Auf den schlichten Shaker-Holzbänken gibt es längst keinen Platz mehr. Und doch strömen immer mehr Menschen in den schmucklosen unbeheizten Gemeinderaum, Frauen durch den linken Eingang, Männer durch den rechten. Auch im Gemeindehaus sitzt man getrennt, auf der einen Seite die Männer, auf der anderen die Frauen. Shakerbruder Arnold erhebt sich, um die Gemeinde mit einem Gebet zu begrüßen. In seinem weißen Hemd mit schwarzer Weste und passender schwarzer Hose erinnert er ein wenig an einen Zimmermann in Zunftbekleidung.
"Eternal God, our father and mother, we thank you for this assembly of people, for friends who are true friends at heart and spirit and let them know the love that this little community has for each one of them. Amen. - AMEN"
Ganz vorne in der ersten Reihe auf der Seite der Frauen sitzen Sister Frances und Sister June. Beide tragen schlichte einfarbige lange Kleider. Sister Frances ist an ein Sauerstoffgerät angeschlossen, Sister June benötigt einen Rollator zum Gehen. Die beiden sind deutlich älter als Brother Arnold, der mit Anfang 60 auch nicht mehr der Jüngste ist. Sie sind die letzten drei Shaker und haben, ob sie es wollen oder nicht, eine Art Kultstatus in der Gemeinde der Shakerfreunde.
"Die Shaker und ihre Religion sind einzigartig"
Einmal im Jahr kommen die "Friends of the Shakers" im Sabbathday Lake Village für zwei Tage zusammen, nehmen an Workshops zur Geschichte und Handwerkerkunst der Shaker teil und planen Benefizveranstaltungen, um die einzige aktive Shakergemeinde am Leben zu halten. Denn Apfelplantagen, Kräutergärten, Schaf- und Rinderzucht und die Instandhaltung der Gebäude lassen sich unmöglich von drei Menschen allein bewerkstelligen. Antonette aus New York reist seit 25 Jahren regelmäßig an. Sie ist transgender und hat bei den Shakern etwas gefunden, was ihr andere Kirchen nicht geben konnten:
"Die Shaker und ihre Religion sind einzigartig, sie glauben an die Gleichheit der Menschen. Stell Dir mal vor, zu Zeiten der Sklaverei haben sie Farbige als Ihresgleichen anerkannt und aufgenommen. Als in den USA Frauen noch als das Eigentum ihrer Männer galten, haben bei den Shaker Frauen die Gemeinden angeführt. "
Mother Ann Lee gilt als die Begründerin der Shaker-Freikirche. 1774 wanderte sie mit ein paar Anhängern von England in die USA aus und führte in New York die erste Shaker-Kommune an. Aus einer Gemeinschaft wurden 19 - und aus einer Handvoll Anhänger wurden über 5000. Dass sie als Shaker bekannt wurden, hat mit ihren ungewöhnlichen Tanzeinlagen während der Gottesdienste zu tun. Wegen ihrer Rütteltänze, bekamen sie den Spitznamen: "Schüttler". Sie hießen fortan Shaking Quakers.
Ein Tanzworkshop steht beim "Friends of the Shakers"-Wochenende ebenfalls auf dem Programm. Bruder Arnold aber ist für die Führungen übers Shakergelände zuständig. Er kennt jeden Winkel und wirft mit Jahreszahlen und Namen nur so um sich.
"All right, so. Half of the property was owned by a family called by the last name of Twombley. And the Twombleys' became Shakers."
Bruder Arnold führt die kleine Gruppe zu einem in Vergessenheit geratenen Shaker-Friedhof, den Jäger per Zufall entdeckten. Die Grabsteine sind kaum als solche erkennbar, da üppig verzierte Grabsteine und Gravuren gegen das Prinzip der Bescheidenheit verstießen.
Kein Privatbesitz, ehelos und enthaltsam
"Dieser Grabstein geht fast zwei Meter tief in die Erde hinein, den konnte keiner bewegen. Aber mit diesen kleinen Steinen hier haben irgendwelche Idioten dort drüben eine Feuerstelle gebaut!"
Bruder Arnold beschreibt, was den Glauber der Shaker ausmacht: Ihre theologischen Leitlinien spiegeln philosophische Strömungen aus dem Zeitalter der Aufklärung wider. Gott gilt ihnen als geschlechtsneutrales geistiges Wesen. Und was das Leben als Shaker ausmacht: Sie geben allen Privatbesitz auf. Sie leben ehelos und enthaltsam.
Die meisten, die das Leben als Shaker ausprobieren, geraten nach ziemlich genau einem halben Jahr in eine Krise, sagt Bruder Arnold und verlassen Sabbathday Lake wieder. Auch Kelly Sandborn, die bei den Shakern ein Praktikum absolvierte, reiste damals mit vielen falschen Vorstellungen an:
"Viele verwechseln die Shaker mit den Amischen. Dabei sind die Shaker sehr technologie- und fortschrittsfreundlich. Hier im Ort waren sie ersten, die ein Auto besaßen."
Die Verwechslung beruht auf Äußerlichkeiten. Während aber die Amischen in der protestantischen Täuferbewegung verwurzelt sind und ein stark in der Landwirtschaft verwurzeltes Leben führen, sind die Shaker eher vom Calvinismus und der Aufklärung geprägt. Es waren Shaker, die die Waschmaschine und die Kreissäge erfunden haben. Ihr Motto lautet "Hands to Work and Hearts to God" und macht aus körperlicher Arbeit eine Art Gebet. Das bedeutet aber nicht, dass die Arbeit möglichst hart und anstrengend sein muss, erklärt Kelly. Die junge Studentin mit wildem Kurzhaarschnitt hat sich in der Zeit ihres Praktikums immer wieder die Frage gestellt "Könnte ich eine von ihnen werden?"
"Es ist wunderschön hier und man kann gar nicht anders, als sich zu entspannen. Aber ich glaub nicht, dass ich es in mir habe. Brother Arnold und ich haben immer rumgewitzelt, dass ich viel zu eitel sei, um ein Shaker zu werden, weil ich die ganze Zeit an meiner Frisur rum zupfe."
Zu wenig Zulauf
Auf die Frage, warum von den - zu Hochzeiten - 5000 Shakern heute nur drei übriggeblieben sind und der Nachwuchs ausbleibt, scheint jeder eine andere Antwort zu haben. Die einen sagen, der Zölibat sei schuld, die anderen - und zu ihnen zählt auch Antonette aus New York - vermuten, dass zu wenige Menschen von der Existenz der kleinen Gemeinde wissen.
"Ich glaub, das Problem liegt in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Leute haben keine Ahnung, wer die Shaker sind, woran sie glauben. Für die meisten bedeutet Shaker gleich Möbel oder Shakerstuhl. Und Katholiken halten sie für einen Orden mit Nonnen und Mönchen."
Brother Arnold hat in seinen 38 Jahren in der Gemeinde viele Neumitglieder kommen und gehen sehen. Und trotzdem haben er, Sister Frances und Sister June die Hoffnung auf Nachwuchs nicht aufgegeben.
"Wir drei beten jeden Tag dafür, dass wir Menschen finden, die sich zu diesem Leben berufen fühlen, damit das Shakertum und dieser Ort, den wir liebevoll 'Unser gelobtes Land' nennen, weiterleben können."