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Die Geliebte der Wahrheit

Wir lügen alle. Mit mehr oder weniger Vergnügen. Mit mehr oder weniger Gewissenspein. Unser Alltag ist ohne Lügen und Listen kaum zu bewältigen. Höflichkeitsfloskeln und Notlügen machen das Leben einfacher.

Von Ursula Gaßmann |
    Erfolge zählen. Wie sie erreicht werden, interessiert nicht. Macht ist sexy. Ein scharfsichtiger, aktiver Intrigant wirkt interessanter als ein passiver Gutmensch. Aber egal, ob man falsche Komplimente macht oder nur etwas verschweigt: Jede Lüge wirft ethische Fragen auf.
    "Es lügt, wer täuschen will!", ruft der strenge Augustinus.
    "Der Zweck heiligt die Mittel", sagen die Jesuiten.
    Auch in der Natur sind Täuschung und Verstellung an der Tagesordnung.
    "Die Schöpfung lügt", so beginnt der Literaturwissenschaftler Peter von Matt sein Buch über die Intrige. Später modifiziert er seine These: "Das ist ja auch bewusst provokativ gesagt, denn Lüge im sittlichen Sinn setzt ja den Willen zur Lüge voraus. Und die Natur will nicht täuschen, will nicht lügen, sie macht es eben, weil sie durch die Evolution zu diesen Verhaltensweisen, respektive zu diesen Formen gekommen ist. Die Differenz zum Menschen liegt im Bewusstsein und in der Freiheit, lügen zu können oder nicht."
    Die Lüge drückt sich in einem sprachlichen Akt aus und kann als solcher auch erst mal wertfrei betrachtet werden. Für manche ist die Verkleidung schon eine Täuschung, die an eine Lüge grenzt. Für andere wird die Literatur generell als Lüge bezeichnet. Aber Literatur ist Fiktion. Sie ist voller Beispiele für vergnügliches oder boshaftes Lügen, und jeder gute Krimi kommt nicht ohne Listen aus. Und sie zeigt: Lügen und Verstellungen und auch Verschweigen können andere kaputtmachen.
    In den "Liaisons dangereuses" von Choderlos de Laclos versucht der Intrigant und Frauenverführer Valmont mit allen Mitteln seiner Kunst, Madame de Tourvel zu erobern. Die verheiratete Frau hadert mit ihrer Liebe zu Valmont und betet inbrünstig zu Gott, er möge sie vor dieser Liebe retten. Valmont beobachtet sie dabei durchs Schlüsselloch. Er berichtet seiner Mitverschwörerin Merteuil: "Welchen Gott wagte sie anzurufen? Gibt es einen, der stark genug ist gegen die Liebe? Ich bin es, der ihr Schicksal bestimmen wird." - "C'est moi, qui reglerai son sort!" Weit höher als die sexuelle Eroberung steht für Valmont der Genuss der Macht. Intrigengenuss ist mehr als Frauenliebe.
    Auch in der Politik geht es um Macht. Und der Grundsatz, der Ehrliche sei der Gute und der Böse hingegen der Lügner, dieser Grundsatz wird vom Leben oft genug auf den Kopf gestellt. Machiavelli ist ein berühmtes Beispiel dafür. Er hat die Mechanismen politischer Macht analysiert, und er greift zur Tierfabel, um zu verdeutlichen, wie der Herrscher regieren muss, wenn er mit dem Recht der Menschen nicht weiterkommt: "Wenn sich also ein Herrscher gut darauf verstehen muss, die Natur des Tieres anzunehmen, soll er sich den Fuchs und den Löwen wählen; denn der Löwe ist wehrlos gegen Schlingen, der Fuchs ist wehrlos gegen Wölfe. Man muss also Fuchs sein, um die Schlingen zu wittern, und Löwe, um die Wölfe zu schrecken. Wer nur Löwe sein will, versteht seine Sache schlecht."
    Auch Biologen beschäftigen sich mit dem Lob der Lüge, zum Beispiel Volker Sommer. Philosophen versuchen zu enträtseln, wie es zu der "Auschwitzlüge" kommen konnte. Hannah Arendt schreibt in ihrem Werk "Wahrheit und Lüge in der Politik": "Lügen ist immer primär ein Handeln [...] Das aber heißt, dass unsere Fähigkeit zu lügen zu den wenigen Dingen gehört, die uns nachweislich bestätigen, dass es so etwas wie Freiheit wirklich gibt."


    Peter von Matt
    Die Intrige
    Theorie und Praxis der Hinterlist.
    2008 DTV
    Seit Adam und Eva gehören Intrigen zu unserer Zivilisation. Mit souveräner Leichtigkeit führt uns Peter von Matt ihre zahlreichen Facetten anhand von wunderbaren Beispielen aus der Weltliteratur vor: das Kuckucksei und das Trojanische Pferd, Lady Macbeth, der durchtriebene Fuchs, Mr. Ripley und viele mehr. Es geht um die Täter, ihre Helfer und die Opfer, das Wesen der Intrige und das ihres Hauptakteurs: des Menschen.

    Auszug aus dem Manuskript:

    Peter von Matt:
    Die Intrige, und auch die Hochstapelei bis hin zum Heiratsschwindel setzt ja eine sehr große Begabung voraus. Das muss einer mal zuerst können. Die Verstellung ist eine hochentwickelte Kunst und jene seltenen Leute, die das wirklich können, und zwar im großen Stil, dass die Gesellschaft drauf reinfällt, -nicht nur eine Frau verliebt zu machen und sie dann im Stich zu lassen oder auszubeuten,- sondern in beste soziale Kreise vorzustoßen, diese zu täuschen, das hat natürlich etwas Faszinierendes, weil wir es dann auch oft dieser Gesellschaft gönnen, weil das dann ja oft auch eine Gesellschaft ist, die sich wichtig vorkommt, die sehr blasiert ist, die sich sehr überlegen vorkommt über die ärmeren und die einfacheren Leute, und wenn da so einer kommt von unten und der haut die übers Ohr, dann ist das für uns ein Vergnügen.
    Dem Reiz und dem Charisma guter Hochstapler erliegen manchmal sogar ihre juristischen Ankläger. In den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts schrieb der Staatsanwalt Thomas Wulffen, der gegen den berühmten Hochstapler Manulescu ermittelte, neben wissenschaftlichen Werken auch einen Roman Der Mann mit den sieben Masken. Im Buch kapituliert Staatsanwalt Sperl vor der Herausforderung zwischen Schein und Sein, zwischen Lüge, List und Wahrheit moralisch zu differenzieren. Hochstapler Györki triumphiert im Gerichtssaal:
    "Sie werfen mir meine Sucht zu glänzen, zu blenden vor, im Golde zu wühlen, im Lichtermeer von Juwelen zu wandeln, durch äußeren Schein zu täuschen, ohne innere Verdienste hohe Personen und Aufgaben vorzugeben? So wie ich bin, seid Ihr alle! (...) Ich verwandle mich immer! Ich bin nie derselbe! Ich bin die Menschheit in tausend Gestalten! In mir hat sich alle ihre Maskenfähigkeit vereinigt und erschöpft."
    standing ovations im Gerichtssaal

    Sperl gibt sich die Kugel.
    Der Staatsanwalt und Autor Wulffen endete nicht im Selbstmord.
    Literatur ist Fiktion.
    Peter von Matt bringt das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit auf den Punkt:
    Peter von Matt
    Also, die Literatur bildet ja nicht einfach das Leben ab, sondern sie erzählt Geschichten, die in der Welt spielen, im Leben spielen und denkt in diesen Geschichten über die Welt nach.

    Gottfried August Bürger
    Die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen
    2008 Fischer (TB.), Frankfurt
    Wer kennt sie nicht, die Geschichten vom Lügenbaron Münchhausen, der auf einer Kanonenkugel fliegt oder sich am eigenen Schopf samt Pferd aus dem Sumpf zieht. Was sie auszeichnet, ist ihre augenzwinkernde Aufschneiderei und ihr festes Vertrauen darauf, dass sich alles ausweglos Scheinende selbstbewusst zum Guten wenden lässt. Gottfried August Bürgers Geschichten vom Lügenbaron zeigen: Literatur kann nicht nur höchst vergnüglich, sondern auch ansteckend sein mit ihrem unerschütterlichen Lebensmut.

    Simone Dietz
    Die Kunst des Lügens
    Eine sprachliche Fähigkeit und ihr moralischer Wert.
    2003 Rowohlt TB.

    Die Philosophin Simone Dietz forscht seit Jahren über das Phänomen Lüge. Sie sieht in der Literatur eine signalisierte Fiktion:
    Wir kaufen ein Buch und da steht drauf "Roman" und dann wissen wir, das ist eine Fiktion. Da hat sich jemand eine Geschichte ausgedacht, und weil wir Spaß an Geschichten haben, lesen wir uns diese Geschichte durch und wir nehmen ein Interesse an den Personen, aber wir wissen jederzeit, wenn wir das Buch wieder zumachen, das ist ´ne erfundene Geschichte.

    Max Frisch
    Mein Name sei Gantenbein
    2004 Suhrkamp
    Der Erzähler erfindet mögliche Lebensgeschichten dreier Personen: Da ist Gantenbein, der einen Blinden spielt, um so genauer seine Umwelt beobachten zu können. Oder da ist Enderlin, der immer "ein fremder Herr" bleibt. Auch Svoboda muss die Erfahrung machen, dass Liebe und Ehe endlich sind. Übrig im Spiel der erdichteten Rollen bleibt: Gantenbein.
    Sissela Bok
    Lying: Moral Choice in Public and Private Life
    Pantheon Books: 1978;
    Vintage paperback editions, 1979, 1989, 1999

    Auszug aus dem Manuskript:

    Die Psychologin Sissela Bok kommt in ihrem Buch Lügen. Vom täglichen Zwang zur Unaufrichtigkeit zu der eindeutigen Aussage:
    Täuschung und Gewalt - dieses sind zwei Formen eines vorsätzlichen Angriffs auf Menschen. Beide können Menschen zwingen, gegen ihren Willen zu handeln.
    Über Lob oder Diffamierung der Lüge wird seit langem heftig gestritten. Bei den alten Griechen sah man das Thema meistens entspannt. Man höre zum Beispiel die Worte, die in der Odyssee die lächelnde Athene im Reich der Götter an den listenreichen Odysseus richtet:
    Klug müsste der und diebisch sein, der dich überholen wollte in allen Listen, und träte auch ein Gott dir gegenüber! Du Schlimmer, Gedankenbunter, Unersättlicher an Listen! So wolltest du denn nicht einmal , wo du doch in deinem Lande bist, aufhören mit den Betrügereien und mit den Reden, den diebischen, die dir von Grund auf eigen sind?

    Torsten Krämer
    Augustinus zwischen Wahrheit und Lüge
    Hypomnemata Bd.170
    2007 Vandenhoeck & Ruprecht
    Augustin stand vor dem Problem, die christliche Lehre zu verkünden und zu rechtfertigen, ohne dass zu diesem Zweck ein spezifisch christliches literarisches System bereitgestanden hätte. Der Kirchenvater befand sich in dem Dilemma, die ihm vertrauten traditionellen Formen benutzen zu müssen, es als Christ eigentlich aber nicht zu dürfen. Die vorliegende Studie behandelt ausgewählte Werke, Briefe und Predigten, die auf die Position untersucht werden, die Augustin im Umgang mit der heidnisch-antiken Kulturtradition des lateinischen Westens und der christlichen Lebens- und Gedankenwelt eingenommen hat. Die Arbeit zeigt, dass der Kirchenvater nicht, wie häufig behauptet, nur einer der beiden Bildungswelten zugeordnet werden kann.

    Auszug aus dem Manuskript:

    Der rigoroseste Kritiker der Lüge ist - neben Kant - bis heute Augustinus. Er verfasste auch die erste Schrift zu diesem Thema De mendacio, geschrieben ca. 395 n. Chr.
    Augustinus definiert die Lüge kurz und bündig:
    Es lügt, wer täuschen will.
    Augustinus differenziert nicht zwischen bösartiger Täuschung, harmlosen Lügen und Notlügen.
    Choderlos de Laclos
    Gefährliche Liebschaften
    Aus d. Französ. v. Heinrich Mann .
    2010 Insel, Frankfurt
    Die Marquise von Merteuil und der Vicomte von Valmont schließen - zum Amüsement und als Rache - eine Wette ab: gelingt es, die tugendsame Mme von Tourvel zu verführen? Die Intrige scheint perfekt. Doch was geschieht, wenn die Waffe der Liebe sich gegen den Schützen wendet? Der Briefroman analysiert meisterhaft die Mechanismen der Verstellung, kontrastiert kühle Berechnung und wahres Gefühl.
    Torquato Tasso
    The Liberation of Jerusalem
    Oxford World's Classics
    2009 Oxford University Press
    Tasso's epic poem concerns the capture of Jerusalem by the Crusaders in 1099, and combines the theme of war with romantic and magical tales of love between pagan and Christian. This is the first modern translation that faithfully reflects the sense and verse form of Tasso's hugely infuential masterpiece.

    Walter Serner
    Das erzählerische Werk, 3 Bde.
    Zum blauen Affen; Der elfte Finger; Die Tigerin; Der Pfiff um die Ecke; Die tückische Straße. btb Bd.90259 152, 155, 151 S. 19 cm 965g In Kassette , in deutscher Sprache.
    2000 btb


    Wolfram Fleischhauer
    Schule der Lügen
    2008 Piper
    Eine kühle Februarnacht des Jahres 1926: In der Berliner Eldorado Bar hält Edgar von Rabov plötzlich einen Zettel in der Hand, den ihm eine exotische Schönheit zugesteckt hat. Er geht darauf ein und verfällt ihr schon bald. Doch was will sie von ihm? Als die junge Halbinderin plötzlich spurlos verschwindet, zögert er nicht, ihr bis nach Madras zu folgen Der Bestsellerautor Wolfram Fleischhauer schrieb eine hochaktuelle Geschichte über die erste Esoterikwelle in Europa und zeigt, wie der Versuch, die aufgeklärte Welt wieder zu verzaubern, seinen Beitrag zu ihrer politischen Verhexung leistete.
    Auszug aus dem Manuskript:

    Die Literatur ist eine Lüge, die die Wahrheit sagt.
    Dieses Zitat von Juan Rulfo stellt Wolfram Fleischhauer seinem Roman Schule der Lügen, erschienen 2008, voran. Das Buch handelt von der Suche nach der eigenen Identität und den Hintergründen der Esoterikbewegung in den 1920er Jahren. Und geht es darum, wie durch Lügen und Verstellung im Politischen und im Privaten manipuliert wird.
    Wolfram Fleischhauer über Verstellung und Wahrheit im Alltag:
    Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht nur uns gegenüber sondern allen andern Leuten gegenüber auch immer eine gewisse Rolle spielen, eine gewisse Maske aufhaben, nicht immer die Wahrheit sagen, sondern uns immer verstellen, uns gegenseitig Geschichten erzählen, einerseits um an die Wahrheit ranzukommen, andererseits aber auch um ihr auszuweichen.

    Mein Ansatz ist das Spiel. Also ich denke, das Spielerische, das Magische, dass man jetzt nicht versucht, eins zu eins alles zu benennen, sondern dass man sagt, ich zieh mir jetzt mal diese Maske auf oder ich geh mal in diese Rolle und probier die aus und versuch die andere Realität auch erstmal genau zu begreifen bevor ich sie beurteile und ja, wir wissen ja auch gar nicht wie es um die Wahrheit bestellt ist . Es gibt ja nicht eine, es gibt ja so viele, und man muss versuchen sie irgendwie, ja, lebbar zu machen.
    Horst Bosetzky
    Der Lustmörder
    1920. Kappes sechster Fall. Kriminalroman. Es geschah in Berlin Kommissar Hermann Kappe Bd.6.
    2008 Jaron Verlag
    Januar 1920. Am Tegeler Fließ ist ein grausiger Mord geschehen: Ein Paar wurde überfallen und getötet, die Frau zuvor vergewaltigt. Wie sich bald herausstellt, ist dies bereits die vierte Tat dieser Art. Seit über zwei Jahren treibt ein Serientäter sein Unwesen im Norden des gerade entstandenen Groß-Berlin. Grund genug für den Landkreis Niederbarnim, Verstärkung anzufordern: Kriminalkommissar Hermann Kappe wird für die Lösung der Mordfälle hinzugezogen. Kaum hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Galgenberg erste Tatverdächtige ausgemacht, werden die Ermittlungen vom politischen Zeitgeschehen erschwert, Der Kapp-Putsch versetzt Berlin für vier Tage in den Ausnahmezustand, Nachdem ein weiterer Doppelmord geschehen ist, wird die Zeit knapp, kann Hermann Kappe neue Taten des Serienmörders verhindern?
    Auszug aus dem Manuskript:
    Der emeritierte Professor für Soziologie Horst Bosetzky
    schreibt seit Jahrzehnten erfolgreiche Krimis und Familiengeschichten. Seine große Fan-Gemeinde schätzt den besonderen Stil des Autors.
    Ich gelte ja als der Erfinder des Sozio-Krimis. und als solcher hab ich natürlich immer großes Bedürfnis zu sagen, der Kriminalroman soll auch Wirklichkeiten abbilden, soll auch aufklären und soll Emphatie erwecken für die Täter, natürlich auch für die Opfer, für beide Seiten. Und anders als der schnelle Journalismus das kann, sollen unsere Romane es ermöglichen, eben tiefer in die Seelen, die Psyche einzusteigen und soziales Handeln, die Motive zu verstehen.


    Honoré de Balzac
    Tante Lisbeth
    2009 Diogenes
    Lisbeth empfindet eine tiefe Zuneigung zum talentierten Bildhauer Steinbock. Als dieser schließlich ihre Nichte heiratet, macht Lisbeth sich verbissen daran, ihre ganze Familie zu ruinieren.

    Annemarie Schoenle
    Frauen lügen besser
    Roman.
    2006 Droemer/Knaur
    Drei Frauen - eine streitbare Journalistin, eine Lektorin und eine bildschöne Verkäuferin - wollen mit ihren vermeintlich so fortschrittlichen Geschlechtsgenossinnen, aber auch mit der selbstherrlichen Männerwelt abrechnen. Sie schreiben eine Skandalbiographie und machen sie durch ein raffiniertes Marketingkonzept zum Bestseller der Saison. Doch leichtsinnigerweise haben sie den Faktor Mann außer Acht gelassen ...

    Auszug aus dem Manuskript:

    Oscar Wilde sieht in der Lüge erstmal ein ästhetisches Konstrukt und lobt Lüge und Lügner in seinem Essay Der Verfall der Lüge:

    Worin besteht denn das Wesen der schönen Lüge? Einfach darin, dass sie den Beweis in sich trägt. Ist einer so arm an Fantasie und muss seine Lüge beweisen, sollte er lieber gleich die Wahrheit sprechen.
    Ein Beispiel für das Lob der Lüge. Wenn aber alle lügen, oder sich zum Lügen gezwungen sehen, ist das Funktionieren von Gemeinschaften gefährdet.
    Simone Dietz:
    Was wir natürlich nicht können, -aber wir können das aus logischen Gründen nicht-, nur lügen. Also, wenn wir nur lügen würden, dann würde das eben eine andere Sprache sein und das hätte dann aber nichts mehr mit der Lüge zu tun, so wie wir sie jetzt heute verstehen. Die Lüge ist logisch schon so definiert, dass sie eben eine Abweichung von dem üblichen Sprechakt ist.

    Patricia Highsmith
    Der talentierte Mr. Ripley
    2003 Diogenes
    Unbeschwerte Dolce vita: das ist das Leben, von dem Tom Ripley in seinem New Yorker Kellerloch träumt - und das sein Schulfreund Dickie Greenleaf führt. Tom soll diesen - im Auftrag des Vaters - aus Italien zurückholen: ein Traumauftrag für einen armen Nobody wie ihn. Doch niemand ahnt, wie weit Ripley gehen wird, um für immer zu Dickies Welt zu gehören.


    Frederick Forsyth.
    Der Schakal
    Thriller. Aus d. Engl. v. Tom Knoth.
    2002 Piper
    Der Schakal: Ein Superkiller aus London, angeheuert von den Offizieren der französischen Untergrundorganisation OAS. Das ausersehene Opfer: Frankreichs Staatspräsident, der best bewachte Staatsmann der Welt. Der Schakal, ein hoch dotierter Berufsmörder, ist ein Mann mit tausend Masken. Er kennt nur zwei Leidenschaften: Geld und die Lust an der Präzision. Der Autor folgt der Spur der intelligenten Bestie quer durch Europa. Kommissar Lebel gelingt es schließlich, den Mann, der auf keiner Fahndungsliste der Welt auftaucht, einzukreisen, nur um ihn um so sicherer auf sein Opfer zuzutreiben. Die Jagd steigert sich zum Duell des französischen Polizeiapparates mit dem todbringenden Einzelgänger

    Margit Schriber
    Die falsche Herrin
    Roman.
    2008 Nagel & Kimche
    Im Jahr 1724 wurde in Schwyz eine junge Frau zum Tode verurteilt - und in letzter Minute gerettet. Die bettelarme Magd hatte sich einen berühmten adligen Namen geborgt und auf Pump ein luxuriöses Leben geführt, indem sie Auftreten und Benehmen der Aristokratie perfekt imitierte. Nach ihrem Erfolg Das Lachen der Hexe erzählt Margrit Schriber aus der Schweiz die verbürgte Geschichte einer tollkühnen Frau in einem so gefühlsstarken wie amüsanten Historienroman.

    Isodor Ducasse
    Die Gesänge des Maldoror
    Aus d. Französ. v. Re Soupault
    2004 Rowohlt TB.
    "Meine Dichtkunst wird nur darin bestehen, den Menschen, dieses Raubtier, mit allen Mitteln anzugreifen und mit ihm den Schöpfer, der ihn nicht hätte erzeugen sollen."Dieser radikale Anspruch führte zu der infernalischen Bilderwelt in den"Gesängen des Maldoror", die alle literarischen Konventionen des 19. Jahrhunderts sprengten. Maldoror (wörtlich: der"Vergolder des Bösen") ist eine mythische Figur. Die Verkörperung des absolut Bösen. Gegenprinzip des Schöpfers, der vor sein eigenes Tribunalgezerrt wird, der seine Ideale der Reinheit und des Lichts nach neunzehnhundert Jahren Christentum besudelt hat. In einer Flut von archaischen, aggressiven Bildern entlädt sich in den sechs Gesängen der Hass auf den selbstherrlichen, die Erde verwüstenden Menschen. Heute erscheinen uns die"Gesänge des Maldoror"als ein Werk der Moderne.


    Guy de Maupassant
    Bel-Ami
    Aus d. Französ. v. Josef Halperin
    2009 Insel, Frankfurt
    Bel-Ami, so nennt man den jungen skrupellosen Journalisten George Duroy. Er ist ein Abenteurer großen Formats, der alles daran setzt, nach oben zu kommen. Durch wohlüberlegte Liebesabenteuer und Heiraten wird Duroy binnen kurzem zum mächtigen Pressezaren. Die Presse als Machtinstrument, dieses Thema hat auch heute noch nichts von seiner Aktualität eingebüßt.

    Bernhard Schlink
    Das Wochenende
    Roman
    2008 Diogenes
    Nach 20-jähriger Haft hat ihn der Bundespräsident begnadigt. Zum ersten Wochenende in Freiheit lädt seine Schwester die alten Freunde ein. Für sie ist das Leben weitergegangen. Und für ihn? Was bleibt von der Zeit der Gewalt? Legenden? Bewältigung? Sprachlosigkeit?



    Jurek BeckerJakob der Lügner
    Roman..
    o.J. Suhrkamp
    Jakob der Lügner erzählt eine Geschichte aus dem Getto während des Krieges. Es ist nicht eine Geschichte von Widerstand, sondern von einem Heldentum anderer Art; eine melancholisch-heitere, leise, eine kunstvolle komponierte Geschichte, die ohne Fantasie und Menschlichkeit nicht denkbar wäre und deren Held Jakob ein "Lügner aus Barmherzigkeit" ist. Jurek Becker (1937-1997) wurde für dieses Buch einer "optimistischen Tragödie" mit dem Heinrich-Manns-Preis der DDR und dem Schweizer Charles-Villon-Preis ausgezeichnet. Die Rote Armee ist nur noch wenige hundert Kilometer entfernt, das hat Jakob Heym zufällig erfahren. Und er erzählt es den anderen, die mit ihm eingeschlossen sind im Getto einer polnischen Stadt und schon fast alle Hoffnung verloren haben. Und damit die anderen ihm auch glauben, behauptet Jakob, er habe ein Radio. Nun kommen alle zu ihm, um nach Neuigkeiten zu fragen, die Mut machen, weiter auszuhalten in einer Welt, in der die Deutschen die Vernichtung der Juden betreiben. So wird aus ihm Jakob der Lügner, er lügt, um den Menschen wieder Hoffnung zu geben und damit die Kraft zu widerstehen.

    Jakob der Lügner erschien erstmals 1969. Jurek Beckers außerordentlicher Debütroman wurde inzwischen in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und gehört zum Kanon der deutschen Literatur, ja der Weltliteratur.

    Hannah Arendt
    Wahrheit und Politik
    2006 Wagenbach
    In der Vorstellung des normalen Bürgers sind Wahrheit und Politik unvereinbar, Lügen scheint vielmehr zum Handwerk des Politikers zu gehören. Haben wir vielleicht eine grundsätzliche Abneigung gegenüber Tatsachen, die nicht unser Gefallen finden? Die Verbreitung von Tatsachen wird in Diktaturen skrupellos unterdrückt; demokratische Systeme gehen subtiler vor und marginalisieren sie als Meinungsäußerungen. Aber welche Auswirkungen hat es, wenn zwischen Tatsachen und Meinungen nicht mehr unterschieden wird? Wo bleiben Wahrheit und Wirklichkeit im politischen Alltag, wenn letztlich alles in Frage gestellt und alles behauptet werden kann? Welche Auswirkungen hat es, wenn offizielle Regierungspolitik auf Lügen basiert? Hannah Arendt und Patrizia Nanz gehen diesen Fragen aus philosophischer und politikwissenschaftlicher Sicht nach. Ihre Ausführungen lassen den Leser sein Verhältnis zu Wahrheit und Lüge, aber auch zur Politik überdenken und neu gewichten.

    Arno Baruzzi
    Philosophie der Lüge
    Darmstadt:
    Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996

    Auszug aus dem Manuskript:

    Wenn die modernen Lügen sich nicht mit Einzelheiten zufriedengeben, sondern den Gesamtzusammenhang, in dem die Tatsachen erscheinen, umlügen und so einen neuen Wirklichkeitszusammenhang bieten, was hindert eigentlich diese erlogene Wirklichkeit daran, zu einem vollgültigen Ersatz der Tatsachenwahrheit zu werden, in den sich nun die erlogenen Einzelheiten ebenso nahtlos einfügen, wie wir es von der echten Realität her gewohnt sind?
    Arno Baruzzi nennt als Beispiel die Auschwitzlüge, in der die in Auschwitz geschehenen Morde schlichtweg geleugnet werden.

    Was feststeht, wird zu Fall gebracht. Das können wir auch bei großen Lügen sehen, wie der Auschwitzlüge. Hier können wir ermessen, was die Aktivität der Lüge bedeutet, welche der Mensch mit Bewusstsein und Willen unternimmt. Gegen das Sein erhebt sich der Wille und bildet sich ein Bewusstsein, das gegen das Sein steht.

    Diese Menschen wollen, dass jene die die Morde anerkennen, selbst als Lügner dastehen.
    Was hier im Sein der Tatsache ist, wird im Bewußtsein und Willen des Auschwitzlügners so verdreht, dass er nicht in seinem Bewußtsein, sondern das Sein selbst als Lüge gezeigt werden soll. Etwas, das so und so ist, das so und so geschehen ist, wird in seinem Sein verfälscht. Dies schafft die Lüge.
    Lügen heißt, die Wahrheit verdrehen, umkehren, fälschen, zu Fall bringen. Lügen heißt, eine Wahrheit mit vollem Bewußtsein verneinen, vernichten. Wir können mit philosophischen Worten sagen: Aus Sein wird Nichts gemacht.

    Carlo Collodi
    Pinocchio
    Illustr. v. Don-Oliver Matthies.
    2009 cbj
    Die Geschichte beginnt mit einem Stück Holz, das sprechen kann. Der Tischler Gepetto schnitzt aus ihm eine wunderschöne Puppe und nennt sie Pinocchio. Doch als Gepetto sein Schnitzmesser beiseite legt, tritt die hölzerne Figur den alten Mann zunächst einmal ins Gesicht und benimmt sich wie ein wilder kleiner Junge. Pinocchio denkt sich immer neue Streiche aus. Weil er so neugierig ist, merkt er nie, wann Gefahr droht. Räuber hängen die Holzpuppe auf, beim Puppenspieler Feuerfresser soll sie gebraten werden. Pinocchio wird an den Zirkus verkauft, ins Meer geworfen - und dort frisst ihn ein Wal. Im Fischbauch trifft er seinen Vater Gepetto wieder, der auf der Suche nach seinem Sohn Pinocchio ebenfalls gefressen wurde. Überglücklich umarmen sich die beiden. Pinocchio verspricht, nie mehr zu lügen. Und dann passiert ein Wunder: Pinocchio verliert seinen hölzernen Körper und verwandelt sich in einen echten Jungen.

    Auszug aus dem Manuskript:
    Eine der berühmtesten Figuren, die für Kinder als abschreckendes Beispiel fürs Lügen gelten soll und dessen Name heutzutage für allerlei sogenannter alternativer Unternehmen -vom Mietwagen bis zur Versicherugsgesellschaft- gebraucht wird, ist Pinocchio. Die hölzerne Puppe mit der langen Lügennase wurde von Carlo Collodi Ende des 19. Jahrhunderts erdichtet. Seine Landsmännin, die italienische Philosophin Maria Bettetini:
    Der hölzerne Bube will nicht gehorchen und nicht wachsen. Bei jeder Lüge zog sich seine dünne Nase in die Länge. Pinocchio ist das Negativbeispiel für alle Kinder, die lernen müssen, ehrlich zu sein, und "Pinocchio-Syndrom" heißt die "Krankheit", die Erwachsene dazu bringt, sich so in Lügen zu verstricken, dass die Ehrlichkeit in ihrem Leben keinen Platz mehr hat.
    Dabei lügt Pinocchio nur ganz selten.

    Rafik Schami
    Das Geheimnis des Kalligraphen
    Roman
    2008 Hanser
    In Damaskus macht ein Gerücht die Runde: Nura, die schöne Frau des berühmten Kalligraphen Hamid Farsi, sei geflüchtet. Warum hat sie ein Leben, um das viele sie beneiden, hinter sich gelassen? Oder war sie Opfer einer Entführung der Gegner ihres Mannes? Schon als junger Mann wird Farsi als Wunderkind der Kalligraphie gefeiert. Nun arbeitet er verbissen an Plänen für eine radikale Reform der arabischen Sprache, nicht ahnend, dass zwischen Nura und seinem Lehrling Salman eine leidenschaftliche Liebe ihren Anfang nimmt - die Liebe zwischen einer Muslimin und einem Christen. Der neue Roman des deutsch-syrischen Autors ist ein großer Bilderbogen der syrischen Gesellschaft, der alle Sinne der Leser anspricht.

    Joseph Conrad
    Herz der Finsternis
    Roman.
    Nachw. v. Tobias Döring. Neuübers. aus d. Engl. v. Sophie Zeitz
    2009 DTV


    Volker Sommer
    Von Menschen und anderen Tieren
    Essays zur Evolutionsbiologie.
    2000 Hirzel, Stuttgart
    Müssen Menschen heiraten? Wenn ja, warum eigentlich immer nur eine Frau auf einmal? Und müssen Menschen lügen? Sind es nur Menschen, die lügen? Ist Homosexualität "unnatürlich"? Woher kommt die Religion?
    Der Primatenforscher und Anthropologe Volker Sommer zeigt die evolutionsbiologischen Grundlagen unseres Verhaltens auf. Der Mensch hat keine "Sonderstellung" in der Natur - aber was er aus seiner Natur macht, liegt in seiner eigenen Hand.

    Volker Sommer
    Lob der Lüge.
    Täuschung und Selbstbetrug bei Tier und Mensch
    Der vollständige Artikel ist erschienen in
    " Spektrum der Wissenschaft, 5 / 1993

    Auszug aus dem Manuskript:
    Unsere Psyche verfügt über mancherlei Tricks, um das Ego entsprechend inneren Bedürfnissen aufzupolieren. Zum Beispiel durch Geschichten, die wir uns selbst oder anderen erzählen und in denen wir die Motive einer Handlung manipulieren.
    Der Biologe Volker Sommer illustriert das in Lob der Lüge. Täuschung und Selbstbetrug bei Mensch und Tier:
    Ein Mensch will nicht wahrhaben, dass er die Handlung aus rein egoistischen Absichten beging und betrügt sich selbst, bis er von der Lauterkeit seines Charakters überzeugt ist. Er will vor sich nicht wahrhaben, dass er aus eigener Schuld aus seiner Stellung entlassen worden ist und redet sich schließlich mit Erfolg ein, dass er sie freiwillig aufgegeben hat.
    Friedrich Nietzsche, der bekanntlich das Lügen verteidigt hat:
    Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben - sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich - gibt das Gedächtnis nach.

    Federico Di Trocchio
    Der große Schwindel
    Betrug und Fälschung in der Wissenschaft.
    2003 Rowohlt TB.
    Gefälschte Fossilien, vergiftete Algenkulturen, frei erfundene Versuchspersonen: Mit Akribie und Witz untersucht Federico Di Trocchio haarsträubende und spannende Betrugsfälle aus der Wissenschaft. Sie dokumentieren, wie das System der "Big Science", der mit Millionen finanzierten Großforschung unserer Tage, zu einer erschreckenden Zunahme von Wissenschaftsfälschungen geführt hat.

    Auszug aus dem Manuskript:
    Der Wissenschaftsgeschichtler Federico Di Trocchio schreibt in seinem Buch Der große Schwindel:
    Dies bedeutet, dass alle wissenschaftlichen Theorien , die wir für wahr halten, nicht deshalb als wahr betrachtet werden können, weil ihre Wahrheit wirklich bewiesen worden ist, sondern nur, weil es den Wissenschaftlern,die sie formuliert haben, gelungen ist, ihren Kollegen und uns glaubhaft zu machen, dass sie wahr seien.
    Letztendlich betrügen die Wissenschaftler also im Namen der Wahrheit, weil sie nicht in der Lage sind, die Wahrheit zu beweisen.
    Ähnliches gilt für den Medienbetrieb. Auch durch sogenannte "seriöse" Medien werden Unwahrheiten verbreitet und "Wirklichkeiten" werden durch die Berichterstattung und Stellungnahmen erst erzeugt.
    Der Journalist und Autor Burkhard Müller-Ullrich:
    Es gibt zu viel Informationen, es gibt die falschen, wer sortiert das alles aus, wie wird man der Sache Herr, wer räumt hier auf?
    (...)
    Fälschungen haben in einer durch und durch öffentlichkeitsorientierten Welt enorme strategische Bedeutung. Sie werden nicht selten von hochprofessionellen Spezialisten angefertigt und lanciert. Dahinter können politische, wirtschaftliche oder kriminelle Absichten stehen. Es gibt aber auch den typischen "acte gratuit", weil es einfach faszinierend ist, die Ausbreitung von selbstgemachten Falschmeldungen im sozialen Organismus zu verfolgen. und dabei festzustellen, wie anfällig der arrogante, glamouröse und hochtechnisierte Medienbetrieb tatsächlich ist. (...)
    Allgemein gesprochen scheint mit die größte Gefahr, in der sich das aufklärerische Projekt namens Journalismus befindet, die Zunahme des Nonsens zu sein. Nonsens ist keineswegs dasselbe wie ein Fehler oder Irrtum. Nonsens entsteht erst durch die Systematik, mit der Fehler oder Irrtümer verbreitet und verstärkt werden.
    Ein wachsender Prozentsatz aller veröffentlichten Informationen handelt von Dingen, die gar nicht stattgefunden haben, sondern bloß als Drohungen im Raum stehen. Indem jedoch dauernd neue Gefahren halluziniert werden, greift eine Art Agonie des Realen um sich, weil niemand mehr im Stande ist, den Tatsachengehalt der im Dutzend aufgeblasenen Befürchtungsmeldungen zu kontrollieren.