Archiv


Die Gefährdung der unbekannten Künstler

Inhaftierungen von herausragenden Künstlern wie Ai Weiwei oder des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo in China erregen weltweit Aufsehen. Doch auch unbekannte Künstler haben mit Repressionen zu kämpfen, betont der in Deutschland lebende Journalist Shi Ming.

Shi Ming im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die chinesischen Steuerbehörden fordern jetzt Geld von Ai Weiwei, umgerechnet fast 1,4 Millionen Euro. Über eine halbe Million Steuernachzahlung sollen das sein und eine Geldstrafe von rund 775.000 Euro. Nach Auskunft eines Freundes hat Ai jetzt drei Tage Zeit, um dagegen Widerspruch einzulegen.

    Gestern Abend in Berlin eher stille Proteste wegen der vielen, immer noch inhaftierten Intellektuellen, Schriftsteller, Künstler und Dissidenten bei einer eindrücklichen Demonstration der Solidarität im Berliner Literaturhaus. Uwe Kolbe las aus dem noch unveröffentlichten Blog Ai Weiweis:

    "Interessante Kunstwerke reiben sich wirkungsvoll an Tradition, an dieser populären und gesellschaftlichen Ästhetik und Ideologie. Angriffe und subversive Akte gegen dieses mittelmäßige visuelle System, seine Ideale und Anschauungen, haben zur Entstehung einer konfliktgeladenen Beziehung zwischen Moderne und echtem Leben geführt. Ein Kunstwerk zu schaffen, das kein gewisses Unbehagen bei den Menschen erregt, oder schlicht ihre Gefühle verändert, ist der Mühe nicht wert. Das ist der Unterschied zwischen einem Künstler und einem Narren", ..."

    Fischer: ... schreibt Ai Weiwei. - Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller erinnerte an Liu Xiaobo, der im Gefängnis sitzt, weil er der Forderung nach Demokratie in der "Charta 08" Ausdruck gab:

    ""Ich wollte auch noch einmal an Liu Xiaobo erinnern, an den Friedensnobelpreisträger, der seine elf Jahre Gefängnis bekommen hat und von dem leider in den letzten Monaten ganz wenig die Rede ist, und ich habe sehr Angst, er wird langsam vergessen. Und wenn die Weltöffentlichkeit auch da nicht ständig insistiert, wird ihm auch nichts erspart bleiben. Elf Jahre Gefängnis in China, das ist mehr als ein halbes Leben, wenn man es überhaupt überlebt."

    Fischer: Die Formen der Dissidenz in China sind so vielfältig, wie die meisten der inhaftierten Künstler namenlos sind. Deswegen ging die Frage an meinen Kollegen Shi Ming: Was wissen Sie über diejenigen, die wir nicht kennen?

    Shi Ming: Es gibt jetzt eine Szene, die nennt sich auch namentlich "Unabhängige Filmemacher". Das sind junge Leute, die sogar bei Low Budget eigene Dokumentarfilme drehen, weit weg vom Mainstream, weit weg von Unterhaltung, aber sie versuchen darzustellen die Realität eines kapitalistisch-bürgerlichen, sehr verkitschten, oft aber auch durch die Armut geprägten Alltagslebens zum Beispiel der Bauern, die auf dem Land geblieben sind, oder zum Beispiel junge Mädchen, die alte Männer an Reisestationen sexuell bedienen müssen, um ein bisschen Geld zu verdienen. All diese Dokumentarfilme setzen sich langsam sogar in China selber durch. Viele von ihnen werden auch bei kleineren internationalen Festivals ausgezeichnet.

    Fischer: Und sind diese Künstlerdissidenten, sage ich jetzt mal, denn bedroht vom Staat? Gibt es eine Art erwartbares Vorgehen in China oder herrscht da Willkür? Kann man die Reaktionen des Staates irgendwie kennen, das Risiko für sich selbst einschätzen?

    Shi Ming: Es gibt generell zwei Vorgehensweisen. Entweder werden diese Künstler vernommen, sogar manchmal verurteilt, verhaftet, oder aber sie werden quasi durch die Hintertür von der Untergrundgesellschaft bedroht. Es gibt durchaus auch Polizeiverhöre, die damit enden: Also wenn Sie nicht mit uns kooperieren, garantieren wir Ihnen gar keine Sicherheit mehr, dann passiert etwas. Das ist in den Provinzen, in den entlegenen Gebieten fast ein Alltag geworden.

    Fischer: Und für welche Gruppe, für welche Menschen müsste zum Beispiel mit Hilfe des Westens mehr getan werden?

    Shi Ming: Natürlich auch für die gesamten Szenen, also Kunst als Protest zum Beispiel als generelles Motto. Die Kunstszene, auch die bildende Kunst, die Performancekunst, die Filmkunst und so weiter, die neigen immer mehr dazu, die sozialen Probleme oder auch die menschlichen Probleme in der bürgerlichen Gesellschaft zu thematisieren. Es ist nicht mehr nur so, dass man verkaufen will. Und für diese Szenen hat der Westen, auch die westliche Kulturkritik, bislang sehr wenig Platz, und das soll sich eigentlich ändern, denn das ist der Hintergrund für hervorragende Figuren wie Ai Weiwei. Wenn diese Szenen erstarken, würde es den Behörden noch viel, viel schwerer fallen, gegen Figuren wie Ai Weiwei vorzugehen, denn dann geht es so richtig los in der chinesischen Gesellschaft.

    Fischer: Tilman Spengler hat jetzt noch mal betont, dass man mit Protesten aus dem Westen auch deshalb viel falsch machen kann, weil die Chinesen diese Kritik als zu pauschal und zu einfach zurückweisen könnten. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann plädieren Sie wirklich für eine Stärkung der Kultur in China von außen?

    Shi Ming: Zumindest eine Sympathiebekundung und zumindest ein ernsthafter Versuch, diese Kultur bekannt zu machen. Das wäre auf jeden Fall notwendig, weil wenn diese namenlosen Künstler dermaßen drangsaliert werden, wenn die Behörden langsam auch vor bekannten Figuren nicht zurückschrecken, dann würde es fast für den Westen ein Sündenfall, wenn man überhaupt schweigt, wenn man sozusagen unter dem Stichwort, wir müssen Rücksicht auf die Dissidenten nehmen, sie würden durch uns noch mehr Druck bekommen, wenn also diese Rechnung nicht mehr aufgeht, und die geht äußerst selten noch auf. Wenn also die Behörden überhaupt keine Rücksicht mehr nehmen und wenn der Westen oder die westlichen Intellektuellen genau diese Rücksichtnahmestrategien auch mitmachen, dann sieht es wirklich zappenduster aus.

    Fischer: Shi Ming, kennen Sie Zahlen über künstlerische Dissidenten, die inhaftiert sind oder denen Gefängnis droht oder die schon seit Langem im Gefängnis sitzen?

    Shi Ming: Die nennbare Zahl ist relativ gering, weil den meisten namenlosen Künstlern geht es gar nicht so sehr darum, dass sie im Gefängnis landen, sondern dass sie verschleppt werden. Es gibt also Künstler, die die Finger abgehackt bekommen von der Untergrundgesellschaft. Es gibt Filmemacher, die im Fluss landen oder irgendwo. Diese dunkle Zahl, von der hat niemand eine Ahnung. Man kann noch nicht einmal ahnen, wie groß sie ist.

    Fischer: Das war Shi Ming über kulturelle Formen der Dissidenz und die Gefährdetheit der unbekannten Künstler.