Auch im Kampf gegen einen noch so bösartigen Gegner müssten die Vereinigten Staaten Hüter von Verhaltensregeln im Krieg bleiben. Das erklärte Barack Obama im Dezember 2009 in Oslo; da war er noch jung im Amt des US-Präsidenten und frisch gekürter Friedensnobelpreisträger. Deshalb, sagte Obama weiter, habe er Folterungen verboten. Und außerdem angeordnet, das berüchtigte Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba zu schließen.
Fünf Jahre später und mitten in Obamas zweiter Amtszeit sieht die Wirklichkeit anders aus. Noch immer befinden sich etwa 170 Gefangene in Guantánamo. Drohnen bombardieren Ziele in Pakistan, Jemen, Somalia. Todeslisten, Geheimkommandos und verdeckte Operationen gehören mehr denn je zu den Instrumenten der amerikanischen Sicherheitspolitik. Zu dieser ernüchternden Erkenntnis kommt der Journalist Jeremy Scahill in seinem Buch "Schmutzige Kriege." Obama, schreibt er, habe bereits kurz nach seinem Amtsantritt klar gemacht:
"Dass er beabsichtige, an vielen der höchst aggressiven Maßnahmen zur Terrorabwehr festzuhalten, die in der Ära Bush praktiziert worden waren. Dazu zählten gezielte Tötungen, Abhöraktionen ohne richterlichen Beschluss, das Betreiben von Geheimgefängnissen, (...) Inhaftierung auf unbegrenzte Zeit, (...) der Einsatz von Söldnern in den Kriegen der USA.
"Schmutzige Kriege" ist eine Mischung aus Dokudrama und investigativer Reportage auf üppigen 600 Seiten. Das Buch polarisierte die Meinungen in Amerika – und landete weit oben auf den Bestsellerlisten. Scahill ist nicht nur ein akribischer Rechercheur, sondern auch ein routinierter Erzähler. Sein Buch folgt zwei Strängen, die er chronologisch begleitet und am Ende zusammenführt. Da ist zum einen die Geschichte von Anwar al-Awlaki, dem islamischen Extremisten und Hassprediger. Awlaki war der erste amerikanische Staatsbürger, den die Regierung gezielt töten ließ. Und da ist zum anderen die Geschichte eines US-Sonderkommandos, das die Eliteeinheiten verschiedener Teilstreitkräfte bündelt: das Joint Special Operations Command, kurz: JSOC.
"JSOC wurde 1980 gegründet, als Ergebnis der gescheiterten Geiselbefreiung im Iran. Damals lief die Koordinierung zwischen den einzelnen Militärstellen ziemlich schlecht. Man entschied, ein Art Elite-Auswahlmannschaft der besten Spezialkräfte für verdeckte Operationen zu schaffen. Darunter war auch jene Truppe, die 2011 Osama Bin Laden tötete: Seal Team 6."
Vor allem unterliege das JSOC nicht den üblichen militärischen Kommandostrukturen:
"Die Truppe wurde als Privatarmee des Präsidenten gegründet. Was JSOC von den Marines unterscheidet, ist die Tatsache, dass es eine direktere Kommunikation mit dem Weißen Haus gibt."
Der Autor schildert, wie die Regierung Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Kompetenzen von JSOC - das bis dahin als Ad-hoc-Kommando für streng begrenzte Operationen fungiert hatte - ausweitete und von der Leine lies. Das Ergebnis war entfesselte, enthemmte Gewalt. Mit drastischen Beschreibungen von Folterszenen füttert Scahill das Bild vom hässlichen Amerikaner. Das ist immer wieder schockierend, aber nicht neu. Fahrt gewinnt das Buch vor allem im zweiten Teil. Präsident Obama lernte die Qualitäten des JSOC im April 2009, zu schätzen. Damals hatten somalische Piraten das Containerschiff Maersk Alabama gekapert und dessen Kapitän als Geisel genommen. Spezialeinheiten des JSOC unter dem damaligen Kommandeur William McRaven erschossen die Piraten und befreiten den Kapitän.
"Nach der Ausschaltung der Piraten wurde Admiral McRaven ein gern gesehener Gast Obamas, und die JSOC-Truppen wurden, wie unter Bush, die hochgeschätzten Ninjas des Präsidenten."
Schreibt Scahill. Und so setzte Obama den Krieg gegen den Terror, den sein Vorgänger begonnen hatte, mit anderen Mitteln fort, verschärfte die Taktik der Geheimkommandos und gezielten Tötungen und etablierte sie als festen Bestandteil im Werkzeugkasten der nationalen Sicherheitspolitik. Dabei stieß er auf ein williges Publikum: Die Amerikaner waren der großen Schlachten und heimkehrenden Zinksärge müde, und Obama galt als Präsident, der einen intelligenteren Krieg führte.
"Dieses Argument war sehr effektiv, um die Zustimmung linksliberalerer Kreise zu gewinnen. Hätte der Republikaner John McCain allerdings die Wahlen 2008 gewonnen und die gleiche Politik gemacht, hätte es heftige Proteste gegeben."
Anwar al-Alwaki starb im September 2011 bei einem Drohnenangriff im Jemen. Dass ein amerikanischer Staatsbürger ohne ordentliche Anklage und Prozess auf die Todesliste gesetzt wurde, sorgte für Empörung - nicht nur in den USA und unter linksliberalen Bürgerrechtlern, schreibt Scahill:
"Selbst ehemaligen hochrangigen Mitgliedern der Regierung Bush erschien die Tötung eines US-Bürgers durch einen demokratischen Präsidenten als ein Schritt über die Grenze zulässiger Praktiken im Krieg gegen den Terror."
Der Autor bezweifelt, dass eine Politik der verdeckten Operationen langfristige Erfolge im Krieg gegen den Terror erzielen könne - im Gegenteil.
"Ich meine, dass wir die Gewalt eher befördern, anstatt sie zu bekämpfen. Weil wir den Menschen Gründe dafür liefern, Amerika zu hassen. Damit züchten wir uns mehr Feinde heran, die uns vernichten wollen, als dass wir tatsächliche Terroristen ausschalten."
Die Schwäche des Buches ist es, dass der Autor keine wirkliche Alternative für eine Terrorbekämpfung im 21. Jahrhundert anbietet, sondern sich in der moralischen Verurteilung genügt. Seine Stärke ist, dass es aufklärt, entblößt und ernüchtert - und sich dabei über weite Strecken so packend, wie ein Agentenkrimi liest. "Schmutzige Kriege" dürfte so manches anti-amerikanische Vorurteil nähren und kommt selbst ganz unamerikanisch daher. Weil es in Jeremy Scahills Geschichte nämlich keine Helden gibt, sondern nur mehr oder weniger raffinierte Schurken.
Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen.
Antje Kunstmann Verlag, 720 Seiten, 29,95 Euro
ISBN: 978-3-888-97868-5
Fünf Jahre später und mitten in Obamas zweiter Amtszeit sieht die Wirklichkeit anders aus. Noch immer befinden sich etwa 170 Gefangene in Guantánamo. Drohnen bombardieren Ziele in Pakistan, Jemen, Somalia. Todeslisten, Geheimkommandos und verdeckte Operationen gehören mehr denn je zu den Instrumenten der amerikanischen Sicherheitspolitik. Zu dieser ernüchternden Erkenntnis kommt der Journalist Jeremy Scahill in seinem Buch "Schmutzige Kriege." Obama, schreibt er, habe bereits kurz nach seinem Amtsantritt klar gemacht:
"Dass er beabsichtige, an vielen der höchst aggressiven Maßnahmen zur Terrorabwehr festzuhalten, die in der Ära Bush praktiziert worden waren. Dazu zählten gezielte Tötungen, Abhöraktionen ohne richterlichen Beschluss, das Betreiben von Geheimgefängnissen, (...) Inhaftierung auf unbegrenzte Zeit, (...) der Einsatz von Söldnern in den Kriegen der USA.
"Schmutzige Kriege" ist eine Mischung aus Dokudrama und investigativer Reportage auf üppigen 600 Seiten. Das Buch polarisierte die Meinungen in Amerika – und landete weit oben auf den Bestsellerlisten. Scahill ist nicht nur ein akribischer Rechercheur, sondern auch ein routinierter Erzähler. Sein Buch folgt zwei Strängen, die er chronologisch begleitet und am Ende zusammenführt. Da ist zum einen die Geschichte von Anwar al-Awlaki, dem islamischen Extremisten und Hassprediger. Awlaki war der erste amerikanische Staatsbürger, den die Regierung gezielt töten ließ. Und da ist zum anderen die Geschichte eines US-Sonderkommandos, das die Eliteeinheiten verschiedener Teilstreitkräfte bündelt: das Joint Special Operations Command, kurz: JSOC.
"JSOC wurde 1980 gegründet, als Ergebnis der gescheiterten Geiselbefreiung im Iran. Damals lief die Koordinierung zwischen den einzelnen Militärstellen ziemlich schlecht. Man entschied, ein Art Elite-Auswahlmannschaft der besten Spezialkräfte für verdeckte Operationen zu schaffen. Darunter war auch jene Truppe, die 2011 Osama Bin Laden tötete: Seal Team 6."
Vor allem unterliege das JSOC nicht den üblichen militärischen Kommandostrukturen:
"Die Truppe wurde als Privatarmee des Präsidenten gegründet. Was JSOC von den Marines unterscheidet, ist die Tatsache, dass es eine direktere Kommunikation mit dem Weißen Haus gibt."
Der Autor schildert, wie die Regierung Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Kompetenzen von JSOC - das bis dahin als Ad-hoc-Kommando für streng begrenzte Operationen fungiert hatte - ausweitete und von der Leine lies. Das Ergebnis war entfesselte, enthemmte Gewalt. Mit drastischen Beschreibungen von Folterszenen füttert Scahill das Bild vom hässlichen Amerikaner. Das ist immer wieder schockierend, aber nicht neu. Fahrt gewinnt das Buch vor allem im zweiten Teil. Präsident Obama lernte die Qualitäten des JSOC im April 2009, zu schätzen. Damals hatten somalische Piraten das Containerschiff Maersk Alabama gekapert und dessen Kapitän als Geisel genommen. Spezialeinheiten des JSOC unter dem damaligen Kommandeur William McRaven erschossen die Piraten und befreiten den Kapitän.
"Nach der Ausschaltung der Piraten wurde Admiral McRaven ein gern gesehener Gast Obamas, und die JSOC-Truppen wurden, wie unter Bush, die hochgeschätzten Ninjas des Präsidenten."
Schreibt Scahill. Und so setzte Obama den Krieg gegen den Terror, den sein Vorgänger begonnen hatte, mit anderen Mitteln fort, verschärfte die Taktik der Geheimkommandos und gezielten Tötungen und etablierte sie als festen Bestandteil im Werkzeugkasten der nationalen Sicherheitspolitik. Dabei stieß er auf ein williges Publikum: Die Amerikaner waren der großen Schlachten und heimkehrenden Zinksärge müde, und Obama galt als Präsident, der einen intelligenteren Krieg führte.
"Dieses Argument war sehr effektiv, um die Zustimmung linksliberalerer Kreise zu gewinnen. Hätte der Republikaner John McCain allerdings die Wahlen 2008 gewonnen und die gleiche Politik gemacht, hätte es heftige Proteste gegeben."
Anwar al-Alwaki starb im September 2011 bei einem Drohnenangriff im Jemen. Dass ein amerikanischer Staatsbürger ohne ordentliche Anklage und Prozess auf die Todesliste gesetzt wurde, sorgte für Empörung - nicht nur in den USA und unter linksliberalen Bürgerrechtlern, schreibt Scahill:
"Selbst ehemaligen hochrangigen Mitgliedern der Regierung Bush erschien die Tötung eines US-Bürgers durch einen demokratischen Präsidenten als ein Schritt über die Grenze zulässiger Praktiken im Krieg gegen den Terror."
Der Autor bezweifelt, dass eine Politik der verdeckten Operationen langfristige Erfolge im Krieg gegen den Terror erzielen könne - im Gegenteil.
"Ich meine, dass wir die Gewalt eher befördern, anstatt sie zu bekämpfen. Weil wir den Menschen Gründe dafür liefern, Amerika zu hassen. Damit züchten wir uns mehr Feinde heran, die uns vernichten wollen, als dass wir tatsächliche Terroristen ausschalten."
Die Schwäche des Buches ist es, dass der Autor keine wirkliche Alternative für eine Terrorbekämpfung im 21. Jahrhundert anbietet, sondern sich in der moralischen Verurteilung genügt. Seine Stärke ist, dass es aufklärt, entblößt und ernüchtert - und sich dabei über weite Strecken so packend, wie ein Agentenkrimi liest. "Schmutzige Kriege" dürfte so manches anti-amerikanische Vorurteil nähren und kommt selbst ganz unamerikanisch daher. Weil es in Jeremy Scahills Geschichte nämlich keine Helden gibt, sondern nur mehr oder weniger raffinierte Schurken.
Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen.
Antje Kunstmann Verlag, 720 Seiten, 29,95 Euro
ISBN: 978-3-888-97868-5