Wie einfallsreich und hochreflektiert dieses stets sich erneuernde Spiel mit ästhetischen und gesellschaftlichen Normen ist, das neben der Polemik gegen das Alte, immer auch die Suche nach einen neuen Entwurf präsentiert, zeigt Schneedes Kunstgeschichte. Schneedes Arbeit versteht sich als Einführung. Dennoch ist sie nicht in erster Linie ein Kompendium dessen, "was man wissen muss". Sie bietet eher eine fundierte Unterweisung in die mal ironische, mal philosophische Dimension künstlerischen Arbeitens, um die existentiellen Fragen zu sehen, die moderne Kunst aufwirft. Denn selbst, wenn von der Rechenaufgabe bis zum Ziehen eines Kreidestrichs durch ein Stück Wüstenland potenziell alles zum Werk werden kann, gilt es doch gerade hier die Spreu vom Weizen zu trennen. "Unter Werken aus Filz und Fett oder Diagrammen bestehen ebenso Qualitätsunterschiede wie in der klassischen Malerei" stellt Schneede fest. Ebenso wie in allen anderen Bereichen des Lebens bedarf es, um sie zu sehen und zu spüren einer Fähigkeit, die es zu erlernen gilt, "die des sorgfältigen, geduldigen, kritischen Einlassens".
Der Durchlauf durch die erste Hälfte des Jahrhunderts ist in Schneedes Kunstgeschichte dennoch etwas zu eilig geraten, und er schreckt hier auch vor allzu plakativen oder flüchtigen Formulierungen nicht zurück, um rasch dahin zu gelangen, wo das eigentliche Anliegen der Arbeit liegt: zur Präsentation der Kunst nach 1945. Der Grundgedanke des Buchs, die Entwicklung der modernen Kunst aus dem Geist des Widerspruchs zu zeigen, legt es nahe auf die klassischen Mittel des Kunsthistorikers zu verzichten, der um eine Formengeschichte zu schreiben den Bildaufbau einzelner Werke erläutert. Dies ist ein wenig schade, denn bei den seltenen Beispielen, in denen Schneede diese Erklärungen anhand der vorzüglichen Abbildungen vornimmt, sind diese sehr erhellend und aufschlussreich geraten. Schneede setzt vielmehr auf eine Lektüre der Kunst, die immer wieder auf die Vermittlungswege, und die Rahmenbedingungen von Kunst aufmerksam macht, auf die Geschichte des Ausstellungswesen und der Museen, der Selbstverständigung der Künstler in Manifesten und der Präsentation ihrer Werke. Bei einem derart umfangreichen Unterfangen kann nicht alles Eingang finden, so ist eine Berücksichtigung der Medienkunst sehr knapp geraten und eine so populäre Persönlichkeit wie Keith Haring bleibt vollkommen unerwähnt. Haring teilt dieses Schicksal mit den Frauen, die auch in dieser Kunstgeschichte zu kurz kommen nicht nur als Künstlerinnen, sondern auch als Gegenstand der Kunst. Das Frauenbild der Surrealisten beispielsweise hätte unbedingt einer kritischen Erläuterung bedurft. Schneedes Einführung leistet vor allem eines: sie bietet den Lesern Grundlagen, um das Projekt der großen Öffnung, die Kunst für das gegenwärtige Leben bedeuten kann, später selbständig im einzelnen Werk erkennen zu können.