"Ich empfinde mich als Politikerin der Freiheit, nach der Zeit der Unfreiheit, die ich als Kind und als junger Mensch erlebt habe."
Hildegard Hamm-Brücher, eine der großen Politikerinnen der Bundesrepublik, geprägt von den Erfahrungen im Nationalsozialismus.
Geboren am 11. Mai 1921 in Essen, wächst sie in Berlin-Dahlem auf, verliert ihren Vater als sie zehn Jahre alt ist - und ihre Mutter ein Jahr später. Mit ihren vier jüngeren Geschwistern zieht sie zur Großmutter nach Dresden und erfährt dort als sogenannte Halbjüdin die Diskriminierungen des NS-Regimes: Rauswurf aus dem Schwimmverein, Ausschluss von Schulfeiern, gezwungen, das Schul-Internat zu verlassen. Ein dramatischer Einschnitt folgt 1942, als sich ihre Großmutter vor der Deportation nach Theresienstadt das Leben nimmt.
Kontakte zur Weißen Rose
Hildegard Hamm-Brücher kann dennoch unter dem Schutz ihres Doktorvaters in München Chemie studieren. An der Universität lernt sie Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose kennen, eine wegweisende Begegnung:
"In die Politik zu gehen hat sich deshalb für mich ganz selbstverständlich ergeben, weil Freunde von mir im Zusammenhang mit den Flugblättern der Weißen Rose verhaftet wurden, hingerichtet wurden, und ich wie durch ein Wunder jedenfalls äußerlich unbeschädigt davongekommen bin."
Nach dem Ende des Nazi-Regimes arbeitet sie als Wissenschaftsjournalistin, lernt den späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss kennen und engagiert sich auf seine Anregung in der Münchner Kommunalpolitik:
"Ich bin 1946/47 in die liberale Partei gegangen, weil mir Theodor Heuss vermittelt hat: Politischer Liberalismus ist vor allem eine geistige Kraft, die immer eine freiheitliche, eine erfrischende Denkweise erfordert."
In der FDP macht sie politisch Karriere; sie gehört über zwei Jahrzehnte dem bayerischen Landtag und 14 Jahre dem Bundestag an und wird unter Hans-Dietrich Genscher Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
Beim Sturz Helmut Schmidts machte Hamm-Brücher nicht mit
Als die FDP-Führung 1982 die Koalition mit der SPD durch ein Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt aufkündigt und sich der CDU/CSU zuwenden will, verweigert Hildegard Hamm-Brücher die Zustimmung.
"Ich kann dem Bundeskanzler nicht mein Misstrauen aussprechen, nachdem ich noch bis vor zwei Wochen mit ihm und seinen Ministern … loyal und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe." (Beifall)
Hildegard Hamm-Brücher sieht den politischen Anstand verletzt und bezeichnet den Machtwechsel als eine der größten Niederlagen ihres politischen Lebens.
Ihr eigenständiges, aufrechtes Denken und Handeln – nicht nur in dieser Situation – findet Respekt über Parteigrenzen hinweg. Etwa die, des langjährigen sozialdemokratische Fraktions- und Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel:
"Eine Demokratin nicht nur mit dem Lippenbekenntnis, sondern wirklich mit ihrem Lebensbeispiel, die unmittelbare Bürgerbeteiligung, Zivilcourage, und das alles hat Hildegard Hamm-Brücher nun weiß Gott ein Leben lang getan."
Im Gegensatz zu anderen Fraktionskollegen, die wegen des Machtwechsels aus der Partei austreten, bleibt Hildegard Hamm-Brücher der FDP treu, spielt aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Nur einmal noch, 1994, tritt sie ins Rampenlicht, als ihre Partei sie für das Amt der Bundespräsidentin nominiert:
"Ich habe das Gefühl gehabt, es ist höchste Zeit, als Frau zu zeigen, dass man durch viel Erfahrung, viel Arbeit, viel Lernen in der Politik fähig ist, so ein Amt auszuüben."
Möllemann-Affäre und FDP-Austritt nach 54 Jahren
Doch auch dieses Mal macht sie die Erfahrung, dass Parteitaktik und Machtkalkül wichtiger sind als demokratischer Anstand. Vor dem dritten Wahlgang zwingt die FDP-Führung sie zum Rückzug, um den Weg für den CDU-Kandidaten Roman Herzog freizumachen.
"Eine unverbesserliche, freischaffende Liberale"
2002 tritt Hildegard Hamm-Brücher aus der FDP aus, nach 54 Jahren. Der Grund: Die FDP-Führung distanziere sich nicht eindeutig von Äußerungen des Stellvertretenden Parteivorsitzenden Jürgen Möllemann, der Juden mitverantwortlich für einen Anstieg des Antisemitismus mache:
"Eines konnte ich nicht ertragen aufgrund meiner Biografie: Dass so ein offener Antisemitismus in der FDP Platz greift."
2016 starb Hildegard Hamm-Brücher im Alter von 95 Jahren in München, eine "unverbesserliche, freischaffende Liberale", wie sie sich selbst nannte, eine leidenschaftliche Kämpferin für die Demokratie.
2016 starb Hildegard Hamm-Brücher im Alter von 95 Jahren in München, eine "unverbesserliche, freischaffende Liberale", wie sie sich selbst nannte, eine leidenschaftliche Kämpferin für die Demokratie.