Stefan Koldehoff: Und mit kultureller Vernetzung der Genres geht es auch weiter. Achtung, gut zuhören jetzt: "Dieses Projekt versteht das Dokumentarische als Kunst, Wirklichkeit zu gestalten und zu verändern", sagen die Macher des zum zweiten Mal veranstalteten "Berlin Documentary Forum" in Berlin, in, am und ums Haus der Kulturen der Welt. Noch mal: " ... versteht das Dokumentarische als Kunst, Wirklichkeit zu gestalten und zu verändern." Deshalb versucht diese Veranstaltung einen Querschnitt durch das künstlerische Schaffen verschiedenster Genres mit dokumentarischen Möglichkeiten oder dokumentarischem Anspruch. – Carsten Probst in Berlin, bevor wir zu den Inhalten kommen: Was sind das für Genres und wie lassen sie sich in ihrer Verschiedenheit unter einem Dach zeigen?
Carsten Probst: Das war auch meine zentrale Frage, als ich mich heute mit der künstlerischen Leiterin Hila Peleg unterhalten habe. Optisch sieht man eigentlich nicht sehr viel erst einmal im Haus der Kulturen der Welt. Es ist einfach ein großes Forum, so kann man sich das vorstellen, das in dem Hauptauditorium stattfinden wird. Daneben gibt es noch eine Ausstellung. Aber ich denke, der Hauptansatz besteht darin, dass in diesem Auditorium Künstler verschiedenster Genres, also beispielsweise Performance, Film, Literatur, bildende Künste oder auch Schauspieler, auftreten werden und seit Längerem schon Kooperationen miteinander pflegen und die Projekte, die sie dann hier vorstellen werden, teilweise schon aus verschiedenen, länger andauernden Kooperationen hervorgegangen sind. Man hat also eigentlich den Ansatz, nicht unbedingt alle Künste nur miteinander zu vermischen, sondern einfach verschiedene Aspekte auf den Umgang mit "Realität" im Zuge einer irgendwie gearteten dokumentarischen Arbeit vorzuführen.
Koldehoff: Nun gibt es ja in vielen Bereichen die feine Trennung: Es gibt das Sachbuch und es gibt die Belletristik, es gibt den Spielfilm und es gibt den Dokumentarfilm. Hier klingt es so ein bisschen, als wolle man da bewusst die Grenzen verwischen, oder verstehe ich das falsch?
Probst: Eher scheint es so zu sein, dass man darauf reflektiert, dass dies schon längst der Fall ist, dass natürlich nicht nur durch die digitalen Medien der reale Eindruck schon oft nicht mehr genau der ist, den man wirklich haben könnte, sondern dass es irgendwie manipuliert ist. Aber es geht um weitaus mehr als um Manipulation. Hila Peleg sagt, wenn das Dokumentarische eigentlich eine künstlerische Strategie ist, etwas wiederzugeben, was real passiert ist, dann können doch im Umkehrschluss vielleicht in den dokumentarischen Stücken auch nicht mehr nur diese Realitäten gezeigt sein, sondern sie sind eingebettet in ein narratives Konzept beispielsweise, in etwas, wo auch das Medium selber, in dem es gezeigt wird, eine Rolle spielt. Und was soll das heißen? Wo liegt jetzt also quasi diese Grenze von Realität und Fiktion? – Das begegnet mir selber, wenn ich Ausstellungen anschaue, eigentlich auch immer wieder, dass das die Kernfrage vieler, vieler Künstler in allen möglichen Bereichen ist, dass diese Grenze Realität/Fiktion eigentlich gar nicht mehr genau auszumachen ist, dass man in gewisser Weise experimentell immer wieder diese Grenze ausloten muss, und man möchte quasi diesen Experimenten, dieser experimentellen Erkundung der Grenze zwischen Realität und Fiktion einfach einen Raum geben.
Koldehoff: Das heißt aber doch in jedem Fall, dass das Dokumentarische auch ein bisschen der Glaubwürdigkeit verliert, die man ihm bisher zugeschrieben hat, oder?
Probst: So ist es. Also es gibt natürlich wichtige Funktionen von dokumentarischer Fotografie, etwa aus Krisenregionen, und doch gerät beispielsweise diese Fotografie immer wieder, sofern sie nur das "Wahre" zeigen möchte, die Realität immer wieder in den Konflikt zwischen den beteiligten Personen. Das kann man auch an der Person von Hila Peleg festmachen, die aus Israel stammt, in London studiert hat und sich aber dennoch für die Bilderwelten des Nahen Ostens interessiert und dort von Darstellungspolitik spricht. Das heißt: Welche Fotos, welche Filme, welche Darstellungen kommen von welcher Seite, was zeigen sie vor allem, was blenden sie aus. Ein Foto oder ein Film sind immer symbolische Akte letztlich und die Auswahl dessen, was gezeigt ist, muss immer angereichert werden durch einen Kontext, in dem das Ganze entsteht. Das ist natürlich wahnsinnig komplex, für das Zeigen eines einfachen Fotos einen Riesenraum zu konstruieren, in dem das nun vielleicht erörtert wird. Daran machen sich die künstlerischen Strategien fest: Wie können wir eigentlich den Bildraum erweitern, sodass wir mehr verstehen von jedem einzelnen Bild? Das gibt es dann eben in ganz verschiedenen Projekten – ich nenne mal vielleicht zwei oder drei ganz kurz. Zum Beispiel gibt es hier eine Reihe, die sich dem sogenannten Videografen Johnny Esposito von der New Yorker Polizei widmet, der inzwischen nur noch die Bildschirme der Tausenden Überwachungskameras in Manhattan bedient und dort versucht, Verbrechenshergänge in irgendeiner Weise anhand von Bildschirmbildern zu rekonstruieren, und diese Sachen werden dann beispielsweise in einer Vortrags-, workshopartigen Situation aufbereitet, um die Dimension deutlich zu machen, wo liegt hier die Grenze zwischen Realität und Mutmaßung.
Koldehoff: Carsten Probst – vielen Dank – über das Berlin Documentary Forum.
Carsten Probst: Das war auch meine zentrale Frage, als ich mich heute mit der künstlerischen Leiterin Hila Peleg unterhalten habe. Optisch sieht man eigentlich nicht sehr viel erst einmal im Haus der Kulturen der Welt. Es ist einfach ein großes Forum, so kann man sich das vorstellen, das in dem Hauptauditorium stattfinden wird. Daneben gibt es noch eine Ausstellung. Aber ich denke, der Hauptansatz besteht darin, dass in diesem Auditorium Künstler verschiedenster Genres, also beispielsweise Performance, Film, Literatur, bildende Künste oder auch Schauspieler, auftreten werden und seit Längerem schon Kooperationen miteinander pflegen und die Projekte, die sie dann hier vorstellen werden, teilweise schon aus verschiedenen, länger andauernden Kooperationen hervorgegangen sind. Man hat also eigentlich den Ansatz, nicht unbedingt alle Künste nur miteinander zu vermischen, sondern einfach verschiedene Aspekte auf den Umgang mit "Realität" im Zuge einer irgendwie gearteten dokumentarischen Arbeit vorzuführen.
Koldehoff: Nun gibt es ja in vielen Bereichen die feine Trennung: Es gibt das Sachbuch und es gibt die Belletristik, es gibt den Spielfilm und es gibt den Dokumentarfilm. Hier klingt es so ein bisschen, als wolle man da bewusst die Grenzen verwischen, oder verstehe ich das falsch?
Probst: Eher scheint es so zu sein, dass man darauf reflektiert, dass dies schon längst der Fall ist, dass natürlich nicht nur durch die digitalen Medien der reale Eindruck schon oft nicht mehr genau der ist, den man wirklich haben könnte, sondern dass es irgendwie manipuliert ist. Aber es geht um weitaus mehr als um Manipulation. Hila Peleg sagt, wenn das Dokumentarische eigentlich eine künstlerische Strategie ist, etwas wiederzugeben, was real passiert ist, dann können doch im Umkehrschluss vielleicht in den dokumentarischen Stücken auch nicht mehr nur diese Realitäten gezeigt sein, sondern sie sind eingebettet in ein narratives Konzept beispielsweise, in etwas, wo auch das Medium selber, in dem es gezeigt wird, eine Rolle spielt. Und was soll das heißen? Wo liegt jetzt also quasi diese Grenze von Realität und Fiktion? – Das begegnet mir selber, wenn ich Ausstellungen anschaue, eigentlich auch immer wieder, dass das die Kernfrage vieler, vieler Künstler in allen möglichen Bereichen ist, dass diese Grenze Realität/Fiktion eigentlich gar nicht mehr genau auszumachen ist, dass man in gewisser Weise experimentell immer wieder diese Grenze ausloten muss, und man möchte quasi diesen Experimenten, dieser experimentellen Erkundung der Grenze zwischen Realität und Fiktion einfach einen Raum geben.
Koldehoff: Das heißt aber doch in jedem Fall, dass das Dokumentarische auch ein bisschen der Glaubwürdigkeit verliert, die man ihm bisher zugeschrieben hat, oder?
Probst: So ist es. Also es gibt natürlich wichtige Funktionen von dokumentarischer Fotografie, etwa aus Krisenregionen, und doch gerät beispielsweise diese Fotografie immer wieder, sofern sie nur das "Wahre" zeigen möchte, die Realität immer wieder in den Konflikt zwischen den beteiligten Personen. Das kann man auch an der Person von Hila Peleg festmachen, die aus Israel stammt, in London studiert hat und sich aber dennoch für die Bilderwelten des Nahen Ostens interessiert und dort von Darstellungspolitik spricht. Das heißt: Welche Fotos, welche Filme, welche Darstellungen kommen von welcher Seite, was zeigen sie vor allem, was blenden sie aus. Ein Foto oder ein Film sind immer symbolische Akte letztlich und die Auswahl dessen, was gezeigt ist, muss immer angereichert werden durch einen Kontext, in dem das Ganze entsteht. Das ist natürlich wahnsinnig komplex, für das Zeigen eines einfachen Fotos einen Riesenraum zu konstruieren, in dem das nun vielleicht erörtert wird. Daran machen sich die künstlerischen Strategien fest: Wie können wir eigentlich den Bildraum erweitern, sodass wir mehr verstehen von jedem einzelnen Bild? Das gibt es dann eben in ganz verschiedenen Projekten – ich nenne mal vielleicht zwei oder drei ganz kurz. Zum Beispiel gibt es hier eine Reihe, die sich dem sogenannten Videografen Johnny Esposito von der New Yorker Polizei widmet, der inzwischen nur noch die Bildschirme der Tausenden Überwachungskameras in Manhattan bedient und dort versucht, Verbrechenshergänge in irgendeiner Weise anhand von Bildschirmbildern zu rekonstruieren, und diese Sachen werden dann beispielsweise in einer Vortrags-, workshopartigen Situation aufbereitet, um die Dimension deutlich zu machen, wo liegt hier die Grenze zwischen Realität und Mutmaßung.
Koldehoff: Carsten Probst – vielen Dank – über das Berlin Documentary Forum.