"Was wir da hören, sind die Namen der gallischen Völker. Eines der großen Missverständnisse besteht darin, von einem einzigen Gallien zu sprechen."
Matthieu Poux, Professor für Archäologie an der Universität Lyon und wissenschaftlicher Berater der Ausstellung.
"Gallien jedoch existiert nicht, die Gallier bildeten nicht eine Nation, sie waren keine Einheit. Gallien bestand aus einem Mosaik von um die 60 Völker, die teils eng zusammenarbeiteten, sich häufig jedoch bekriegten. Aber sie empfanden sich keineswegs als eine Nation und ihr Territorium betrachteten sie nicht als Vaterland. Die Franzosen bilden sich seit 150 Jahren ein, Gallien sei ihr Vaterland, dabei hat dies so nie existiert. Gallien war ein Teil der keltischen Welt, die ganz Europa und auch Deutschland umfasste."
Kaum hat der Besucher einige Schritte in die Ausstellung gemacht, vorbei an den Stellwänden mit einem Bilderreigen der kriegerischen Gallier, erkennbar am langen Schnurrbart, der Lanze in der Hand, dem Flügelhelm auf dem Kopf, schon geht es ans Eingemachte – an den Mythos. Der entstand, als Napoléon der III. neue Helden für das Volk suchte und archäologische Grabungen zu den Galliern beauftragte, und daraufhin nationalistische, patriotische, anti-klerikale Historiker das Thema begeistert ausschmückten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bevölkern "unsere Vorfahren, die Gallier" jedes französische Geschichtsschulbuch.
"Man zieht es vor, sich die Gallier wie Asterix vorzustellen, im tiefen Wald, ein ungewöhnliches Völkchen, reine Wilde, die noch nicht von der Moderne verdorben wurden. Widerständler, unabhängige Geister, die dem Charme der Zivilisation noch nicht erlegen sind. Diese Sichtweise ist vielleicht beruhigender, romantischer, die Phantasie beflügelnder, aber sie ist falsch.
Wir müssen alles vergessen, was wir bislang über die Gallier wussten. Und wieder Cäsars Schriften zum gallischen Krieg lesen. Er sprach nicht von Barbaren, die im tiefen Wald leben, die Wildschweine jagen und Misteln pflücken. Wenn er Gallien schildert, beschreibt er wirkliche Städte mit einem öffentlichen Zentrum, umgeben von monumentalen Wällen, er schreibt von politischen Versammlungen, vom Senat. Er schildert uns eine Zivilisation, die letztendlich der der Römer sehr ähnlich ist."
Im zweiten Ausstellungssaal wurden mehrere Zelte aufgeschlagen. Werkstätten, in denen es je um ein wissenschaftliches Arbeitsgebiet geht. Seien es die Töpferkünste der Gallier, deren Metallverarbeitung, die Organisation ihrer Städte. In kurzen Videos erklären Wissenschaftler ihre tägliche Arbeit. François Malrain steht in der Werkstatt, in der historische Körner und Pollen untersucht werden. Auch Malrain hat an der Ausstellung mitgearbeitet. Er gehört zum INRAP, dem nationalen Institut für Rettungsarchäologie, das vor knapp zehn Jahren gegründet wurde und seither vor jedem größeren Neubau auf Schatzsuche geht. Malrain steht vor einer Art Modellbau: zwischen Feldern wurde en miniature ein gallischer Bauernhof nachgebaut.
"In den vergangenen 30 Jahren wurden in Frankreich unzählige Ausgrabungen durchgeführt und gallische Bauten gefunden, die im Allgemeinen als Bauernhöfe identifiziert werden. Solche Höfe waren ungemein zahlreich, bei Grabungsarbeiten vor einem Autobahn-Ausbau beispielsweise findet sich alle 500 Meter ein solcher Hof. Das widerlegt die Mär, dass ganz Gallien von Wäldern übersät war. Die damalige Bewaldung dürfte dem heutigen Stand entsprechen. Bei Ausgrabungen finden wir kaum Baumpollen. Die Wälder wurden abgeholzt, weil man Baumaterial brauchte, Brennholz, Holz für Karren, für landwirtschaftliche Werkzeuge sowie auch für die aufkommenden Industrien. Sei es die Salzgewinnung oder auch die Erzindustrie."
Die Gallier fabrizierten sogenannte Salzbrote, kompakte Salzpäckchen, die dem ganzen Land zum Pökeln der Hausschweine dienten. In Rom galten gallische Wurstwaren als Delikatesse. Die Landwirtschaft stand in voller Blüte, die Bauern im Westen waren spezialisiert auf Linsen und Erbsen, im Norden und im Osten hingegen wogten endlose Getreidefelder. All das lesen die Wissenschaftler aus den Körnerfunden heraus.
"Alle Höfe waren untereinander mit einem Wegenetz verknüpft. Das hatte Anschluss an ein breiteres Straßennetz, das zu den Ballungsräumen führte und zu den Städten, die ab dem 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung aufkamen."
Der nächste Saal ist abgedunkelt: in Glasvitrinen leuchten Schätze der gallischen Handwerker. Zu den spektakulärsten Stücken zählt der Helm, der vor einigen Jahren in Tintignac, im Südosten des Landes, gefunden wurde: eine bronzene Kriegskopfbedeckung, die einen Schwan darstellt. Im Seitenraum in einer Mischung aus Film und Hologramm eine gallische Opferzeremonie gezeigt: Beim Ritual wurden Ziegen geschächtet und keineswegs Sklaven oder Feinde, wie es in den Mythen heißt. Nebenan in Schaukästen ist das Innere kompletter Grabanlagen nachgebildet. Darunter das eines Adligen, dem nicht nur seine Waffen, sondern auch Amphoren und ein halbes Ferkel beigegeben wurden, Ausdruck seines hohen sozialen Rangs.
"Bei der Analyse seines Skeletts fanden die Archäologen heraus, dass dieser Adlige bei seinem Tod ungefähr 35 Jahre alt war. Und zudem, dass sein Schenkelknochen Spuren eines Bruchs aufweist, der repariert worden war. Die Gallier verstanden sich darauf, Knochenbrüche zu heilen. Ein nützliches Wissen, wenn man an die blutigen Kämpfe der damaligen Zeit denkt."
Die Gallier sind noch für manche Überraschung gut, sagt Archäologe Matthieu Poux. Mit seinem Team machte er Mitte September auf der Grabungsstätte im südöstlichen Corent einen spektakulären Fund:
"Wir haben eine Art gallisches Theater gefunden. Unter den Resten des römischen Theaters. Wir sagen eine Art Theater, da dort wohl politische und religiöse Versammlungen stattfanden. Das gallische Bauwerk hat dieselbe Form wie das römische Theater, dieselbe Bauweise, aber es ist halt nicht aus Stein, sondern aus Holz. Und deshalb hat es kaum Spuren hinterlassen. Dennoch: Dieser Fund ist eine Revolution. Stellen Sie sich mal vor: die Gallier versammelten sich keineswegs auf einer Waldlichtung, auf Bäumen sitzend oder am Boden hockend. Da sieht man doch, dass die Wirklichkeit mit dem Mythos nichts gemein hat."
Matthieu Poux, Professor für Archäologie an der Universität Lyon und wissenschaftlicher Berater der Ausstellung.
"Gallien jedoch existiert nicht, die Gallier bildeten nicht eine Nation, sie waren keine Einheit. Gallien bestand aus einem Mosaik von um die 60 Völker, die teils eng zusammenarbeiteten, sich häufig jedoch bekriegten. Aber sie empfanden sich keineswegs als eine Nation und ihr Territorium betrachteten sie nicht als Vaterland. Die Franzosen bilden sich seit 150 Jahren ein, Gallien sei ihr Vaterland, dabei hat dies so nie existiert. Gallien war ein Teil der keltischen Welt, die ganz Europa und auch Deutschland umfasste."
Kaum hat der Besucher einige Schritte in die Ausstellung gemacht, vorbei an den Stellwänden mit einem Bilderreigen der kriegerischen Gallier, erkennbar am langen Schnurrbart, der Lanze in der Hand, dem Flügelhelm auf dem Kopf, schon geht es ans Eingemachte – an den Mythos. Der entstand, als Napoléon der III. neue Helden für das Volk suchte und archäologische Grabungen zu den Galliern beauftragte, und daraufhin nationalistische, patriotische, anti-klerikale Historiker das Thema begeistert ausschmückten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bevölkern "unsere Vorfahren, die Gallier" jedes französische Geschichtsschulbuch.
"Man zieht es vor, sich die Gallier wie Asterix vorzustellen, im tiefen Wald, ein ungewöhnliches Völkchen, reine Wilde, die noch nicht von der Moderne verdorben wurden. Widerständler, unabhängige Geister, die dem Charme der Zivilisation noch nicht erlegen sind. Diese Sichtweise ist vielleicht beruhigender, romantischer, die Phantasie beflügelnder, aber sie ist falsch.
Wir müssen alles vergessen, was wir bislang über die Gallier wussten. Und wieder Cäsars Schriften zum gallischen Krieg lesen. Er sprach nicht von Barbaren, die im tiefen Wald leben, die Wildschweine jagen und Misteln pflücken. Wenn er Gallien schildert, beschreibt er wirkliche Städte mit einem öffentlichen Zentrum, umgeben von monumentalen Wällen, er schreibt von politischen Versammlungen, vom Senat. Er schildert uns eine Zivilisation, die letztendlich der der Römer sehr ähnlich ist."
Im zweiten Ausstellungssaal wurden mehrere Zelte aufgeschlagen. Werkstätten, in denen es je um ein wissenschaftliches Arbeitsgebiet geht. Seien es die Töpferkünste der Gallier, deren Metallverarbeitung, die Organisation ihrer Städte. In kurzen Videos erklären Wissenschaftler ihre tägliche Arbeit. François Malrain steht in der Werkstatt, in der historische Körner und Pollen untersucht werden. Auch Malrain hat an der Ausstellung mitgearbeitet. Er gehört zum INRAP, dem nationalen Institut für Rettungsarchäologie, das vor knapp zehn Jahren gegründet wurde und seither vor jedem größeren Neubau auf Schatzsuche geht. Malrain steht vor einer Art Modellbau: zwischen Feldern wurde en miniature ein gallischer Bauernhof nachgebaut.
"In den vergangenen 30 Jahren wurden in Frankreich unzählige Ausgrabungen durchgeführt und gallische Bauten gefunden, die im Allgemeinen als Bauernhöfe identifiziert werden. Solche Höfe waren ungemein zahlreich, bei Grabungsarbeiten vor einem Autobahn-Ausbau beispielsweise findet sich alle 500 Meter ein solcher Hof. Das widerlegt die Mär, dass ganz Gallien von Wäldern übersät war. Die damalige Bewaldung dürfte dem heutigen Stand entsprechen. Bei Ausgrabungen finden wir kaum Baumpollen. Die Wälder wurden abgeholzt, weil man Baumaterial brauchte, Brennholz, Holz für Karren, für landwirtschaftliche Werkzeuge sowie auch für die aufkommenden Industrien. Sei es die Salzgewinnung oder auch die Erzindustrie."
Die Gallier fabrizierten sogenannte Salzbrote, kompakte Salzpäckchen, die dem ganzen Land zum Pökeln der Hausschweine dienten. In Rom galten gallische Wurstwaren als Delikatesse. Die Landwirtschaft stand in voller Blüte, die Bauern im Westen waren spezialisiert auf Linsen und Erbsen, im Norden und im Osten hingegen wogten endlose Getreidefelder. All das lesen die Wissenschaftler aus den Körnerfunden heraus.
"Alle Höfe waren untereinander mit einem Wegenetz verknüpft. Das hatte Anschluss an ein breiteres Straßennetz, das zu den Ballungsräumen führte und zu den Städten, die ab dem 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung aufkamen."
Der nächste Saal ist abgedunkelt: in Glasvitrinen leuchten Schätze der gallischen Handwerker. Zu den spektakulärsten Stücken zählt der Helm, der vor einigen Jahren in Tintignac, im Südosten des Landes, gefunden wurde: eine bronzene Kriegskopfbedeckung, die einen Schwan darstellt. Im Seitenraum in einer Mischung aus Film und Hologramm eine gallische Opferzeremonie gezeigt: Beim Ritual wurden Ziegen geschächtet und keineswegs Sklaven oder Feinde, wie es in den Mythen heißt. Nebenan in Schaukästen ist das Innere kompletter Grabanlagen nachgebildet. Darunter das eines Adligen, dem nicht nur seine Waffen, sondern auch Amphoren und ein halbes Ferkel beigegeben wurden, Ausdruck seines hohen sozialen Rangs.
"Bei der Analyse seines Skeletts fanden die Archäologen heraus, dass dieser Adlige bei seinem Tod ungefähr 35 Jahre alt war. Und zudem, dass sein Schenkelknochen Spuren eines Bruchs aufweist, der repariert worden war. Die Gallier verstanden sich darauf, Knochenbrüche zu heilen. Ein nützliches Wissen, wenn man an die blutigen Kämpfe der damaligen Zeit denkt."
Die Gallier sind noch für manche Überraschung gut, sagt Archäologe Matthieu Poux. Mit seinem Team machte er Mitte September auf der Grabungsstätte im südöstlichen Corent einen spektakulären Fund:
"Wir haben eine Art gallisches Theater gefunden. Unter den Resten des römischen Theaters. Wir sagen eine Art Theater, da dort wohl politische und religiöse Versammlungen stattfanden. Das gallische Bauwerk hat dieselbe Form wie das römische Theater, dieselbe Bauweise, aber es ist halt nicht aus Stein, sondern aus Holz. Und deshalb hat es kaum Spuren hinterlassen. Dennoch: Dieser Fund ist eine Revolution. Stellen Sie sich mal vor: die Gallier versammelten sich keineswegs auf einer Waldlichtung, auf Bäumen sitzend oder am Boden hockend. Da sieht man doch, dass die Wirklichkeit mit dem Mythos nichts gemein hat."