"Tag und Nacht durchzechen sie und man könnte sie ebenso gut mit der Lieferung berauschender Getränke besiegen wie durch die Gewalt der Waffen." So verspottete ungefähr 100 nach Christus der römische Geschichtsschreiber Tacitus die Germanen - als bierzechende Barbaren, die sich gegenseitig unter den Tisch tranken. Dass das schon damals ein verzerrter Blick auf die Vorfahren der Deutschen war, beschreibt Professor Gunther Hirschfelder in seinem Buch "Bier."
"Die römische Geschichtsschreibung hat als Staatsgeschichtsschreibung versucht, den Krieg gegen Germanien zu legitimieren. Und in dieser Logik hat man die Germanen, wo es ging, diffamiert. Und wer dann in die archäologischen Quellen etwas genauer hinschaut, der sieht, dass wir es nicht mit gestrigen Dumpfbacken zu tun haben, die dasitzen und bechern. Sondern wir haben eine ausdifferenzierte Alkoholkultur, bei der Bier ein Element ist, was Gruppen stabilisiert, was einer Hierarchie in der Gruppe Ausdruck verleiht und was immer im Spannungsverhältnis ist aus rituellen, religiös kultischen Handlungen und sozialen Handlungen."
Wahrscheinlich war es Zufall, dass die Menschen das Bierbrauen entdeckten
"Von der Steinzeit bis heute" rekonstruieren Gunther Hirschfelder und Manuel Trummer die Geschichte des Bieres, das, so die beiden Regensburger Kulturwissenschaftler, die Geschichte der Zivilisation begleitet. Voraussetzung: Der Mensch war sesshaft. Denn Bierbrauerei setzt ja Getreideanbau voraus.
"Direkt als der Mensch begonnen hat, Ackerbau zu betreiben, vor 10 -12.000 Jahren, da haben wir in diesen Gesellschaften die ersten Anfänge, aus Getreide vergorene Getränke - sprich Bier – herzustellen. Und in allen frühen Hochkulturen, ob im Zweistromland, bei den Sumerern oder im Alten Ägypten hat das Bier eine ganz zentrale alltagskulturelle als auch kultische Bedeutung."
Wahrscheinlich war es Zufall, dass die Menschen den recht komplexen Vorgang des Bierbrauens entdeckten. Vielleicht war Gerste feucht geworden, keimte und begann durch luftübertragene Hefe zu gären. Und irgendjemand probierte einmal diese trübe Brühe.
"Wir würden das vielleicht nicht als Bier identifizieren. Die Getränke waren ein bisschen schaumig, etwas schwächer alkoholhaltig, anders vergoren. Also ein modernes Pils schmeckt deutlich anders. Aber wenn wir diese Worte der frühen Hochkultur übersetzen wollen, dann fällt uns außer Bier nichts anderes ein."
In der Antike geriet das Bier zu einer Art europäischer Kulturscheide. "Wein bereiten sie aus Gerste", schrieb bereits im fünften Jahrhundert vor Christus der griechische Geschichtsschreiber Herodot über die Ägypter. Während die Griechen wie auch die Römer sich als kultivierte, maßvolle Weintrinker verstanden, hausten jenseits der Alpen die kulturlosen, Gerstensaft saufenden Barbaren. Allerdings ging das römische Reich dann unter, während die Germanen blieben. Und das Bier eroberte - ganz langsam - die mittelalterliche Welt.
Man gab Bier auch Kindern und Kranken zu trinken
"Das Bier ist im frühen Mittelalter nach dem Ende der Römer im fünften Jahrhundert keine Erfolgsgeschichte, weil das Mittelalter 500 Jahre braucht, um sich zu berappeln. Ein stärkeres Anwachsen der Bierkultur haben wir mit dem Ende des ersten Jahrtausends mit dem Anwachsen der klösterlichen Herrschaften, die ja Technologie- und Brauzentren waren. Vor allem aber im zwölften Jahrhundert mit dem Aufkommen des mittelalterlichen Städtewesens und im Spätmittelalter haben wir eine Bierblüte in Mitteleuropa mit einer Exportwirtschaft und einem ausdifferenzierten kommerziellen Gasthauswesen."
Und dann, vor ziemlich genau 500 Jahren, am 23. April 1516, wurde das deutsche Reinheitsgebot erlassen, demzufolge allein Gerste, Hopfen und Wasser beim Brauen Verwendung finden dürfen. Allerdings diente dieses Gebot damals vor allem dazu, die Konkurrenz auszuschalten.
"Das Reinheitsgebot ist erlassen worden für Bayern und es drehte sich darum, andere Sorten zu verdrängen und das bayrische Bier stark zu machen. Die Idee eines unverfälschten Lebensmittels, die hatte man damals nicht unbedingt. Und man hat dem Bier bis ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder Zusätze beigemengt, um es schmackhafter zu machen, es haltbarer zu machen und auch, um berauschende Wirkungen zu verstärken."
Lange galt Bier – genau wie Brot - als Grundnahrungsmittel. Man gab es auch Kindern und Kranken zu trinken, denn erst 1820 wurde Trunksucht als Krankheit beschrieben. Dennoch trank man im 19. Jahrhundert mehr Bier als jemals zuvor. 150 Liter pro Kopf pro Jahr, ein Wert, dem die Deutschen sich erst wieder annäherten, als das Wirtschaftswunder die Kriegsmangeljahre vergessen ließ und Wohlstandspeck und Bierbauch als Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs galten.
Das Getränk der globalisierten Welt
"Genauso wie man in den 50er-Jahren gern Mengen von Sahnetorten gegessen hat und auch gern ein paar Kilos zugelegt hat, hat man in den 60er-Jahren viel und gern Bier getrunken. Die Spitze des Bierkonsums in Mitteleuropa, das sind dann die 1970er-Jahre. Es war durchaus gestattet auf Baustellen oder in Fabriken mal zwischendurch ein Bier zu trinken. Studierende haben viel und gern getrunken und die negativen Auswirkungen die hat man nicht auf dem Schirm gehabt."
Für Gunther Hirschfelder ist Bier heute das Getränk der globalisierten Welt. Bier, so heißt es in seinem Buch, "überwand Wüsten, Ozeane, Gebirge und alle geografischen Grenzen". Vor allem die neuen Craftbiere – also handwerklich gebraute Biere, ursprünglich aus den USA – gehören heute zum globalen Lifestyle.
"Das ist der Trend weltweit. Bier ist als absolutes Lifestylegetränk inzwischen salonfähig. Bier ist übrigens auch in China das wichtigste Symbol, um zu dokumentieren, dass man den gesellschaftlichen Aufstieg und weltweiten Lebensstil geschafft hat."
Na dann Prost, möchte man sagen. Und Prost sagt ebenfalls Gunther Hirschfelder, denn auch er hat an dem Gerstensaft nicht nur ein wissenschaftliches Interesse.
"Ich komm aus einer rheinischen Kleinstadt und bin zwischen Vereinen, Kirche und Sportverein groß geworden. Und da gehört es für einen normalen Jungen dazu, dass man auch gerne und manchmal auch viel Bier trinken muss, um zu zeigen, dass man zu einer sozialen Gruppe gehört, um zu zeigen, dass man auch gern männlich sein möchte. Das sind so Kulturen und Traditionen, wo man lernt, dass Bier trinken auch eine sehr soziale Angelegenheit ist und dass Bier abends auch mal eine angenehme Sache ist. Und es hat einen Entspannungseffekt und vor allem, wenn man Bier als Droge sieht - man kann es gut dosieren."
Gunther Hirschfelder/Manuel Trummer: Bier. Eine Geschichte von der Steinzeit bis heute, Theiss-Verlag