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Die Gier nach Fleisch

Mit "Der Hund, die Nacht und das Messer" hat Marius von Mayenburg einen wahren Todesreigen geschrieben. Eine bisweilen hochtrabend poetische Sprache mixt Gier, Mord, Sex und Ernährungsprobleme zu einer etwas trüben Brühe. Die Inszenierung von Benedict Andrews ist bilderarm - und reich an Theaterblut.

Von Eberhard Spreng | 26.05.2008
    Ein Mann ist in einer verlassenen Gegend unterwegs, die er nicht kennt, und trifft auf einen Mann, dessen Hund sich von seiner Leine losgerissen hat. Der Hund ist zu den Wölfen gelaufen, die den Menschen und ihrer Stadt immer näher kommen. Schlimmer noch: Dieser Mann zieht plötzlich ein Messer und fügt dem "M" genannten Protagonisten eine Bauchwunde zu: einen glatten horizontalen Schnitt.

    ""Was wollen Sie von mir?"
    "Ich habe Hunger, ich rieche Dein Blut, ich rieche Deine Angst. Du machst mich heiß."
    "Kommen Sie nicht näher, ich habe jetzt das Messer."
    "Das war dumm von Dir, ein glatter Schnitt, und alles wäre vorbei gewesen. Jetzt muss ich Dich reißen wie ein wildes Tier."


    Selbst am Bauch verletzt entreißt der Protagonist seinem Angreifer das Messer und stößt es ihm in den Leib. Marius von Mayenburg, der gerne archaische Schreckenszeichen in eine fade Normalität einbrechen lässt, hat hier mit einer sehr geringen Anzahl von dramaturgischen Elementen eine kannibalistische Nachtfabel arrangiert. Immer wieder wird M. nun in wechselnden nächtliche Szenen Menschen begegnen, die nach seinem Fleisch gieren und sich dennoch fast ohne Widerstand von ihm totstechen lassen.

    Eine Polizeistation, ein Krankenhaus, und die Wohnung der beiden Schwestern des "Hundemannes" vom Anfang sind dabei Stationen einer apokalyptischen Blutorgie, in die sich erotische Momente mischen.

    ""Bist Du jetzt satt?"
    "Ich bin noch nicht fertig."
    "Leg das weg, ich kriege schlechte Gefühle von so langen Messern."
    "Nicht sehr galant, das Gejammer wegen dem bisschen Blut, als wäre es das nicht wert gewesen."
    "Doch, doch bestimmt, jeder Tropfen."
    "Ich küsse nämlich nicht jeden."
    "Und es war sehr schön."
    "Sehr schön, ja. Aber jetzt muss ich Dich leider töten."

    Jule Böwe spielt im Wechsel die beiden Schwestern und eine weitere Figur. Thomas Wodianka unter anderen den Hundemann, einen Polizisten und einen Krankenhausarzt. Mayenburg hat diesen Todesreigen mit drei Akteuren so angelegt, das der von Rafael Stachowiak gespielte Mann den auch für die Zuschauer plausiblen Eindruck gewinnt, in dem immergleichen Horror immer wieder auf denselben Angreifer zu stoßen.

    Mayenburgs nächtlicher Kosmos spielt in einer von welcher ökologischen Katastrophe auch immer zerstörten Welt, in der Kannibalismus zum Überlebensmodell geworden ist. Solche Albträume sind eine klassische Domäne des Horrorfilms: Vom staatlich organisierten Morden auf der überbevölkerten Erde wie im Klassiker "Soylent Green" bis zur "Hölle der lebenden Toten" auf einem verlassenen Atoll und zahlreichen anderen Filmen.

    Darüber hinaus wird diese tabuisierte Chiffre heute in wachsendem Maße zur Horrorvision einer verhungernden Weltbevölkerung und zur Leiterfahrung des Turbokapitalismus: Wieder heißt es also: "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf".

    Mayenburgs Metapher am Ende, wo dem Protagonisten die Mitgliedschaft im Wolfsrudel angeboten wird, ist bezeichnend. Leider werden diese aktuellen Motive in dem neuen Stück des Schaubühnendramatikers nur beiläufig angedeutet. Eine bisweilen hochtrabend poetische Sprache mixt Gier, Mord, Sex und Ernährungsprobleme zu einer etwas trüben Brühe.

    Benedict Andrews hat in seiner Inszenierung alles getilgt, was Mayenburgs Nacht unheimlich machen könnte: Sechs Leuchtstäbe glimmen in unterschiedlichen Farben auf, vor ihnen spielt sich das Geschehen auf einem schmalen Streifen mit dunklem Sand ab. Auffällig in dieser etwas bilderarmen Realisation ist der Einsatz von viel Theaterblut, das aber immer mehr unterdrücktes Lachen hervorruft, je grotesker es vergossen wird, zum Beispiel, wenn eine Krankenschwester mit triefenden Lippen und triefendem Kinn die Bauchwunde des Mordhelden leckt.

    Im Umgang mit der Verrohung der Gesellschaft und der Verrohung der Schaulust müsste die Kunst genauer bestimmen, was ihr am Herzen liegt: Will sie die Perversion unseres Blicks auf Blut und Gewalt entlarven, wie Michael Haneke neuerlich im amerikanischen "Funny Games" Remake, oder hat sie den sadomasochistischen Spaß an der Gewalt als solcher im Blick? Die Schaubühne bleibt unentschieden, der Horror irrlichtert nur und wird nicht zum Menetekel.