent. Beklemmung, Panik, Verlorenheit – das sind die Stimmungslagen, zwischen denen vor allem Konstanze permanent hin- und herschwankt. Ganz und gar entkoppelt von der Außenwelt, sind ihr die Verrichtungen des Alltags zur Mühsal geworden; ist das Unterwegssein auf den Straßen oft der letzte Ausweg, in einen erträglichen Zustand zu kommen:
„Sie wusste, wie Fische im Netz sich fühlen mussten. Sich winden. Die Maschen enger. Das Winden verzweifelter. Die Maschen noch enger. Das Gehen half. Sie ging langsamer. Gleichmäßig. Regelmäßig. Atmen. Aber wie sich entwinden? Wie sich fassen? Wie in der Vernunft bleiben? Wie das Sterben lernen? Wie der Panik entkommen?“
In solchen Augenblicken behält Streeruwitz auch in „Tage im Mai“ ihren Zugriff auf die Gegenwart und ihre konkreten Konflikte; hat sie einen präzisen und vor allem differenzierten Blick auf ihre Protagonistinnen. Doch eben dieser Blick fehlt in ihrem neuen Roman allzu oft. Stattdessen: Schuldzuweisungen und abstrakte Behauptungen, die als Figurenrede auf die beiden Protagonistinnen verteilt werden. Der prekäre Weltzustand wird ungefiltert auf den Schmerzustand der Figuren übertragen. „Tage im Mai“ ist in mehrfacher Hinsicht ein relativ wirres Buch, in dem die relevanten und großen Themen der Zeit als persönliche Unsicherheitsfaktoren eingesetzt, aber nicht weiter ausgeführt werden.
Überall wird Bevormundung gewittert
Da zappt sich Konstanze in ihrer Schlaflosigkeit durch die Fernsehkanäle und sieht, wie vermummte Gestalten auf dunkelhäutige Menschen einschlagen, die in einem Schlauchboot auf dem Meer treiben. Konstanze schaltet den Fernseher ab und sieht sich in ihrer Bedrohungsempfindung bestätigt. Es gibt so etwas wie einen Ausbruchsversuch in Form eines Ortswechsels, den Konstanze unternimmt: Sie fliegt nach Zürich, zu einem älteren, befreundeten Paar, die einen kleinen, einst gefeierten Buchverlag führen und Konstanze stets mit Aufträgen versorgt haben. Der Besuch endet in der Besichtigung einer einst libertären, nun von Alkoholismus grundierten Ehetragödie. Naturgemäß hat der Mann diese Tragödie verursacht. Die Reise ist zugleich Auslöser für die Erinnerung an bessere Zeiten: Konstanze war in den Nullerjahren bei einem Zürcher Magazin angestellt. Eine kurze, erfüllte Episode der Kreativität, beendet vom zerstörerischen Wirtschaftssystem:
„In Zürich. Da war sie glücklich gewesen. Da waren sie glücklich gewesen. Paradiesisch. Da war das Paradies gewesen. Alles geordnet und der perfekte Job. Ihre Vertreibung aus dem Paradies. Das war dann auch schweizerisch gewesen. Das Magazin verkauft und alle zurückgetreten. Sich selbst entlassen. Aus dem Neoliberalismus da. Auch sie. Und kein Job, keine Schweiz.“
„Tage im Mai“ ist als Generationenroman angelegt, als ein Buch der Vaterlosigkeit. Konstanze weiß nicht, wer ihr Vater ist. Sie will es auch nicht mehr erfahren. Nicht allein deshalb ist das Verhältnis zu ihrer Mutter ambivalent; überall wittert Konstanze Bevormundung und Kritik. So werden Konflikte von Generation zu Generation weitergegeben. Veronica wiederum ist das Ergebnis einer kurzen Liaison Konstanzes mit einem verheirateten Italiener. Die Nonna, die italienische Großmutter, war Veronicas engste Vertraute. Sie ist an Corona gestorben, einsam, isoliert. Ein Facetime-Video von ihren letzten Augenblicken hat Veronica in der Cloud gespeichert. Doch die Kosten für die Cloud wird sie irgendwann nicht mehr aufbringen können. So reiht sich ein katastrophisches Versatzstück an das nächste, und jedes davon ist im Romangefüge in seiner Gewichtung gleichrangig.
Der Klimawandel, der große und zunehmend reale Zukunftszerstörer, fällt in Form einer Protestgruppe, der Veronica sich angeschlossen hat, in die Handlung ein. Lukas, deren Anführer, will nicht nur auf den Klimawandel, sondern auch auf den der Gesellschaft inhärenten Rassismus aufmerksam machen. Er hat dafür allerdings ein in sich geschlossenes, selbst wieder rassistisches Narrativ erfunden, eine auf öffentlichen Veranstaltungen verkündete Verschwörungstheorie, nach der chinesische Wissenschaftler für die Klimakatastrophe verantwortlich zeichnen:
Der Klimawandel, der große und zunehmend reale Zukunftszerstörer, fällt in Form einer Protestgruppe, der Veronica sich angeschlossen hat, in die Handlung ein. Lukas, deren Anführer, will nicht nur auf den Klimawandel, sondern auch auf den der Gesellschaft inhärenten Rassismus aufmerksam machen. Er hat dafür allerdings ein in sich geschlossenes, selbst wieder rassistisches Narrativ erfunden, eine auf öffentlichen Veranstaltungen verkündete Verschwörungstheorie, nach der chinesische Wissenschaftler für die Klimakatastrophe verantwortlich zeichnen:
„Sie hörte Lukas zu, während sie den Rucksack wieder einräumte. Er war immer noch bei den Fake News. Es müsse gegen alles Chinesische vorgegangen werden, sagte er. Wie immer. Denn wie sonst wäre die Trockenheit des Klimas zu erklären als damit, dass die Chinesen Salzkristalle abschössen, sobald eine Wolke sich Wien näherte. Sie schaute hinaus. Dunkle drohende Wolken waren aufgezogen. Standen schwarz über den Bäumen.“
Kein Handlungsspielraum, kein Vertrauen
In einem Roman, der politische Verschwörungstheorien, Panik- und Depressionszustände zusammenrührt; in dem die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen durch die ellenlange Nacherzählung von Netflix-Serien, die Mutter und Tochter gemeinsam betrachten, substituiert wird – in einem Bewusstseinszustand also, in dem die Gegenwart wie ein bedrohlicher, schwarzer Block vor den vom System kleingemachten Subjekten aufragt, sind zwangsläufig sämtliche Differenzierungen eingeebnet:
„Das Schützen. Das Behüten. Und alle diese Leute. Diese Putins. Diese Bidens. Trumps. Musks. Und wer auch immer. Die das kaputt machten. Die allen Schutz zunichte.“
Im Kosmos des Streeruwitz’schen Erzählens im Jahr 2022 gibt es keine Rückzugsmöglichkeiten, keinen Handlungsspielraum, keine Vertrauten mehr. Diese paranoiden Welten waren schon immer die Spezialität von Marlene Streeruwitz. Im Zusammenspiel aus gehetztem Ton und zerklüfteter Syntax hat Streeruwitz in ihren stärksten Büchern bemerkenswert erhellende Effekte erzielt und große analytische Kraft entfaltet. Nun aber, in einem ununterbrochenen Strom von Schuldzuweisungen an eine vermeintlich feindselige Außenwelt, gerät „Tage im Mai“ gerade gegen Ende zu einem schwer lesbaren Gebräu aus verzweifelten Kurzschlüssen:
„Diese Zelenskys. Die wollen doch nur keinen Frieden. Der hat da seine Rolle, und die Oligarchen aus der Ukraine gehen zu den Salzburger Festspielen und brauchen zwei Parkplätze für ihre SUVs."
Das ist, das muss noch einmal betont werden, selbstverständlich Figurenrede, und jede Figur hat in jedem Roman das Recht, zu denken, was sie will. Und jede Autorin hat das Recht, ihren Figuren jeden Gedanken in den Kopf oder in den Mund zu legen, sei er noch so abstrus. In „Tage im Mai“ allerdings fehlen die Kontraste, vor allem aber die Signale, eine Anschlussfähigkeit an ein wie auch immer geartetes öffentliches Gespräch herstellen zu wollen. Es ist kein aufrüttelnder, kein zur Allgemeingültigkeit strebender Text und auch kein Angebot, sondern die sprachliche Abbildung eines geradezu starrsinnigen Kreisens um sich selbst: das pure Rauschen eines bekannten Diskurses. Das ist als Zeitdokument sprechend und zugleich ein Ausdruck persönlicher Resignation, der den Leser nicht kalt lässt. Nur wird davon kein 400 Seiten starker Roman getragen. Ein Roman im Übrigen, der den Untertitel „Roman dialogué“ trägt, in dem tatsächlich aber die Kommunikation fehlgeht.
Das trifft auch auf den vor Klischees nur so strotzenden, als theatralen Text in den Roman integrierten Schlussdialog zwischen Konstanze und Veronica, zwischen Mutter und Tochter zu: Hier fährt die Autorin noch einmal im Schnelldurchlauf die Debatten der Gegenwart auf, von Transgender über die Corona-Impfpflicht bis zum Krieg. Es ist eine Kapitulationserklärung. „Ich verliere gerade alles“, ruft Konstanze ihrer Tochter zu, die wiederum nicht an die Zukunft denken will, weil sie keine hat. In diesem Schlussdialog wird noch einmal konzentriert deutlich: „Tage im Mai“ ist ein Roman, der ungefiltert von existentiellen Krisen erzählt. Vor allem aber ist er das Symptom der künstlerischen Krise einer bedeutenden Schriftstellerin.
Marlene Streeruwitz: „Tage im Mai“
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
382 Seiten, 26 Euro.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
382 Seiten, 26 Euro.