Es ist ein sonniger Nachmittag. Urlaubs-Hoch-Saison. Das große weiße Motorschiff der Chiemsee-Flotte ist seit dem frühen Vormittag unterwegs und hat heute schon einige tausend Touristen über das bayerische Meer geschippert und vom Festland auf die Herreninsel zum berühmten Ludwig-Schloss und auf die malerische Fraueninsel mit ihrem Kloster gebracht.
Jeden Tag sind es alleine in der Stoßzeit zwischen 10 und 18 Uhr um die vierzig Schiffe, die an den Stegen der 600 mal 300 Meter großen Frauen-Insel anlegen und Touristen aus aller Herren Länder ausspucken. Riesige Menschenmassen bevölkern dann für acht Stunden die kleine Insel mit ihren gerade einmal fünfzig Häusern und ihren äusernH und ich knapp zweihundert Bewohnern.
In Kolonnen machen die meisten Tagestouristen zunächst einen Inselrundgang am Ufer entlang und arbeiten sich dann über die schmalen Wege auch zur Inselmitte vor. Sie besuchen das Kloster, den Klosterladen, die Keramik- und Malwerkstätten und streben schließlich, vorbei an den malerischen Gärten und den schmucken Häusern der Insulaner, den Gartenlokalen zu, in denen für ein paar Stunden Hochbetrieb herrscht. Gegen Abend leeren sich die Lokale dann allmählich wieder.
Abends drängen die Besucherströme zu den Anlegestellen
Das Abendläuten der Klosterkirche wirkt wie das Signal zum Verlassen der Insel. Schließlich will keiner der Tages-Touristen sein All-Inklusive-gebuchtes Abendessen auf dem Festland verpassen. Die Besucherströme drängen nun in umgekehrter Richtung zu den Anlegestellen und gehen auf die Schiffe, um wieder an Land zu fahren und das kleine Eiland im Chiemsee sich selbst zu überlassen. Dichtes Gedränge herrscht an der Kasse des weißen Dampfers.
Die Inselbewohner und die wenigen Touristen, die sich in den beiden Hotels und in den Ferienzimmern eingebucht haben sind nun wieder unter sich. Ruhe kehrt auf der Insel ein.
Wenn die Tagestouristen die Insel verlassen haben, wird auch die romanische Klosterkirche wieder zum Ort der Stille. Schwester Veronika macht mit ihrem großen Schlüsselbund einen letzten Rundgang und schließt die Kirchen-Pforte ab. Schwester Veronika ist eine von noch 21 Benediktinerinnen, die im Frauenkloster leben. Sie stammt aus Wuppertal und wohnt auf der Insel, seit sie als junge Frau in den Orden eingetreten ist. "Wir sind Benediktinerinnen und bleiben an dem Ort, wo wir eintreten. Wir werden nicht versetzt."
Die alte Nonne geht leicht gebeugt, aber ihre Augen und ihr Geist sind hellwach. Sie freut sich über die vielen Klosterbesucher in der Ferienzeit, aber sie ist auch froh, wenn am Abend wieder Ruhe einkehrt. "Das ist sehr wohltuend. Das ist eine Wohltat. Obwohl ich es auch nicht mehr als so schlimm empfinde. Ich weiß ja, dass es um die Zeit immer so ist."
Die Benediktinerinnen bieten auch Zimmer an
Die klugen Nonnen haben sich nicht nur an die Touristenströme in den Ferienzeiten gewöhnt, sie verdienen auch daran. Vor vielen Jahren haben sie nicht nur einen gut gehenden Klosterladen eröffnet. Sie bieten auch für ihr Kloster und ihre Klosterkirche preiswerte Führungen an. Aber man kann die Klosterkirche mit ihrem markanten achteckigen Zwiebelturm natürlich auch auf eigene Faust und kostenlos besuchen und ihre schlichte Schönheit bewundern. "Lassen Sie sich einfach beschenken. Gott ist da großzügig."
Genauso großzügig wie Schwester Veronika, die den interessierten Besuchern gerne noch einen Blick in einen langen Gang gewährt, der direkt von der Kirche in den Klosterbereich führt. "Das ist hier die Türe, schauen Sie. Das ist der Äbtissinnen-Gang."
Hier hängen Porträt-Gemälde aller Äbtissinnen, die das Kloster seit dem 17. Jahrhundert geleitet haben. Auch ein Bild der gegenwärtigen Äbtissin Johanna Mayer hat schon seinen Platz in dieser speziellen Ahnengalerie gefunden.
Doch jetzt wird es Zeit für Schwester Veronika. Das Abendgebet, die Vesper, hat bereits begonnen. Ihre Mitschwestern haben sich dazu in der Klosterkapelle versammelt. Leise ist ihr Gebetsgesang zu hören. Für Menschen, die am Klosterleben teilnehmen und zur Ruhe kommen möchten, bieten die Benediktinerinnen übrigens Zimmer an. Auch christliche Seminare werden in der Abtei Frauenwörth angeboten.
Aber man kann sich auch in privat geführten Ferienwohnungen oder in einem der beiden Hotels einmieten und die ruhigen Stunden ohne die Tagestouristen auf der Insel erleben.
Fischer bringen die letzten Touristen zum Festland
Von der Hektik am Tag ist beim Abendessen bei ruhiger Zithermusik, einem guten Glas Wein oder bei einer gediegenen Halben Maß Bier nichts mehr zu spüren. Auch für das Bedienungspersonal sind die ruhigen Stunden nach dem Rummel eine Wohltat. Denn die Tagestouristen haben es oft sehr eilig, sagt eine der Kellnerinnen. "Muss immer schnell gehen. Zack, Zack, Zack. Und abends haben die Leute Zeit."
Bis auf die Gäste, die auf der Insel kein Zimmer gebucht haben, die aber trotzdem einmal die einzigartigen Abendstunden genießen möchten. Die müssen zwangsläufig auf die Uhr schauen, denn gegen 21 Uhr fährt das letzte Linien-Schiff Richtung Festland.
Wenn man, wie eine heitere Truppe, das letzte Linienschiff in bierseliger Laune verpasst hat, gibt es noch die Möglichkeit, sich per Inseltaxi aufs Festland bringen zu lassen. Ein besonderer Service der Chiemsee-Fischer, die sich damit ein paar Euro extra verdienen. Die Fahrten sind ein Abenteuer für sich.
So richtig spät wird es allerdings kaum. Zapfenstreich ist meistens gegen 22 Uhr und dann wird es richtig ruhig auf der Fraueninsel. Für einige der Inselbewohner ist die Nacht ziemlich kurz. Vor allem die Chiemsee-Fischer stehen sehr früh auf. Für Josef Wörndl ging der Wecker schon gegen vier Uhr. Spätestens um fünf, halb sechs wirft er auf dem See seine Netze aus. Wörndl und seine Frau Maria betreiben eine Räucherei und ein Fischlokal auf der Insel. Tagsüber Anlaufstelle für viele Touristen. Nach dem Fang sind Maria und Josef in einem Schuppen an ihrem schmucken Haus damit beschäftigt, die Fische auszunehmen, zu schuppen und zu säubern. "Vorrangig ist am Chiemsee noch der Aal und die Brachse. Und dann je nach Jahreszeit fangen wir Zander, Hecht. Ab und zu mal eine Seeforelle. Aber die sind leider sehr rar. Barsch. Das sind so die Hauptfische. Ab und zu auch mal Karpfen. Und wir fischen auch noch auf Rotaugen. Da machen wir Filet draus. Aber das Gros ist die Renke."
Renke Matjesart ist eine von Wörndls Spezialitäten, die er neben den Räucherfischen in seinem Gastgarten anbietet. Aber er beliefert auch andere Gastronomie-Betriebe auf der Insel und auf dem Festland. Sechs Inselfischer gibt es noch. Insgesamt sind es 17 professionelle Fischer, die auf dem Chiemsee unterwegs sind. Meist sind es Familienbetriebe. Die Frauen besorgen die Küchenarbeit, Vater und Sohn fahren hinaus. "Da darf jeder hinfahren, wo er will. Es gibt bestimmte bevorzugte Plätze. Aber wer zuerst kommt, mahlt zuerst."
Um den Fischbestand in ihrem Revier nicht zu gefährden, achten die Chiemsee-Fischer darauf, dass sie keine Jungtiere aus dem See holen. Deshalb fischen sie mit weitmaschigen Netzen, in denen sich nur die ausgewachsenen Tiere verfangen. Außerdem halten sie die Schonzeiten für bestimmte Fischarten streng ein.
Die Insel ist meist autofreie Zone
Maria und Josef Wörndl sind nicht die einzigen, die zu dieser frühen Morgenstunde schon arbeiten. Ein Getränke-LKW ist mit der Lasten-Fähre vom Festland gekommen. Vor einem der großen Inselgasthöfe macht der Lastwagen Halt. Der große Lastwagen wirkt auf der ansonsten autofreien Insel wie ein Fremdkörper. "Ich bin nicht der Einzige. Denn irgendwie muss die Insel ja versorgt werden!" sagt der LKW-Fahrer fast schon entschuldigend und lädt die schweren Bierfässer und Getränkekisten ab. Nur in einem Zeitfenster zwischen sieben und zwölf Uhr dürfen Lieferfahrzeuge vereinzelt auf die Insel. Danach ist sie dann wieder autofreie Zone.
Josef Neuer hat zwei Berufe. Am Nachmittag arbeitet er als Installateur. Am Morgen steht er mit seiner Lastenfähre auf Abruf bereit und schippert bis zu zehn Mal zwischen Insel und Festland hin und her. "Es kommen auch nur Lieferanten rüber oder Kundendienstwägen, Öl- und Baummaterial, so was halt. Aber keine Pkw. Selbst die Insulaner lassen ihre Fahrzeuge am Festland."
Aber nicht nur Fahrzeuge holt Neuer vom Festland herüber. Es ist auch schon mal der eine oder andere Spezialtransport mit dabei. Aber auch in brenzligen Situationen muss Josef Neuer mit seiner Fähre zur Verfügung stehen. "Wir haben natürlich auf der Insel selbst auch eine Feuerwehr. Mit zwei Löschpumpen. Also wir sind sehr gut ausgestattet. Aber bei einem größeren Brand muss selbstverständlich Unterstützung vom Festland kommen und die wird mit der Fähre übergesetzt."
Nur rund 180 feste Inselbewohner
Zum Glück sind solche Großeinsätze ziemlich selten. In Erinnerung ist jedoch noch der Großbrand von 1958, als das Kloster in Flammen stand, was umfangreiche Renovierungsarbeiten nach sich zog. Damals waren Feuerwehren rund um den Chiemsee vom Festland auf die Insel übergesetzt worden. Ansonsten erinnert sich Fährmann Josef Neuer noch an einen Einsatz vor drei Jahren, als eine Bootshütte auf der Insel brannte. "Ja, da haben wir mal zwei Löschfahrzeuge von drüben rüber geholt. Aber bis der Einsatz richtig aufgebaut war, ist der Brand mit unseren Kräften noch zu löschen gewesen."
Fährmann Josef Neuer lebt seit 17 Jahren auf der Insel. Er liebt sein Leben auf dem malerischen Mini-Eiland im bayerischen Meer. Wie die meisten der rund 180 festen Inselbewohner hat auch er sich mit dem Hochbetrieb abgefunden, der während der Urlaubszeit auf der Insel herrscht.
"Der Tagestourismus fängt halt immer erst um 11 Uhr an und ist dann meistens um 17 Uhr zu Ende. Und in der Zeit ist halt mehr Trubel auf der Insel, aber es ist ganz normal. Und wir leben ja auch von der Insel. Wir leben alle vom Fremdenverkehr. Der Tourismus gehört zur Insel. Ist auch als Insulaner nicht störend. Und abends genießt man halt seine Ruhe. Auch das natürlich."