Christoph Heinemann: Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat angesichts der Krise in seinem Land zu einem "nationalen Dialog" aufgerufen. In einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede an die Nation sagte Assad in Damaskus, der Dialog könne zu Änderungen der Verfassung oder einer neuen Verfassung führen. Bei den Reformen gebe es keinen Aufschub, wie manche dächten. Assad versicherte, die für das Blutvergießen in Syrien Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu wollen, und erklärte, der syrischen Wirtschaft drohe der Kollaps. Und der Präsident stellte Parlamentswahlen in Aussicht. Mitgehört hat Heiko Wimmen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag!
Heiko Wimmen: Guten Tag!
Heinemann: Herr Wimmen, welche Wirkung wird von diesem Auftritt in Syrien ausgehen?
Wimmen: Nun, in der Tat wird es die Leute, die da seit Wochen und Monaten demonstrieren und die sich der Gewaltanwendung dieses Regimes ausgesetzt sehen, überhaupt nicht beeindrucken. Im Gegensatz kann man das eher aus der Perspektive als eine Provokation betrachten. Das heißt, die Demonstrationen werden weitergehen und die Gewalt wird weitergehen und wir werden weiter diese Opferzahlen hören.
Heinemann: Warum redet der Mann öffentlich, wenn er nichts zu sagen hat?
Wimmen: Der hat sehr wohl was zu sagen, denn wir dürfen nicht vergessen: Es ist keineswegs klar, wie viel oder wie groß der Anteil der syrischen Bevölkerung ist, der hinter diesen Demonstrationen steht. Es gibt zum einen die religiösen Minderheiten, die dem Regime die Stange halten aus Angst vor einem Bürgerkrieg, der möglicherweise dann sich gegen diese Minderheiten wenden könnte. Es gibt auch Teile der Mehrheitsbevölkerung, der muslimischen Sunniten, die profitiert haben von den sehr begrenzten Reformen der letzten Jahre; auch die halten dem System weiterhin die Stange. Und die Strategie ist, klar zu sagen, auf der einen Seite: hier ist die Drohung mit dem Bürgerkrieg, hier ist die Drohung mit ausländischer Intervention und wir auf der anderen Seite, wir hören die Forderungen, wir haben die Message verstanden, wir werden was tun, aber natürlich das Machtmonopol steht nicht infrage. Das heißt, man versucht, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung aus einem Mix von Gründen, mit einem Mix von Anreizen bei der Stange zu halten, um den Rest zuverlässiger isolieren zu können.
Heinemann: Herr Wimmen, der Historiker de Tocqueville – er lebte im 19. Jahrhundert – hat einmal geschrieben, der gefährlichste Augenblick für ein Regime ist der, in dem es sich zu reformieren beginnt. Ist Assad an diesem Punkt?
Wimmen: Das wäre so, wenn es um wirkliche Reformen gehen würde, das heißt, wenn tatsächlich das Machtmonopol zur Disposition stehen würde. Das kann man zurzeit nicht sehen. Dieser nationale Dialog, der nun wiederum angeboten wurde in dieser Diskussion, wird vermutlich die Form von Konsultationen annehmen, die sehr stark von oben nach unten verlaufen. Da wird man einige Gesetze ändern, vielleicht als Resultat, er hat angekündigt, dass es möglicherweise eine Diskussion über eine neue Verfassung geben könnte oder Verfassungsreformen, aber all das unter dem Vorzeichen, aber all das unter dem Vorzeichen des Machtmonopols der Bath-Partei, des Machtmonopols der Assad-Familie. Da sind keine Reformen erkennbar und deswegen befindet er sich jedenfalls nicht an diesem Punkt, wo wirkliche Reformen beginnen, die dann tatsächlich dieses Regime in Gefahr bringen könnten.
Heinemann: Die Europäische Union will Sanktionen verschärfen, also etwa Reisebeschränkungen für Führungsmitglieder oder das Einfrieren von Guthaben. Wie wirksam oder unwirksam sind solche Maßnahmen?
Wimmen: Nun, das Regime ist sicherlich mit diesen Maßnahmen nicht groß zu beeindrucken. Dass die einen Preis zahlen müssen für den Machterhalt, das ist denen klar, und den sind die auch bereit zu zahlen. Was möglicherweise wirksamer sein könnte, wäre, bestimmte syrische Ölexporte zu beenden, oder den Ankauf dieses Öls, schweres syrisches Öl, das nur in bestimmten Raffinerien in Europa überhaupt verarbeitet werden kann. Das heißt, wenn das hier nicht mehr gekauft wird, bleiben die darauf sitzen, das wird die wirtschaftliche Situation verschlechtern. Aber man muss sich auch überlegen, was man erreichen will, oder was man hofft zu erreichen, wenn man dieses Regime sozusagen weiter an die Wand drückt. Man muss sich im Klaren sein, dieses Regime ist bereit, oder man muss das befürchten, dass dieses Regime bereit ist, bis zum Letzten zu gehen, einen Bürgerkrieg zu riskieren, und wenn man sozusagen den Druck immer weiter verstärkt, dann wird dieses Szenario auch wahrscheinlicher.
Heinemann: Kurz noch ein Blick über die Grenze. Welche Auswirkungen hat die Krise in Syrien auf den Libanon, in dem die Syrer ja lange Zeit nach Gutdünken geschaltet und gewaltet haben?
Wimmen: Nun, es gab vor zwei Tagen Auseinandersetzungen in Tripoli im Norden. Da gibt es alevitische Minderheiten, die geraten immer wieder mit den Sunniten dort in Tripoli, im libanesischen Tripoli, aneinander. Es gab sechs Tote. Wenn die Lage in Syrien völlig außer Kontrolle gerät, dann wird es Flüchtlinge geben, die auch über diese Grenze fliehen. Es wird möglicherweise Auseinandersetzungen geben zwischen diesen Flüchtlingen auch der sunnitischen Bevölkerung im Libanon, die sich diesen, vermutlich dann mehrheitlich sunnitischen Flüchtlingen verbunden fühlen und Gruppen wie der Hisbollah und Ähnlichen. Da ist eine deutliche Destabilisierung wiederum zu befürchten.
Heinemann: Heiko Wimmen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Wimmen: Auf Wiederhören.
Heiko Wimmen: Guten Tag!
Heinemann: Herr Wimmen, welche Wirkung wird von diesem Auftritt in Syrien ausgehen?
Wimmen: Nun, in der Tat wird es die Leute, die da seit Wochen und Monaten demonstrieren und die sich der Gewaltanwendung dieses Regimes ausgesetzt sehen, überhaupt nicht beeindrucken. Im Gegensatz kann man das eher aus der Perspektive als eine Provokation betrachten. Das heißt, die Demonstrationen werden weitergehen und die Gewalt wird weitergehen und wir werden weiter diese Opferzahlen hören.
Heinemann: Warum redet der Mann öffentlich, wenn er nichts zu sagen hat?
Wimmen: Der hat sehr wohl was zu sagen, denn wir dürfen nicht vergessen: Es ist keineswegs klar, wie viel oder wie groß der Anteil der syrischen Bevölkerung ist, der hinter diesen Demonstrationen steht. Es gibt zum einen die religiösen Minderheiten, die dem Regime die Stange halten aus Angst vor einem Bürgerkrieg, der möglicherweise dann sich gegen diese Minderheiten wenden könnte. Es gibt auch Teile der Mehrheitsbevölkerung, der muslimischen Sunniten, die profitiert haben von den sehr begrenzten Reformen der letzten Jahre; auch die halten dem System weiterhin die Stange. Und die Strategie ist, klar zu sagen, auf der einen Seite: hier ist die Drohung mit dem Bürgerkrieg, hier ist die Drohung mit ausländischer Intervention und wir auf der anderen Seite, wir hören die Forderungen, wir haben die Message verstanden, wir werden was tun, aber natürlich das Machtmonopol steht nicht infrage. Das heißt, man versucht, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung aus einem Mix von Gründen, mit einem Mix von Anreizen bei der Stange zu halten, um den Rest zuverlässiger isolieren zu können.
Heinemann: Herr Wimmen, der Historiker de Tocqueville – er lebte im 19. Jahrhundert – hat einmal geschrieben, der gefährlichste Augenblick für ein Regime ist der, in dem es sich zu reformieren beginnt. Ist Assad an diesem Punkt?
Wimmen: Das wäre so, wenn es um wirkliche Reformen gehen würde, das heißt, wenn tatsächlich das Machtmonopol zur Disposition stehen würde. Das kann man zurzeit nicht sehen. Dieser nationale Dialog, der nun wiederum angeboten wurde in dieser Diskussion, wird vermutlich die Form von Konsultationen annehmen, die sehr stark von oben nach unten verlaufen. Da wird man einige Gesetze ändern, vielleicht als Resultat, er hat angekündigt, dass es möglicherweise eine Diskussion über eine neue Verfassung geben könnte oder Verfassungsreformen, aber all das unter dem Vorzeichen, aber all das unter dem Vorzeichen des Machtmonopols der Bath-Partei, des Machtmonopols der Assad-Familie. Da sind keine Reformen erkennbar und deswegen befindet er sich jedenfalls nicht an diesem Punkt, wo wirkliche Reformen beginnen, die dann tatsächlich dieses Regime in Gefahr bringen könnten.
Heinemann: Die Europäische Union will Sanktionen verschärfen, also etwa Reisebeschränkungen für Führungsmitglieder oder das Einfrieren von Guthaben. Wie wirksam oder unwirksam sind solche Maßnahmen?
Wimmen: Nun, das Regime ist sicherlich mit diesen Maßnahmen nicht groß zu beeindrucken. Dass die einen Preis zahlen müssen für den Machterhalt, das ist denen klar, und den sind die auch bereit zu zahlen. Was möglicherweise wirksamer sein könnte, wäre, bestimmte syrische Ölexporte zu beenden, oder den Ankauf dieses Öls, schweres syrisches Öl, das nur in bestimmten Raffinerien in Europa überhaupt verarbeitet werden kann. Das heißt, wenn das hier nicht mehr gekauft wird, bleiben die darauf sitzen, das wird die wirtschaftliche Situation verschlechtern. Aber man muss sich auch überlegen, was man erreichen will, oder was man hofft zu erreichen, wenn man dieses Regime sozusagen weiter an die Wand drückt. Man muss sich im Klaren sein, dieses Regime ist bereit, oder man muss das befürchten, dass dieses Regime bereit ist, bis zum Letzten zu gehen, einen Bürgerkrieg zu riskieren, und wenn man sozusagen den Druck immer weiter verstärkt, dann wird dieses Szenario auch wahrscheinlicher.
Heinemann: Kurz noch ein Blick über die Grenze. Welche Auswirkungen hat die Krise in Syrien auf den Libanon, in dem die Syrer ja lange Zeit nach Gutdünken geschaltet und gewaltet haben?
Wimmen: Nun, es gab vor zwei Tagen Auseinandersetzungen in Tripoli im Norden. Da gibt es alevitische Minderheiten, die geraten immer wieder mit den Sunniten dort in Tripoli, im libanesischen Tripoli, aneinander. Es gab sechs Tote. Wenn die Lage in Syrien völlig außer Kontrolle gerät, dann wird es Flüchtlinge geben, die auch über diese Grenze fliehen. Es wird möglicherweise Auseinandersetzungen geben zwischen diesen Flüchtlingen auch der sunnitischen Bevölkerung im Libanon, die sich diesen, vermutlich dann mehrheitlich sunnitischen Flüchtlingen verbunden fühlen und Gruppen wie der Hisbollah und Ähnlichen. Da ist eine deutliche Destabilisierung wiederum zu befürchten.
Heinemann: Heiko Wimmen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Wimmen: Auf Wiederhören.