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Die Griechen nach der Einigung
"Wir hatten eigentlich Oxi gesagt"

Eine Mehrheit der Griechen hat beim Referendum noch gegen die Reformpläne der Geldgeber gestimmt - nun hat Ministerpräsident Alexis Tsipras dennoch einem Kompromiss mit der Eurozone zugestimmt. Die Wut auf den Regierungschef steigt, gerade Syriza-Anhänger sind sauer.

Von Panajotis Gavrilis |
    Demonstranten protestieren in Athen gegen die von der Eurozone geforderten Reformen.
    Demonstranten protestieren in Athen gegen die von der Eurozone geforderten Reformen. (AFP / Louisa Gouliamaki)
    Griechischer Rap schallt durch die Boxen, es sind wenige da, die sich vor dem Parlament versammelt haben, um gegen die geplanten Reformen der Regierung zu demonstrieren. Mehrere Hundert sind es vielleicht. Unter ihnen ist auch der 25-jährige Adonis, mit Vollbart und Brille.
    "Ich unterstütze hier das Nein, für das wir beim Referendum mehrheitlich gestimmt haben. Das war ein Nein gegen weitere Sparmaßnahmen und ist jetzt auch ein Oxi gegen dieses neue Spardiktat."
    Es sind viele kleine Gruppen, auch Anarchisten und Kommunisten sind da, denen die Regierung nicht links genug ist. Adonis ist bei der Jugendpartei von Syriza aktiv und zusammen mit Artemis da, die sich auf dem Boden hockend eine Zigarette dreht.
    "Ich bin sehr enttäuscht. Ich versuche aber auch, Tsipras zu verstehen, weil das Verhandlungsspiel ungerecht war. Jetzt müssen wir schauen, wie es weitergeht. Ich glaube, Hoffnung gibt es noch."
    Die 24-jährige Topografie-Studentin will, dass Tsipras doch noch Nein sagt und die geplanten Reformmaßnahmen zurücknimmt.
    "Das darf nicht durchkommen. Aber das Parlament wird wohl dafür stimmen. Ich will das aber nicht. Auch nicht, dass Syriza dafür abstimmt. Falls doch, dann werden wir unseren Kampf weiterführen, so wie jetzt hier."
    Angst vor einer ungewissen Zukunft
    Ihr Freund Adonis blickt um sich und ist verwundert, dass so wenige Menschen da sind. Dabei gebe es genug Gründe, auf die Straße zu gehen, findet er. Die Forderungen der Gläubiger hält er für eine teure Erpressung, für ein Fass ohne Boden.
    "Leider wird es immer so weitergehen. Es gibt keine Lösung. Es gibt keinen richtigen Schuldenschnitt, keinen Ausweg aus dem Sparzwang. Und um Nein zu sagen, muss Tsipras sich wieder seiner Partei annähern und nicht so autonom regieren, wie er das jetzt macht."
    Der Maschinenbau-Student, der im Haus seiner Oma wohnt und in einem Call-Center 400 Euro monatlich verdient, ist sich angesichts der ungewissen Zukunft unsicher, ob er in Griechenland bleiben will.
    "Eine schwierige Frage. Ich weiß es nicht. Ich will es hier versuchen, aber es ist nicht sicher, dass ich hier bleibe."
    Während im Hintergrund ein Redner versucht, die müde-wirkenden Menschen mit "Oxi"-Parolen anzufeuern, steht etwas abseits die 61-jährige Lehrerin Konstantina Kouneni. Auch sie ist enttäuscht.
    "Aus einem Nein wurde innerhalb einer Woche ein Ja. Wir hatten eigentlich Nein zu den Spardiktaten gesagt und jetzt kommt es noch schlimmer. Alle, die zum ersten Mal an eine linke Regierung geglaubt haben, wie soll ich das erklären - wir fühlen uns verbittert, vorgeführt und spüren nur noch Enttäuschung."
    Konstantina Kouneni bleibt nicht lange, zu tief scheint der Frust zu sitzen, dass Tsipras nachgegeben hat, meint sie. Trotzdem hat sie es heute auf den Platz geschafft, so die 61-Jährige.
    "Auch wenn ich nicht mehr die Jüngste bin, bin ich auf der Straße. Viele sind aber auch zwiegespalten. Aber wenn sie sich beschweren, dann meckern sie nur auf Facebook. Vor dem Referendum bei der Kundgebung war es so voll, du konntest dich gar nicht bewegen hier. Was soll ich sagen? Ich bin einfach nur enttäuscht."
    Wut auf Tsipras
    Ein paar Straßen entfernt vom Syndagma-Platz zeigen sich zwei ältere Frauen weniger gesprächsbereit, die auf den Bus warten. "Warum nicht?", frage ich. Sie lachen. "Wir wollen euch nicht! Einen schönen Tag, Tschüss!" Mit "Euch" gibt sie mir zu verstehen, meint sie "die Deutschen". Und alle Deutsch sprechenden Journalisten. Genervt gehen sie weiter.
    Der Kioskbesitzer verfolgt gespannt die Nachrichten auf dem Fernseher neben seinem Sitzplatz. Direkt daneben vor dem Eingang eines Vier-Sterne-Hotels unterhält sich lautstark eine Gruppe von Menschen. "Gewerkschafter!", ruft mir einer im Vorbeigehen zu.
    "Das Volk muss auf die Straße gehen und sich das zurückholen, was ihm gehört. Das, wofür es jeden Tag schwitzt, muss es zurückfordern!"
    Niki, Ende 30, ist Mitglied in der ADEDY, der zweitgrößten Gewerkschaft in Griechenland, die vor allem Angestellte im Öffentlichen Dienst vertritt. Sie ist sauer auf Tsipras und auf die anderen Eurozonen-Länder.
    "Sie werden uns Jahrhunderte zurückwerfen. Wir sind überhaupt nicht zufrieden mit dieser Einigung. Aber wir haben aber auch nichts anderes erwartet. Die Regierung hat nichts verfehlt, weil sie doch diese Einigung wollte und von Anfang an diese Einschnitte von der Bevölkerung forderte."
    Zurück zum Syndagma-Platz, der sich langsam leert. Im Hintergrund laufen noch Arbeiterlieder während viele abseits der Kundgebung keine kämpferischen Parolen rufen, sondern zumindest nach außen hin entspannt wirken. Einer davon ist der Ende 30-jährige Stavros.
    "Ich weiß nicht, ob die Gesellschaft bereit ist für Veränderung. Was wir brauchen ist eine Stimme, die uns jeden Tag ruhig erzählt und erklärt, welche Schritte wichtig und richtig sind. Leider war es bisher so, dass uns immer eingetrichtert wurde, was wir nicht machen dürfen."
    Auch Stavros weiß nicht, was die möglichen Reformen am Ende bedeuten könnten, wie hart ein Programm Griechenland treffen könnte. Doch wenn man sich umhört auf den Straßen, sich mit den Menschen länger unterhält: Alle sprechen diesen einen Satz aus, der ihre ausweglose Situation wohl am besten beschreibt: "μπρος γκρεμός και πίσω ρέμα" - "Vor uns der Abgrund und hinter uns der mitreißende Strom."