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"Die Fronten sind nicht verhärtet"

"Es ist eine sehr traurige und schwierige Situation", sagt Joachim Schroedel, Pfarrer der deutschen katholischen Gemeinde in Kairo. Er fordert vom ägyptischen Staat einen entschiedenen Einsatz für die Christen - und erlebt viel Solidarität von muslimischen Mitbürgern.

Joachim Schroedel im Gespräch mit Anne Raith |
    Moderator: Die koptischen Christen in Ägypten stehen seit einigen Tagen im Fokus der Weltöffentlichkeit. Nach dem blutigen Anschlag auf eine christliche Gemeinde in Alexandria und nach den gewalttätigen Protesten sehen sich viele von ihnen inzwischen als Opfer im Kampf zwischen den Religionen. Was sich bei den Kopten tut, das wird auch in anderen christlichen Gemeinden in Ägypten ganz genau verfolgt. Joachim Schroedel ist Pfarrer der deutschen katholischen Gemeinde in Kairo. Meine Kollegin Anne Raith hat gestern Abend mit ihm gesprochen. Und sie hat ihn zunächst gefragt, wie er die vergangenen Tage in Ägypten erlebt hat.

    Joachim Schroedel: Es ist natürlich eine große Verunsicherung zu spüren gewesen bei den Kopten hier im Lande. Aber eines ist klar und sehr deutlich zu sehen gewesen, dass viele Muslime auch zu mir gekommen sind und sozusagen ihr Beileid ausgedrückt haben. Man versucht dann natürlich auch immer wieder zu sagen, das, was da geschehen ist, hat mit dem richtigen Islam nichts zu tun. Andererseits, wir haben natürlich jetzt gewisse Wiederholungen fast festzustellen, zu dem, was vor einem Jahr passiert ist in Nakamadi. Dort sind sieben Todesopfer zu beklagen gewesen, jetzt haben wir mittlerweile rund 22. Also die Gewalt ist gestiegen. Und es ist eine sehr traurige und schwierige Situation, denn ich glaube, der Staat hat hier eine Leistung nicht erbracht, die er wohl hätte erbringen können. Und wir sind jetzt auch als deutsche Gemeinde bereit, hier Solidarität zu zeigen, indem wir etwa versuchen, möglichst viele Deutschsprachige in die Weihnachtsgottesdienste zu bringen, die dann am 6. auf den 7. abends stattfinden werden.

    Anne Raith: Können Sie denn die Wut derer verstehen, die da auf die Straße gehen? Sie haben es eben angesprochen, es ist eine lange angestaute Enttäuschung, es geht immer wieder um zu wenig Schutz.

    Schroedel: Wir hatten vor etwa zwei Wochen auch ein Ereignis, da waren die Christen sehr aktiv am Widerstand und auch am Draufschlagen, um es mal ganz ungeschützt zu sagen, weil sie die Erlaubnis eines Kirchenbaus entzogen bekommen hatten – beziehungsweise es ist sehr viel darüber nachzudenken, wie es genau war. Jedenfalls der Effekt war, sie durften an einem Haus, das als Kirche geplant war, nicht weiterbauen. Wohingegen viele, viele Moscheen genau in der gleichen Ecke stehen, die eigentlich auch keine ganz offizielle Bauerlaubnis hatten. Da wurde dann – kurz vor den Wahlen war das – vom Gouverneur ein Verbot des Weiterbauens ausgesprochen. Und die Wut zeigte sich dann eben: Warum dürfen wir nicht dasselbe tun, was die Muslime tun? Und jetzt in diesem Falle war natürlich die Wut noch viel, viel größer, denn offensichtlich – das wird man noch in den nächsten Tagen genauer hören – waren die Sicherheitsvorkehrungen eben von staatlicher Seite nicht nur minimal, sondern ganz inexistent, obwohl man Zeichen im Vorfeld hatte. Wenige Stunden wohl vor diesem Ereignis hatte sich eine Demonstration von sehr rechtsgerichteten muslimischen Gruppierungen in Alexandria gezeigt, die auch gegen Christen aufgerufen haben. Das hat aber die Polizei einfach geschützt, da wurde nichts verboten. Also ich denke, der Staat ist hier wirklich gefordert, jetzt endlich einmal deutlich zu sagen: Wir machen das nicht mit, wir wollen auch unserer christlichen Minderheit einen Schutz und eine Möglichkeit zum Ausüben ihres Kultus gewähren.

    Raith: Das heißt, Sie sprechen da von einem ganz klaren Versäumnis des Staates. Fühlen Sie sich denn in Ihrer Arbeit, in Ihrer Religionsausübung ausreichend geschützt?

    Schroedel: Also, als Westler hat man wahrscheinlich einen gewissen Sonderstatus. Wir haben oder hatten noch nie – ich bin seit 15 Jahren jetzt in Ägypten – einen Schutz gebraucht vor unseren Kapellen oder vor den Compounds der Schwestern, der barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus, wo wir die heiligen Messen feiern. Und ich möchte auch betonen, dass wirklich der normale Ägypter ein sehr freundlicher, auch zuvorkommender ist. Und dass auch das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Ägypten seit Jahrhunderten ein relativ entspanntes war. Nur die letzten Jahre haben eben gezeigt, dass sicherlich von außen kommend die einfachen Muslime, die natürlich auch in einer gewissen Frustration sich befinden – Armut, soziale Ungerechtigkeiten et cetera – einfach darin auch ein Ventil sehen und das Schlechte eben kommt entweder – so ist die Ideologie hier – entweder von Amerika oder von Israel oder eben von den Christen.

    Raith: Wie verhärtet nehmen Sie die Fronten denn wahr und was kann man dagegen tun, um die Konflikte jetzt an der Eskalation zu hindern?

    Schroedel: Die Fronten sind nicht verhärtet. Es gibt nämlich eigentlich keine Fronten, da muss man sehr genau hinschauen. Es gibt nicht die Christen stehen gegen die Muslime, sondern es sind in der Tat wirklich nur einige, vielleicht von der El Kaida oder von Saudi-Arabien aufgehetzte Gestalten, die Unruhe schaffen. Ich meine, immerhin wird das Attentat als ein Selbstmordattentat erklärt. Das ist einem normalen Ägypter völlig fern. Ein Ägypter ist nicht fanatisch. Ich habe einen ganz guten Freund, der eine Rundmail gerade geschrieben hat, wo er als Muslim aufruft und selbst bekennt, er geht in die Weihnachtsmesse der koptischen Kirche in Maadi. Das ist ein Stadtteil von Kairo. Und sagt, damit wollen wir einfach zeigen, wir gehören zusammen. Das ist schon wichtig. Also ich glaube, was allerdings notwendig wäre – neben der Tatsache, dass der Staat entsprechend sich kontrollieren sollte, was er wirklich tun kann –, eine größere Solidarität von uns Deutschen. Ich vermisse das in den letzten Jahren eigentlich immer und immer wieder. Es geht ja gegen die Christen was, aber etwa – da muss ich auch meine deutsche Bischofskonferenz ein bisschen ankratzen – etwa von deutscher Seite her kommt Solidarität mit den Kopten minimal. Vielleicht ein Wort des Entsetzens, was jeder so sagt, aber aktive Solidarität fehlt.

    Moderator: Soweit Joachim Schroedel, Pfarrer der deutschen katholischen Gemeinde, gestern Abend im Gespräch mit meiner Kollegin Anne Raith.