Don Winslow auf einer Bühne in Hamm. Er wird das erste Kapitel seines aktuellen Thrillers "Kings of Cool" vorlesen. Das gesamte erste Kapitel. Diejenigen im Publikum, die das Buch bereits kennen, amüsieren sich. Denn sie wissen: Das erste Kapitel besteht aus einem Satz. Einem kurzen Satz.
"Chapter One: Fuck me."
"Kapitel Eins. Leck mich am Arsch."
Es herrscht der Umgangston der Straßen und der Strände Südkaliforniens in diesem Buch. "Kings of Cool" erzählt von drei gut aussehenden Jungunternehmern im Laguna Beach der Gegenwart. Chon, Ben und Ophelia, genannt "O". Chon ist Berufssoldat auf Heimaturlaub, erholt sich gerade von Afghanistan. Ben, der Sanftere der beiden Jungs, Student der Botanik. O, reiches Mädchen, Typ Californian Girl mit blonden Haaren, blauen Augen, sonnengebräunter Haut. Alle Kinder der Hippiegeneration. Was sie beschädigt hat, wie Don Winslow sagt:
"Der Hippiebewegung ging es um Freiheit. Das hatte viel Gutes, aber auch zerstörerische Seiten. Viele Kinder der Hippies sind verlassene Kinder, körperlich oder seelisch, einige von ihnen sind selbst Drogenopfer geworden. Wir haben also diese drei Protagonisten, die ihre eigene Familie bilden. Es gibt Leser, die das Buch gar nicht als Geschichte über Drogen gelesen haben, sondern als Familiengeschichte."
Zusammen baut die Kleinfamilie Ben, Chon und O das beste Marihuana Kaliforniens an. Die Drei machen schnell viel Geld, kriegen aber auch sehr schnell Ärger von allen Seiten. Konkurrierende Dealer, korrupte Polizisten, ein ultrabrutales mexikanisches Drogenkartell. Was sie nicht ahnen: dass die wahren, gefährlichsten Strippenzieher in diesem tödlichen Spiel ihre eigenen Eltern sind. Die 1967 hier aufeinandertrafen.
Nur so viel soll gesagt sein: In Laguna Beach stießen die Surfer auf die Hippies. Es musste passieren. Der Unterschied zwischen einem Surfer und einem Hippie? Ein Brett. Im Prinzip sind beide dasselbe. Der Surfer war früher Hippie; genau genommen war er sogar der ursprüngliche Beatnik. Jahre bevor Jack und Dean sich auf den Weg machten, um Dharma zu finden, fuhr der Surfer bereits den Pacific Coast Highway auf der Suche nach einer guten Welle ab. Dieselbe Sache.
Es ist die Geschichte eines Sündenfalls: wie ein paar Idealisten nach dem Traum von Love, Peace and Happiness den Drogen und dann dem Drogengeld anheimfallen. Nicht neu, aber von Don Winslow in eine neue Form gegossen. Die Geschichten über die ersten Dealer gehörten in Orange County zur Folklore, sagt Don Winslow. Er habe sie nur sammeln und zu einem großen Ganzen zusammenfügen müssen.
Der Doc gibt Stan und Diane Tacos. Stan und Diane geben dem Doc Blotter-Acid. Der Doc kommt mit seinen Surferkumpels wieder und alle werfen sie Trips. Was jetzt entsteht, ist der schlimmste Albtraum der Republikaner von Orange County – die übelsten antisozialen Elemente (Surfer und Hippies) vereinen sich in einem dämonischen, berauschenden Fest der Liebe. Und planen Selbiges zu einer festen Einrichtung zu machen, denn als Stan und Diane sich mit ihrem Problem – kein Geld – dem Doc und seinen Jungs anvertrauen, bietet der Doc ihnen eine Lösung an. "Gras", sagt er. "Dope." Surfer und Dope passen zusammen wie … wie … naja … Surfer und Dope.
"Kings of Cool" schlägt den Bogen von heute in die Zeit der Blumenkinder. Das Buch transportiert den Sound der Sechzigerjahre, Musikzitate inklusive. Der Ton ändert sich, wenn es zurück an den Anfang des 21. Jahrhunderts geht, und mündet in einer Art bekifften Sprechgesang, einem Rapsong über den Absturz. Don Winslow beeindruckt mit virtuoser Sprachmacht, großer Melodiösität und innovativem Stil. Manche Kapitel sind nur einen einzigen Satz lang, andere geschrieben wie ein Drehbuch für einen Film, rein dialogisch, mit kurzen Regieanweisungen. Dazwischen gibt es gedichtartige Absätze. Sogar mit Shakespeare ist Winslow deshalb schon verglichen worden.
"Ich war das komische Kind, das nie Hausaufgaben machte, bei allen Prüfungen durchfiel, aber dafür nächtelang zu Hause Shakespeare las."
Am Ende wird aus dem sonnigen Trip ein düsterer, brutaler Albtraum, aus Surferkrimi wird Politthriller. Denn "Kings of Cool" erzählt auch die Geschichte des sogenannten "Kriegs gegen die Drogen". Diesen "war on drugs" führen die USA seit 1973. Erfolglos, denn den Drogenhandel konnten sie nicht stoppen, der floriert seit über 40 Jahren. Ebenso wie Korruption und Gewalt an der Grenze zwischen Kalifornien und Mexiko. Don Winslow zieht ein wütendes Fazit:
"Der "war on drugs" hat dazu geführt, dass sich Drogenkartelle wie das kolumbianische Medellinkartell und die mexikanischen Kartelle erst bilden konnten. Er hat genau das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt war, sondern er hat gigantische Imperien für steinreiche Soziopathen geschaffen."
Don Winslow: "Kings of Cool"
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch.
351 Seiten. Suhrkamp Verlag, 19,95 Euro.
"Chapter One: Fuck me."
"Kapitel Eins. Leck mich am Arsch."
Es herrscht der Umgangston der Straßen und der Strände Südkaliforniens in diesem Buch. "Kings of Cool" erzählt von drei gut aussehenden Jungunternehmern im Laguna Beach der Gegenwart. Chon, Ben und Ophelia, genannt "O". Chon ist Berufssoldat auf Heimaturlaub, erholt sich gerade von Afghanistan. Ben, der Sanftere der beiden Jungs, Student der Botanik. O, reiches Mädchen, Typ Californian Girl mit blonden Haaren, blauen Augen, sonnengebräunter Haut. Alle Kinder der Hippiegeneration. Was sie beschädigt hat, wie Don Winslow sagt:
"Der Hippiebewegung ging es um Freiheit. Das hatte viel Gutes, aber auch zerstörerische Seiten. Viele Kinder der Hippies sind verlassene Kinder, körperlich oder seelisch, einige von ihnen sind selbst Drogenopfer geworden. Wir haben also diese drei Protagonisten, die ihre eigene Familie bilden. Es gibt Leser, die das Buch gar nicht als Geschichte über Drogen gelesen haben, sondern als Familiengeschichte."
Zusammen baut die Kleinfamilie Ben, Chon und O das beste Marihuana Kaliforniens an. Die Drei machen schnell viel Geld, kriegen aber auch sehr schnell Ärger von allen Seiten. Konkurrierende Dealer, korrupte Polizisten, ein ultrabrutales mexikanisches Drogenkartell. Was sie nicht ahnen: dass die wahren, gefährlichsten Strippenzieher in diesem tödlichen Spiel ihre eigenen Eltern sind. Die 1967 hier aufeinandertrafen.
Nur so viel soll gesagt sein: In Laguna Beach stießen die Surfer auf die Hippies. Es musste passieren. Der Unterschied zwischen einem Surfer und einem Hippie? Ein Brett. Im Prinzip sind beide dasselbe. Der Surfer war früher Hippie; genau genommen war er sogar der ursprüngliche Beatnik. Jahre bevor Jack und Dean sich auf den Weg machten, um Dharma zu finden, fuhr der Surfer bereits den Pacific Coast Highway auf der Suche nach einer guten Welle ab. Dieselbe Sache.
Es ist die Geschichte eines Sündenfalls: wie ein paar Idealisten nach dem Traum von Love, Peace and Happiness den Drogen und dann dem Drogengeld anheimfallen. Nicht neu, aber von Don Winslow in eine neue Form gegossen. Die Geschichten über die ersten Dealer gehörten in Orange County zur Folklore, sagt Don Winslow. Er habe sie nur sammeln und zu einem großen Ganzen zusammenfügen müssen.
Der Doc gibt Stan und Diane Tacos. Stan und Diane geben dem Doc Blotter-Acid. Der Doc kommt mit seinen Surferkumpels wieder und alle werfen sie Trips. Was jetzt entsteht, ist der schlimmste Albtraum der Republikaner von Orange County – die übelsten antisozialen Elemente (Surfer und Hippies) vereinen sich in einem dämonischen, berauschenden Fest der Liebe. Und planen Selbiges zu einer festen Einrichtung zu machen, denn als Stan und Diane sich mit ihrem Problem – kein Geld – dem Doc und seinen Jungs anvertrauen, bietet der Doc ihnen eine Lösung an. "Gras", sagt er. "Dope." Surfer und Dope passen zusammen wie … wie … naja … Surfer und Dope.
"Kings of Cool" schlägt den Bogen von heute in die Zeit der Blumenkinder. Das Buch transportiert den Sound der Sechzigerjahre, Musikzitate inklusive. Der Ton ändert sich, wenn es zurück an den Anfang des 21. Jahrhunderts geht, und mündet in einer Art bekifften Sprechgesang, einem Rapsong über den Absturz. Don Winslow beeindruckt mit virtuoser Sprachmacht, großer Melodiösität und innovativem Stil. Manche Kapitel sind nur einen einzigen Satz lang, andere geschrieben wie ein Drehbuch für einen Film, rein dialogisch, mit kurzen Regieanweisungen. Dazwischen gibt es gedichtartige Absätze. Sogar mit Shakespeare ist Winslow deshalb schon verglichen worden.
"Ich war das komische Kind, das nie Hausaufgaben machte, bei allen Prüfungen durchfiel, aber dafür nächtelang zu Hause Shakespeare las."
Am Ende wird aus dem sonnigen Trip ein düsterer, brutaler Albtraum, aus Surferkrimi wird Politthriller. Denn "Kings of Cool" erzählt auch die Geschichte des sogenannten "Kriegs gegen die Drogen". Diesen "war on drugs" führen die USA seit 1973. Erfolglos, denn den Drogenhandel konnten sie nicht stoppen, der floriert seit über 40 Jahren. Ebenso wie Korruption und Gewalt an der Grenze zwischen Kalifornien und Mexiko. Don Winslow zieht ein wütendes Fazit:
"Der "war on drugs" hat dazu geführt, dass sich Drogenkartelle wie das kolumbianische Medellinkartell und die mexikanischen Kartelle erst bilden konnten. Er hat genau das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt war, sondern er hat gigantische Imperien für steinreiche Soziopathen geschaffen."
Don Winslow: "Kings of Cool"
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch.
351 Seiten. Suhrkamp Verlag, 19,95 Euro.