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Die Früchte der Souveränität

Im vergangenen Jahr feierten 17 afrikanische Länder den 50. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit. Gleich zwei Neuerscheinungen ziehen Bilanz - mit mutigen Thesen und scharfer Kritik.

Von Birgit Morgenrath |
    "Alles wird anders" in Afrika – so lautet die mutige These des Afrika-Kenners Dominic Johnson. In seinem Buch beschreibt er die postkoloniale Ära Afrikas als Generationsgeschichte und erklärt den "demographischen Ausnahmezustand der vergangenen 500 Jahre" für beendet. In Afrika – so schreibt der taz-Redakteur - lebten heute wieder so viele Menschen wie vor Beginn des Sklavenhandels. Und sie würden immer jünger.

    "Das Ende der Jahrzehnte von Arroganz und Ignoranz kam schleichend und unaufhaltsam, auf biologischem Wege, so wie alle sozialen Umwälzungen in Afrika. Die Herren wurden alt, die Jungen hatten andere Ideen."

    Den Alleinherrschern, die die Unabhängigkeit in den 1960er-Jahren "auf dem Silbertablett" entgegennahmen und Europa kopierten, folgte Ende der 1970er-Jahre die zweite Präsidenten-Generation. So zum Beispiel Yoweri Museveni, der die Macht in Uganda mit seiner Rebellenarmee eroberte. Johnson sieht darin den:

    "... ersten erfolgreichen Guerillakrieg zum Sturz einer afrikanischen Regierung ohne Zutun von außerhalb. Zurückgeworfen auf die eigene Kraft, befreit von den Referenzen an außerafrikanische geopolitische Konflikte und an die Kämpfe gegen koloniale Fremdherrschaft, gewinnen Afrikas Akteure ungeahnte Spielräume zur Gestaltung ihrer Länder, frei von der Abhängigkeit von importierten Modellen."

    Aber Johnsons These hält der Realität kaum stand. Denn möglich wurde diese Revolution nur mit Hilfe eines der alten Herren: des tansanischen Präsidenten Julius Nyerere, der bereits 1979 den Gewaltherrscher Idi Amin aus Uganda vertrieben hatte. Nyerere bezeichnet Dominic Johnson als "Paten" für die neue Generation. Und so versetzt der Autor auch andere visionäre Anführer der Unabhängigkeitsepoche wie etwa Kwame Nkrumah in Ghana in die Zeit der "zweiten Befreiung" Afrikas. Das ist fragwürdig. Richtigerweise dagegen zählt Johnson die "Ambivalenzen" der 1980er- und 90er-Jahre auf, zum Beispiel die "panafrikanische Intervention" zur Vertreibung Mobutus aus Zaire 1996, die schließlich in den blutigen Kongokrieg mündete. Trotz der merkwürdigen Periodisierung folgt man dem Autor neugierig auf seinem Flug in großer Höhe über den afrikanischen Kontinent, auch wenn der Pilot Einzelheiten ausblendet, die nicht ins Bild passen. So bleibt beispielsweise die Frage unbeantwortet, ob die Ära der "big men" tatsächlich zu Ende ist, solange in wichtigen Ländern wie Simbabwe, Kamerun und im Tschad noch üble Diktatoren ihre Bevölkerungen unterdrücken und in Armut stürzen. Mit der "Afrikanischen Renaissance" ab 1996 gelangten weitere selbstbewusste, demokratisch gewählte Politiker an die Macht, so Dominic Johnson: etwa in Nigeria, Ghana und Südafrika. Allesamt stolze Panafrikaner, die aber praktisch-politisch einen "knallharten, illusionslosen Pragmatismus" verfolgt hätten:.

    "Der Staat wird geführt wie eine Firma. Gewinnstreben ist das oberste Ziel politischen Handelns."

    Und zwar in direkter Kooperation mit den "afrikanischen Löwen" in der Wirtschaft. Hier schließt sich der Kreis: Das letzte Kapitel beschreibt voller Bewunderung die neuen afrikanischen Mogule von Kongo bis Südafrika, die afrikanische Konzerne in Telekommunikation, Ölförderung, Bergbau und im Fernhandel aufgebaut haben. Schade: Dominic Johnsons Analyse landet ganz konventionell beim konservativen Credo von der globalisierten Marktwirtschaft mit hohen Wachstumsraten und ausländischen Investitionen als Bedingung für Demokratie und afrikanische Einheit. Es ist ehrenwert, dass Dominic Johnson laut Wagenbach-Verlag "die afrikanische Bevölkerung als aktiv handelnde Gestalter" zeigen will. Die Form eines thesenhaften Essays wäre aber überzeugender gewesen.

    Auf die junge Generation setzen auch die afrikanischen Autoren des außergewöhnlichen Sammelbandes "50 Jahre Unabhängigkeiten – Eine (selbst) kritische Bilanz". Kunst-Studierende aus Halle haben das Buch mit viel Esprit gestaltet. Anders als Dominic Johnson verweisen die hier versammelten Autoren auf die andauernde Abhängigkeit Afrikas von den ehemaligen Kolonialmächten. Kum'a Ndumbe III, der kamerunische Gelehrte schreibt, dass Afrika die Schlacht um die Unabhängigkeit verloren hat:

    "All diese Länder, die ihre Armeen schickten, die unsere Kinder manipulierten und zu Verrätern ihrer selbst machten, die unsere Städte und Dörfer nieder brannten, all diese Länder verkündeten lauthals, demokratisch und Verfechter der Menschenrechte, Länder des Fortschritts und der Freiheit zu sein."

    Kum'a Ndumbe meint – wie Dominic Johnson -, dass die Übernahme der kolonialen staatlichen Strukturen durch die ersten unabhängigen Regierungen ein Fehler gewesen sei, der die Kolonialpolitik verewigte. Und er stellt Kontinuitäten fest: Warum wird immer noch in den kolonialen Sprachen gelehrt? Welche Rolle spielt die afrikanische Medizin im Gesundheitswesen und warum hat Westafrika immer noch eine Währung, die die französischen Beherrscher 1884 geschaffen hatten? Andere Autoren befassen sich mit der andauernden ökonomischen Bevormundung. So erinnert der Senegalese Iba Der Thiam, Historiker und Ex-Bildungsminister, in einem Interview daran, dass afrikanische Staaten der Bildung jahrzehntelang "absolute Priorität für die Entwicklung" eingeräumt hätten. Das wurde torpediert. In den 80er-Jahren…

    "... bewertete die Weltbank weder Bildung noch Gesundheit als Wachstumsfaktoren. 20 Jahre lang irrte man sich, 20 Jahre, die die afrikanischen Wirtschaften nach unten zogen, denn Bildung und Gesundheit sind die wirklichen Faktoren der Entwicklung."

    Aber auch die Selbstkritik kommt zur Sprache. Viele Autoren diagnostizieren schonungslos, wie sich die afrikanischen Eliten bis heute massiv bereichern und meist ausländische Mächte die Ressourcen rauben, während die Bewohner verelenden. Föderal verfasste Vereinigte Staaten von Afrika könnten ein Ausweg aus dieser Sackgasse sein. Um dorthin zu kommen – so fordern einige der im Buch versammelten Wissenschaftler - müsse erst einmal eine Veränderung in den Köpfen geschehen. Andere betonen hingegen konkrete politische Ziele. Wie etwa der Gewerkschaftsaktivist Tiécoura Traoré aus Mali, der den Zusammenschluss der afrikanischen Zivilgesellschaften fordert. Sie sollten für den Schutz von Menschenrechten und Gemeingütern kämpfen; für die öffentlichen Dienste bei Transport, Bildung und Gesundheit. Er ist überzeugt:

    "Die neu entstehenden bzw. sich weiter entwickelnden sozialen Bewegungen des Kontinents werden mit Sicherheit die Zukunft Afrikas hervorbringen."

    Nach der Lektüre des beachtenswerten Bandes ist klar: Auf dem Kontinent wird heftig diskutiert. Dem erhellenden Buch sind viele Leser und Leserinnen zu wünschen.

    Dominic Johnson: Afrika vor dem großen Sprung. Wagenbach Verlag, 96 Seiten, Euro 9,90, ISBN 978-3-803-12656-6

    AfricAvernir International e.V. (Hg.): 50 Jahre afrikanische Un-Abhängigkeiten – Eine (selbst-)kritische Bilanz. Editions AfricAvenir/Exchange & Dialogue, 264 Seiten, Euro 19,00 ISBN:978-3-939-31395-3