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Die Fischerin vom Bodensee

Im 18. Jahrhundert herrschte blanke Anarchie auf dem Bodensee. Unter den Fischern galt das Gesetz des Stärkeren - und Streit um Fanggründe gab es allemal. Die Zeiten haben sich geändert, und während früher nur Männer den Beruf des Fischers ergriffen, fahren heute auch sieben Frauen raus auf den See.

Von Franz Lerchenmüller |
    "Ha - es isch en schönes Lied. Nur mit der Realität hats natürlich gar nichts zu tun. Bei uns zieht kein weißer Schwan den Kahn, das sind richtig schön schnelle Dieselmotoren. Rudern tut auch keiner mehr - und ist natürlich manchmal schon richtig harte Arbeit."

    Ganz besonders, wenn es schon morgens um vier hinaus in die Rorschacher Bucht geht. Eine Stunde vor Sonnenaufgang dürfen Heike Winder und ihr Partner Thomas Geiger die Treibnetze einholen, die über Nacht draußen gelegen haben.

    "Diese Netze hier sind speziell für Felchen, die haben eine spezielle Maschenweite, damit die kleinen Felchen durchschwimmen und nur ab einer gewissen Größe, einem gewissen Alter werden sie dann gefangen. Hier im freien Wasser sind eigentlich hauptsächlich Felchen, Forellen und Saiblinge. Die große Artenvielfalt der Fische ist eigentlich am Ufer. Da gibt es wieder ganz andere Netze, die dann am Ufer auf dem Grund stehen. Da fängt man auch hauptsächlich Hechte im April, Mai, Kretzer ab Sommer, sobald es warm wird, aber am Ufer ist die Fischerei in den letzten Jahren schon sehr stark zurückgegangen."

    Immer mal wieder taucht einer der hellen Flecken in der Tiefe auf und durchbricht als glitzernder Fisch die Wasseroberfläche. Heike Winder im dunkelgrünen Ölzeug löst ihn sorgfältig aus den Maschen, während Thomas Geiger Zug um Zug das Netz einholt. Mit dem Ergebnis sind sie heute halbwegs zufrieden.

    "Der Anfang ist schon mal gar nicht schlecht. Jeder Fischer hat vier Netze und ein Netz ist 120 Meter lang. Und sieben Meter tief."

    "Hoffen wir, dass es so weitergeht."

    Fischen - das ist ein Lehrberuf wie viele andere auch. Drei Jahre Lehrzeit, Berufsschule in Starnberg, drei Gesellenjahre, Meisterschule. Erst wer die Meisterprüfung bestanden hat, darf selbstständig auf dem See fischen. Aber das Handwerk zu beherrschen, genügt allein noch nicht.

    "Wenn Sie diesen Beruf nicht gerne machen und bei Wind und Wetter draußen sind, dann können Sie den gar nicht lange machen. Wenn Sie keine Leidenschaft dafür entwickeln und es gerne machen. Ich wollte das schon als Kind."

    Schließlich bietet die Arbeit auf dem See vieles, was einem anderswo entgeht.

    "Die Natur. Die Freiheit, hinfahren zu können, wo man möchte, sich einen Platz auszusuchen, den man möchte. Und jeden Morgen das Abenteuer, was ist jetzt wohl in dem Netz drin."

    144 Fischer gibt es am Bodensee. Sieben Frauen sind darunter. Wie kommen sie mit den Kollegen zurecht?

    "Wenn man damit aufgewachsen ist, ist es gar kein Problem. Die kennt man alle von klein auf, aber ansonsten ist es auch kein Problem. Wir sitzen alle im gleichen Boot und müssen gucken, dass wir uns gegenseitig stützen."
    Nach einer Stunde sind alle Netze oben. Zwei Kisten mit silberschuppigen Felchen sind die Ausbeute - rund 40 Kilo, kein allzu schlechtes Ergebnis in diesen Tagen. Während Thomas das offene Blechboot in den Hafen zurücksteuert, kümmert sich Heike schon mal um den Fang:

    "Jetzt nehme ich die Fische aus, sie werden erst aufgeschnitten, dann werden sie ausgenommen, das kann man auf der Rückfahrt sehr schön machen. Früher durften wie die Eingeweide über Bord schmeißen, da gab es immer einen schönen großen Möwenschwarm hinter jedem Fischerboot. Ist aber nicht mehr erlaubt, weil doch Fischkrankheiten übertragen werden können über die Wasservögel, von denen es viel zu viele am Bodensee gibt."

    Ein Spaziergang ist die Arbeit auf dem See wahrlich nicht.

    "Vor allem wenn es stürmt, ist es gut, wenn Sie nicht nur zwei, sondern vier Hände haben und mit jemand zusammen auf den See gehen. Wir fahren immer zu zweit auf jeden Fall. Am Ufer können Sie auch alleine gehen, aber hier weit draußen ist es immer gut, wenn Sie zu zweit sind. Es gibt Unfälle. Erst vor ein paar Jahren ist ein Kollege gestorben, ein sehr erfahrener Kollege, im Winter, ist über Bord gegangen, das gibt es immer wieder."

    Ihr Hagnauer Kollege Andreas Meichle ist bereits zurück an Land und hängt seine Felchen in den Rauch. So friedlich wie heute ging es unter den Fischern auf dem See nicht immer zu, weiß er. Im 18. Jahrhundert etwa herrschte blanke Anarchie.

    "Jeder hat auf sein Recht gepocht. Recht des Stärkeren, wie es damals war. Die Konflikte sind dann eben nonverbal gelöst worden, sprich: Da ist es dann zur Sache gegangen, das hat man dann an Land ausgetragen. Danach ist man dann zur Vernunft gekommen. Hat gesagt, okay, so geht es nicht weiter, und hat Fischereigesetze ins Leben gerufen. Und dann gab es im Jahr 1898 die sogenannte Bregenzer Übereinkunft. Von allen Anrainerstaaten am See sind Abgesandte gekommen und haben sich an den Tisch gesetzt in Bregenz und haben ein Fischereigesetz ins Leben gerufen, das bis zum heutigen Tag seine Gültigkeit hat."

    Schließlich gab es da einiges zu klären.

    "Es ist genau geregelt worden, wie die Fischereigebiete sind, wo wie was jeder fischen darf. Bis 25 Meter Wassertief ist Hoheitsgewässer, was tiefer ist, ist international und da darf jeder fischen. Das Einzige, was sich bis heute geändert hat, sind die Netzanzahl und die Maschenweite der Netze."

    Sorgen um den Felchenbestand im Bodensee muss sich derzeit niemand machen. Die Fischer und die staatlichen Brutanstalten kümmern sich um Nachwuchs. Jedes Jahr im Dezember findet die Laichfischerei statt.

    "Man geht ganz normal auf den See raus, mit dem Unterschied, die Fische, wo man anlandet, werden auf dem Boot sofort abgestreift und die Eier werden befruchtet. In jedem Ort ist eine Sammelstelle, wo man die befruchteten Eier abgeben kann, und am Mittag kommt die Fischereiaufsicht, holt sie ab und verteilt sie auf die Brutanstalten, die wir am See haben."

    "Die Brutanstalten brüten die Eier. Das ist im März der Fall, wenn der Schlupfpunkt da ist. Und dann werden sie wieder ins Wasser eingesetzt. So ne Felchenlarve ist cirka vier Millimeter groß."

    Fischerei, Obstbau und Tourismus - das sind die wirtschaftlichen Säulen des 1400-Einwohner-Dorfes Hagnau.

    Und natürlich der Wein. In Hagnau wurde 1881 die erste Winzergenossenschaft Badens gegründet, erzählt Ortshistoriker Rudolf Dimmeler. Die Idee dazu hatte Dorfpfarrer Heinrich Hansjakob:

    "Nachdem der Wein bloß noch 15 Pfennig gekostet hat, der Liter, eigentlich ein Schandpreis, und er hat gesagt: So geht es nicht weiter, die Leute sind arm. Die Weinhändler, die standen immer an der Torkel, an der Presse und haben den Wein direkt aufgekauft. Und wenn es viel Wein gab, konnte man ihn nicht einlagern und den haben die dann natürlich zum Schandpreis aufgekauft. Das hat er verhindert. Er hat dafür gesorgt, dass man die Keller kriegte unter diesem Gebäude, sind ja 80 Meter lang, und damit konnten die natürlich beliebig Wein lagern und konnten dann verkaufen, wenn der wieder mal gefragt war, nicht direkt nach der Ernte. Und damit kam Wohlstand in den Ort."

    Der Wein, der zu Hansjakobs Zeiten vor allem gekeltert wurde, die Rebsorte Elbling, lässt sich mit dem von heute nicht mehr vergleichen, meint Winzer Fabian Dimmeler in seinem Weinberg über dem Dorf:

    "Elbling ist eine Sorte, wo sehr säurebetont ist, und es gibt die Anekdoten, dass man die Leute, wenn sie damals zu viel getrunken haben, nachts umdrehen musste, damit die Magenwände nicht angegriffen wurden von der Säure."

    Inzwischen werden natürlich ganz andere Sorten angebaut, sagt Herbert Senft im Fasskeller unter dem Rathaus. Er ist der Kellermeister des Winzervereins, der mit 145 Hektar Anbaufläche der größte Weinbaubetrieb am See ist:

    "Schwerpunkt bei uns am Bodensee ist der Müller-Thurgau und natürlich der Spätburgunder in allen Variationen. Also schon als Blanc, weißgekeltert, als Weißherbst und als Rotwein. Das sind die zwei Hauptsorten. Vergessen darf man auch den Grauburgunder nicht, der Grauburgunder hat inzwischen auch einen guten Stellenwert am Bodensee."

    Auf jeden Fall arbeitet man nicht mehr unbegrenzt auf Masse hin wie einst, sondern auf Klasse:

    "Mit dem Rebanschnitt reduzieren wir die Menge bereits im Winter. Des Weiteren wird im Frühjahr, wenn die Reben austreiben, die Triebanzahl reduziert, damit dadurch die Traubenanzahl reduziert wird. Wir sorgen für eine Durchlüftung der Rebanlagen, indem wir die Blätter entfernen. Im Sommer wird die Traubenanzahl reguliert, damit nur eine bestimmte Anzahl an Trauben dranhängt, und natürlich die gezielte Handlese im Herbst bei der Weinlese."

    Und aus dem Ergebnis all dieser Bemühungen schmeckt Winzertochter Anita Schmidt dann dies heraus:

    "Dieser Müller Thurgau, 2009er Jahrgang, noch ganz frisch und lebendig, in der Nase ganz feine Würze, jetzt im Moment noch geprägt von Zitrusaromatik, wenn wir ein halbes Jahr warten, kriegt er noch mehr Reife, dann kommen die gelben Fruchtaromen noch ein bisschen üppiger zum Vorschein, am Gaumen verspielt, eine schöne dienende Kohlensäure, weich von der Fruchtsäure, er klingt fein würzig, klingt auch ganz fruchtig heiter, er macht Spaß, unbeschwert zu trinken."

    Anita Schmidt war von klein auf mit ihren beiden Geschwistern in den Weinbergen und musste früh mitarbeiten.

    "Für uns Kinder ganz schön: Wir hatten immer saubere Gummistiefel noch zusätzlich dabei - damals durftet sie wirklich noch in die Traubenzuber steige und so richtig schön die Traube zusammenquetschen. Für meinen Vater war es ideal, er musste nicht so oft zum Ablieferer fahren. Heute ist das alles anders. Die Trauben müssen heute zügig, in ganz lockerem, ganzem, gesunden Zustand direkt zur Kelterei, zum Winzerverein gefahren werden. Man weiß, dass wenn die Trauben gequetscht sind, dass der Traubensaft ausläuft, Enzyme zu arbeiten beginnen, Bakterien sich ansetzen und einfach der Traubenmost nicht mehr die Güte hat, die man will - also es war eine harte Arbeit, aber man hat sich auch Zeit genommen zwischendrin."

    Fisch und Wein - das sind die kulinarischen Eckpfeiler des Bodensees. Und wenn die beiden aufeinandertreffen, wird fast immer ein Fest daraus. Der feine Felchen soll dabei möglichst naturbelassen bleiben. Da sind sich Fischer und Winzer einig:
    "Es sollte nicht zu kross gebraten, nicht zu stark gewürzt sein, leicht und leicht gesellt sich gerne, Felchen blau, Felchen mit Müller-Thurgau-Soße, einfach leicht und leicht, zart und zart"

    "Das Beste ist eigentlich das klassische. Salz, Pfeffer, Zitrone, dann können Sie es melieren oder auch nicht und in Butterschmalz anbraten."

    Duftend, fein gebräunt, noch ein wenig brutzelnd von Butterschmalz kommen die Filets aus der Küche. Der standesgemäße Begleiter funkelt im Glas: Ein harmonischer Weißer Burgunder, trocken und von kräftiger Frucht. Fisch will schwimmen, heißt es bekanntlich. Dieser Felchen, verarbeitet von kundiger Hagnauer Hand, gebadet in edelstem Hagnauer Nass, fühlt sich heute Abend ganz sicher bestens aufgehoben.