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Die Geschichte der Null

Woran erkennt man eine Null von Kollegen? Er kann nichts, weiß nichts und stört überall. Das ist im Leben nicht anders als in der Mathematik.Auch hier hat die Null eine Sonder-, eine Ausnahmestellung. Daher dauerte es eine ganze Weile, bis Mathematiker diese Zahl - was soll man sagen: gefunden haben? Sich ausdachten? Entwickelten? Fakt ist: Die Zahl Null hat eine Geschichte.Man kann eine Biographie der Zahl Null schreiben.Eine Chronik des mathematischen Nichts.

Uwe Springfeld | 22.05.2000
    Diese Chronik ist jetzt im Campus-Verlag erschienen.Unter dem Titel: "Die Geschichte der Null.", verfasst von dem Mathematik Professor an der renommierten Harvard Universität, Robert Kaplan. Dazu Kaplan selbst:

    Als die Sumerer vor 5000 Jahren die Null erfanden, schrieben unbekannte Schreiber ein Zeichen.Das hieß: Sie schrieben in einer anderen Sprache weiter. Das Zeichen selbst sagte: In dieser Spalte steht nichts. Ein Schreiber konnte eine Eins schreiben und eine Zwei, um Zwölf zu meinen.Und Eins, das neue Zeichen und die Zwei, was hieß: Einhundert und Zwei.Das machte plötzlich alle mathematischen Operationen möglich und Berechnungen viel einfacher:

    Aber eine wirkliche Zahl, das wird bei der.Lektüre des sehr lesenswerten Buches schnell deutlich, war dieses Zeichen noch nicht.Sondern ein Symbol, das in etwa dem Komma der heutigen Dezimalschreibweise entspricht. Oder einem Leerzeichen zwischen zwei Worten, die den "Eintritt' von einem Tritt unterscheiden. Solche Zeichen erleichtern das Lesen und das Rechnen, mit ihm selber kann jedoch nichts berechnen. Mit dem Nichts kalkulierten erst hinduistische Mathematiker um das 6.Jahrhundert herum. Dazu Kaplan:

    Die Leute betrachteten die Ziffern von eins bis neun als Zahlen und die Null als eine Art Marker - bis hinduistische Mathematiker im 5., 6.oder 7.Jahrhun ert unserer Zeitrechnung sahen, dass man mit der Null rechnen kann wie mit allen anderen auch. Addieren, multiplizieren, subtrahieren. Man kann nicht durch Null teilen, alles andere war in Ordnung, und so wurde die Null. Schritt für Schritte eine Zahl wie alle anderen..Als die Null mit den Arabern nach Westen kam, betrachtete man sie mit äußerster Vorsicht. Man hielt sie für gefährlich und magische

    Der Rest der Geschichte nimmt den Hauptteil des Buches von Robert Kaplan ein. Mit dem arabischen Islam kam die Null aus Indien über Nordafrika um die Jahrtausendwende nach Spanien. Kleine Anekdoten spart der Autor dabei aus zum Beispiel die, dass der Mönch Gilbert von Aurillac, der spätere Papst Sylvester der Zweite, sich in Cordoba als Araber verkleidet im Gebrauch der Zahl Null unterweisen ließ. Wegen dieser Blasphemie ließ die katholische Kirche im 17. Jahrhundert seinen Sarg öffnen um zu sehen, ob der Teufel darin sitzt.

    Es geht Robert Kaplan nicht darum, viele kleine Geschichten zu erzählen sondern eine einzige Geschichte der Zahl Null. Wie sie nicht über die Wissenschaften, oder die Mathematik Einzug in unsere Kultur hielt, sondern über die Wirtschaft. Über die Notwendigkeit, schnell und einfach kontrollierbare Rechnungen durchzufahren, wie sie für das aufstrebende Bankwesen in Italien lebensnotwendig war. Deshalb entwickelten frühe Banker in Italien die doppelte Buchführung - und die Zahl Null wurde zum Dreh- und Angelpunkt aller Rechnungen. Dazu Kaplan:

    Im 13.und 14. Jahrhundert entwickelten die Italiener die doppelte Buchführung, hauptsächlich in Venedig. Das System, in dem man soll und haben bilanziert. Dein Plus und dein Minus zeigt an,' dass deine Konten dann und nur dann gut geführt sind, wenn die Bilanz aus beiden Null ergibt. Die Null ist der Beweis, dass das Konto gut geführt wurde.

    Die ersten Aufzeichnungen der Null gingen noch um die Frage, ob man durch Null teilen kann. Man glaubte es nicht. Und wenn doch: Es ist, als teilte man sich die Arbeit mit einer Null von Kollegen. Alles geht langsam, im Kriechgang. Mathematisch gesprochen vollzieht man den Horror jedes Abiturienten, man begibt sich in die Differenzialrechnung. Wie sie Isaac Newton Ünd Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelten. Dazu Kaplan.

    Dann änderte die Null ihren Charakter. Als Leibniz in Deutschland und Newton in England die Infinitesimalrechnung entwickelten, änderte die Null ihre Bedeutung vom Namen einer Zahl, einer Menge von etwas oder einer Menge, die nicht vorhanden ist - zu einem Verb. Die Null,wurde zum Prozess. Wir betrachten eine Grenze in der Nähe der Null. In einer Schreibweise, die etwas kleiner und kleiner macht. Eins, ein halb, ein vierteln ein achtel und so weiter. Nichts davon ist Null, aber es geht gegen Null. Diese großartige Idee erlaubt uns zu verstehen, was Veränderung heißt.

    Ohne Null keine Veränderung. Ohne die Mathematik mit dem Nichts kein Wandel. Die Null bietet mehr als nur eine Zahl, mehr als eine der Ziffern bis neun. Das wird anhand der Geschichte der Null schnell deutlich. Besonders pfiffig wird es, wenn der Autor beschreibt, wie man dank der Null nicht nur jede Veränderung mathematisch beschreiben kann, sondern sich jede andere natürliche Zahl herleiten lässt. Wie im Jahre 1923 der Mathematiker John von Neumann bewies, in typisch wissenschaftlicher Manier: Von hinten durch die Brust ins Auge. In der Sprache der Mathematik: Mengentheoretisch. Kaplan:

    Leere Menge, nichts drin, steht für Null.Nun nimm eine zweite.Menge und tue die leere Menge rein. Das steht für eine eins. Nun hat man zwei Dinge: Die leere Menge und die Menge, die die leere Menge beinhaltet. Das steht für eine zwei. Das hat Sinn, gleichzeiti g geht auch viel Sinn verloren. So was ist Magie. Aber Mathematik ist Magie.

    Ein großer Verdienst des Autoren Robert Kaplan ist sicherlich, dass er mit seinem Buch "Die Geschichte der Null" gleichzeitig eine Geschichte der Mathematik geschrieben hat. Verdienstvoller ist jedoch, dass er sich mit seinem Buch nicht ausschließlich an Mathematiker oder an solche Leser wendet, die sich für ihr intellektuelles Vergnügen nach Feierabend nichtlinearen Differenzialaleichung en zuwenden. Robert Kaplan hat die Geschichte der Null als das geschrieben, was sie auch ist: Als ein Stück Kulturgeschichte.