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Die geteilte Stadt Hebron
Ein Mikrokosmos für Grundsatzfragen

Mit der Siedlungspolitik schafft Israel Fakten - eine Zwei-Staaten-Lösung scheint in weiter Ferne. Die Folgen von 50 Jahren Besatzung sind dramatisch. Laut Israels Staatspräsident Rivlin ist es "Zeit, einzugestehen, dass unsere Gesellschaft krank ist". Schwierig ist und bleibt die Lage jedoch vor allem für Palästinenser. Besonders deutlich wird dies in Hebron.

Von Alexander Göbel |
    Kinder arbeiten in einem familienbetriebenen Schuhgeschäft in Hebron
    Kinder arbeiten in einem familienbetriebenen Schuhgeschäft in Hebron (picture alliance / dpa / Abed Al Hashlamoun)
    "Das hier ist nicht Israel", sagt Yehuda Shaul, ein ehemaliger Soldat der israelischen Armee. Aber hier, mitten in Kiryat Arba, einer der jüdischen Siedlungen von Hebron, fühlt es sich so an wie Israel – und das soll es auch. Auf dem Hügel über der Altstadt weht seit 50 Jahren die israelische Fahne, Siedler pilgern zur Gedenktafel von Baruch Goldstein.
    1994 hatte der jüdische Arzt in Hebron 29 Araber erschossen – in der Machpela-Höhle, von Juden und Muslimen gleichermaßen als Grabstätte Abrahams verehrt. Diese Bluttat des Siedlers habe Hebron für immer verändert, erklärt Yehuda Shaul. Denn spätestens seit damals sei diese Stadt, die für beide Religionen so viel bedeutet, ein Ort der Wahrheit. Ein Mikrokosmos für Grundsatzfragen.
    "Was ist eigentlich Israel? In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Was bedeutet es im Jahr 2017, Jude zu sein? Das sind die Fragen, um die es geht. Um die gestritten werden muss."
    "Cowboys, die Palästinenser zum Frühstück essen"
    Nirgendwo leben Juden und Palästinenser so eng beieinander wie hier. Doch seit 1997 ist die Stadt im Westjordanland geteilt – in das palästinensische H1 und das jüdische H2. Für Palästinenser und Juden gelten in der H2-Zone unterschiedliche Regeln. Die Israelis unterliegen dem israelischen Zivilrecht, die Palästinenser der Administrativverwaltung – und damit dem Militärrecht und den Regeln der Besatzungsmacht. Die Siedler sehen sich als Pioniere.
    "Hebron – der erste Ort, der in der Bibel genannt wird, an dem Juden Land erwarben. Abraham ist hier, König David. Wenn wir in Hebron keine Rechte haben, wo denn dann? Für viele im Westen mag das angestaubte Geschichte sein – für die Leute hier ist es, als sei es gestern passiert. Das hier ist das Symbol für alles. Auch wenn selbst der Normal-Israeli denkt, die Siedler seien nichts anderes als Cowboys, die Palästinenser zum Frühstück essen."
    Yehuda Shaul weiß, was die Siedler denken, die in H2 leben: Als Offizier war er in Hebron stationiert.
    Vor dem Hintergrund Hebrons laufen zahlreiche israelische Soldaten im Gänsemarsch einen Pfad an einem Hang hinunter.
    Die Stadt Hebron im Westjordanland, im Vordergrund israelische Soldaten (AFP / HAZEM BADER)
    Der exklusive Auftrag: 650 Soldaten der IDF, der Israeli Defense Forces, schützen 850 Siedler. Außerdem halten sie die 200.000 Palästinenser Hebrons in Atem - mit Durchsuchungen, Festnahmen und Schikanen aller Art, sagt Yehuda Shaul. Siedler Uri Karzen findet den Militärschutz richtig – schließlich gehe es um Selbstverteidigung.
    "Es wurden schon Molotov-Cocktails in unsere Viertel geworfen, es gab Schüsse auf unsere Häuser, sie haben versucht, Soldaten niederzustechen. Aber die Siedler in Hebron sind aus hartem Holz – deswegen laufen sie nicht einfach weg."
    Eine Zeitlang bedeutete das auch israelischen Granatenbeschuss auf Wohngebiete, in denen palästinensische Scharfschützen vermutet wurden. Heute wird in Hebron immer noch scharf geschossen – wie im Fall des israelischen Feldwebels Elor Azaria. Er hatte im März 2016 einen schon am Boden liegenden palästinensischen Messer-Angreifer per Kopfschuss getötet. Azaria gilt vielen als Held, wurde wegen Totschlags nur zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt.
    Ex-Soldaten als Verräter
    Yehuda Shaul gilt dagegen nicht als Held: 2004 hatte er mit anderen Ex-Soldaten die Organisation "Breaking the Silence" gegründet. Darum geht es ihm bis heute: Das Schweigen brechen, der israelischen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Doch "Breaking the Silence" wird nicht nur von der konservativen israelischen Regierung attackiert – auch die Siedler betrachten die Ex-Soldaten als Verräter.
    "Hau ab, Du bist ein Mörder!", schreit ein wütender Mann Yehuda Shaul beim Rundgang ins Gesicht. Dann tauchen Jugendliche auf, die sich ihm in den Weg stellen. Beleidigungen wie "Lügner" und "Hurensohn" muss sich Shaul immer wieder anhören, weil er die Besatzung kritisiert.
    Wo im jüdischen Teil H2 noch palästinensische Familien leben, haben sie ihre Fenster vergittert, um sich vor Steinwürfen der Siedler zu schützen. Als Hebron geteilt wurde, lebten noch rund 35.000 Palästinenser in der H2-Zone. Zehn Jahre später hatten schon über 40 Prozent der Muslime die Gegend verlassen. Hunderte Wohnungen wurden geräumt, fast alle Märkte geschlossen. H2, der historische Teil Hebrons, ist heute eine Geisterstadt – mit Wachtürmen der Armee, mit Beton-Blockaden, Mauern, zugeschweißten Türen.
    Lehrer mit Maschinengewehren
    Manche Straßen sind im Militärjargon "steril" – also komplett abgeriegelt: als Puffer für jüdische Siedlungen. Andere Straßen, auf denen sich die Siedler frei bewegen dürfen, sind für Palästinenser gesperrt. Sie können nur vom Fenster aus beobachten, wie etwa jüdische Schülergruppen über die berühmte Shuhada Road spazieren, während die Lehrer sie mit Maschinengewehren bewachen. Auch so, sagt Yehuda Shaul, würden Fakten geschaffen.
    "Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, und das gilt auch für diese Sterile Zone in Hebron. Es geht um die kleinen Schritte. Wenn also jemand hebräische Straßenschilder mitten in Hebron aufstellt – dann hat schon das eine Bedeutung!"
    Eine Palästinenserin passiert einen Checkpoint der israelischen Armee in Hebron.
    Eine Palästinenserin passiert einen Checkpoint der israelischen Armee in Hebron. (AFP PHOTO/ MENAHEM KAHANA)
    Wer als Palästinenser in H2 lebt und nach H1 will, muss zu Fuß durch einen Checkpoint mit schwer bewaffneten, meist sehr jungen israelischen Soldaten. Erst jenseits dieser Kontrolle sei Palästina, da beginne das Leben, sagt Issa Amro von der palästinensischen Organisation "Youth Against Settlement". Auf dieser Seite der Mauern werde er nicht respektiert.
    "Das ist der wichtigste Punkt: Sie sehen uns nicht als Menschen. Ein Siedler hat mich vorhin erst bespuckt und als Terrorist beleidigt, ich solle doch nach Syrien gehen oder in den Irak. Das ist kein Umgang mit Menschen. Ich habe auch Rechte!"
    Gewaltfreier Widerstand trotz Folter
    Unzählige Male wurde Issa Amro festgenommen, verhört und gefoltert. Trotz allem setzt er sich für gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzer ein, seine Vorbilder sind Gandhi und Martin Luther King. Traurig macht ihn, dass er viele junge Palästinenser nicht mehr erreicht. Dass sie zu den Waffen greifen, weil sie verzweifeln.
    50 Jahre habe Israel es geschafft, fast fünf Millionen Palästinenser zu kontrollieren, sagt Yehuda Shaul von "Breaking the Silence" – noch einmal 50 Jahre sei diese Situation nicht zu halten, selbst wenn Hardliner in der israelischen Regierung fest daran glaubten.
    "Am Ende geht es doch um den politischen Willen. Wenn die Regierung weiterhin auch nur einem einzigen Siedler erlaubt, sich hier niederzulassen, wird es nicht aufhören. Aber sie könnte das stoppen. Sie müsste es nur wollen. Alles andere sind Märchen, die nur den Status Quo aufrecht erhalten sollen."