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Die gesellschaftlichen Folgen von Aids

Dank moderner Medizin ist ein Leben mit Aids heute möglich. Viele Infizierte erleben aber politische und gesellschaftliche Ausgrenzung. Auf einer Konferenz haben sich Soziologen nun mit den Folgen der Krankheit beschäftigt.

Von Suzanne Krause |
    Dank der medizinischen Fortschritte ist heutzutage ein Leben mit dem HIV-Virus möglich. Doch eine Langzeittherapie für jeden Infizierten erscheine keineswegs tragbar, sagte Francoise Barré-Sinoussi, Nobelpreis-gekrönte Entdeckerin des HIV-Virus, beim Auftakt der Aids-Konferenz in Paris. Die französische Forscherin appellierte an die Geisteswissenschaftler, sich dem Thema HIV/Aids innovativ anzunehmen. Auch Vinh Kim Nguyen, Co-Direktor und weltweit renommierter Experte zum Thema HIV-Behandlung, fordert im Human- und Sozialwissenschaftlichen Bereich verstärkte Anstrengungen bei der Grundlagenforschung.

    "Bislang waren wir gefangen von der Dringlichkeit, die Leute zu versorgen und Neuinfektionen vorzubeugen. Da blieb für die Sozialwissenschaften kaum Raum, Grundlagenfragen zu bearbeiten, wie: Um welche Machtfragen geht es, was bedeutet heute Souveränität? Oder auch, wie wirkte sich die Politik des Ex-US-Staatspräsidenten Bush im Aids-Sektor aus? Solche soziologischen und politischen Fragen zu beantworten, erschien lange Zeit wie ein Luxus. Denn es war wichtiger, zur Behandlung der Erkrankten beizutragen. Heute aber sieht man, dass unsere bisherige Arbeit nicht ausreicht. Dass es kein Luxus ist, sich den schwierigen Grundsatzfragen zu widmen. Denn die Leute sterben weiter."

    Dazu müsse man neue Blickwinkel einnehmen, verlangt Nathalie Bajos. Die Soziologin ist Expertin für Genderfragen im Bereich Sexualität und Fortpflanzung. Bei der Konferenz stellt sie klar: Den bisherigen sozialwissenschaftlichen Studien fehlt zumeist der genderanalytische Ansatz. Selbst bei den 400 Papers zum Pariser Treffen berücksichtigten nur zehn Prozent den Genderaspekt.

    "Der letzte Bericht der Aidsorganisation der Vereinten Nationen hält fest, dass in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre HIV bei jungen Frauen doppelt so häufig verbreitet ist wie bei jungen Männern. In vielen Studien sieht man, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt bei der Anwendung von Präventionsmethoden, beim Zugang zur Behandlung oder zu Aidstests. Man kann feststellen, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sich nicht nur durch eine unterschiedliche biologische Anfälligkeit erklären lassen. Insofern es solche biologischen Unterschiede überhaupt wirklich gibt."

    Nicht alles, was als Genderanalyse verkauft werde, sei dies auch wirklich, sagt Nathalie Bajos. Häufig ersetze der Begriff 'Gender' einfach nur das Wort 'Geschlecht'. Damit allerdings ließen sich kaum geschlechtsspezifische soziale Unterschiede aufdecken. Laut der Forscherin hat die Nichtbeachtung der Genderfrage fatale Folgen.

    "Nehmen wir beispielsweise die Studien, in denen es um die Kosten der häuslichen Versorgung von Aidspatienten geht. Es sind zumeist Frauen, die die Kranken zuhause versorgen, das entspricht der traditionellen Arbeitsverteilung der Geschlechter in allen Gesellschaften: Pflege ist ein Frauenjob. Speziell auch im Aidsbereich. All diese Frauen erbringen Arbeitsleistungen, die nicht als Beruf gelten und damit nicht bezahlt werden. Wenn man nun die Kosten dieser häuslichen Versorgung mit denen im Krankenhaus vergleicht, bleiben die Kosten dieser gesellschaftlich traditionellen Frauenarbeit unberücksichtigt. Und damit geben die Studienresultate nicht die wahren Kosten wider."

    Auch bei der sogenannten MSM-Forschung brächte der Genderansatz neue Erkenntnisse, postuliert Nathalie Bajos. MSM steht für men who have sex with men – Männer, die Geschlechtsverkehr mit Männern haben. Bei Weitem nicht nur Homosexuelle. In manchen Kulturkreisen, in Afrika und Südamerika, wird traditionell toleriert, dass Männer sich als Frauen verkleiden und männliche Liebhaber haben, Heterosexuelle. Im MSM-Sektor arbeiten fast ausschließlich männliche Forscher – viele sind selbst schwul und HIV-positiv. Kimberly Koester gehört zu den wenigen Wissenschaftlerinnen, die sich mit der homosexuellen Gemeinde beschäftigen. Koester, Anthropologin an der kalifornischen Universität in San Francisco, interessiert sich für die Auswirkungen des neuen Aids-Präventionsmittels PrEP in schwulen Kreisen.

    "Es ist von großem Vorteil, nicht zur homosexuellen Gemeinde zu gehören. Damit kann ich einen klareren Blick auf die Vorgänge dort werfen. Dies ermöglicht eine andere Analyse, von außen geht das einfacher. Ich erhoffe mir, mehr Sensibilität erwecken zu können, egal ob die Männer sich nun entscheiden, einer potenziellen HIV-Infektion mit PrEP vorzubeugen oder nicht."

    Dient Aids weiterhin dem Anliegen der Homosexuellen? – war provokant ein Round-Table-Gespräch bei der Pariser Konferenz betitelt. Ein französischer Jungforscher präsentierte da seine Studie. Sie beschreibt, dass der Senegal, vor einem guten Jahrzehnt noch afrikanischer Pionier beim Thema Homosexuelle und Aids, mittlerweile mitten in einer drastischen Kehrtwende steckt. Und Homosexualität zunehmend stigmatisiert. Dennis Altman beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Der Politologe aus Australien ist seit nunmehr vierzig Jahren als Aktivist für die Rechte Homosexueller aktiv und renommiert.

    "Senegal ist alles andere als ein Einzelfall, es gibt immer mehr ähnliche Beispiele in vielen Teilen der Welt. Wo Regierungen Homosexualität, die Forderung nach mehr Rechten, als Landmarke hernehmen für einen gewissen westlichen Neokolonialismus. Dabei verleugnen sie ihre eigene Geschichte und die Rechte ihrer eigenen Bevölkerung – im Namen des Kampfs gegen Neokolonialismus. Dabei ist es Brasilien, das von Anfang an zur Spitze der Bewegung für mehr Rechte Homosexueller gehört."