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Die große Dame der israelischen Literatur

Das reiche lyrische Werk der Autorin Lea Goldberg bleibt auch heute, an ihrem 100. Geburtstag, noch zu entdecken. Von der wichtigsten Schriftstellerin des jungen Staates Israel liegt nur der Prosaband "Briefe von einer imaginären Reise" auf Deutsch vor. Er dokumentiert ihren Abschied von Zentraleuropa, in dem die junge Jüdin nach einer Kindheit in Russland und Litauen gerade erst angekommen war. Von 1932 bis 1935 studierte Lea Goldberg in Berlin und Bonn, bevor sie nach Palästina auswanderte.

Von Eva Pfister |
    Die große alte Dame der israelischen Literatur rezitiert ihr Gedicht "Mechora Sheli" - "Mein Heimatland" über die schwierige Liebe zu ihrem Zufluchtsort Palästina.

    Heimat war für Lea Goldberg keine Selbstverständlichkeit. Sie kam am 29. Mai 1911 in Königsberg zur Welt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde die Familie ins Innere Russlands deportiert, denn der Zar verdächtigte die Juden pauschal der Kollaboration mit dem Feind. Nach Kriegsende ließen sich die Goldbergs im litauischen Kaunas nieder. Dort besuchte Lea das hebräische Gymnasium und studierte semitische Sprachen und Philosophie. 1932 setzte sie ihr Studium in Berlin fort und promovierte 1935 in Bonn. Im selben Jahr wanderte Lea Goldberg nach Palästina aus.

    1937 erschien das Buch "Briefe von einer imaginären Reise", die einzige auf Deutsch vorliegende Publikation Lea Goldbergs. Es ist ein Buch des Abschieds - von einer unglücklichen Liebe und von Europa, das schon für die Schülerin in der litauischen Provinz ein Sehnsuchtsort war.

    "Es ist ein Einblick in die Schmerzen dieser Frau, die sich vertrieben sieht aus der so geliebten europäischen Kultur, in der sie immer zuhause war, in der jüdischen, in der russischen, in der deutschen."

    Ute Bohmeier, eine Kennerin der israelischen Literatur, sieht den Schwerpunkt von Lea Goldbergs Werk jedoch vor allem in ihrer Lyrik:

    "Lea Goldberg ist die erste Intellektuelle in der israelischen Kultur. Die Dichterinnen vor ihr, die heißen: Rachel oder Elishewa, die haben nur einen Vornamen! Und sie war eine Frau, die in Europa studiert hat, die aus vielen Sprachen übersetzen konnte, sie war ne Intellektuelle und hat ganz schlicht geschrieben. Keine Neologismen, keine semantischen Überanstrengungen, sondern ganz schlicht und persönlich."

    "Kalt ist mir sehr
    Die Landschaft drunten wie ein Mantel in Fetzen
    Mit ermatteter Hand zeichne ich auf letzte Zeile eines Verses"

    (Aus Lea Goldberg: "Letzte Worte")


    Nur wenige Gedichte sind bisher ins Deutsche übersetzt worden. Dieses, mit dem Titel "Letzte Worte", nahm Carmen-Renate Köper 1964 für den Deutschlandfunk auf.

    "Zwei Jungen auf der Gasse singen ein Lied
    Zwei Fenster in der Gasse erleuchten sich
    Zwei Schiffe im Hafen lichten Anker zur Nacht
    Meine Hände in deinen sind kalt
    Wie wird unser Ende?"

    (Aus Lea Goldberg: "Letzte Worte")

    Lea Goldberg arbeitete zunächst in Tel Aviv als Lektorin und Journalistin. Sie schrieb Essays und Kritiken, Theaterstücke, Erzählungen sowie den autobiografisch geprägten Roman "Und er ist das Licht". Aber vor allem mit ihren Gedichten und den über 30 Kinderbüchern, die oft in Versen abgefasst sind, wurde sie zu einer der wichtigsten literarischen Stimmen in Israel, so Ute Bohmeier.

    "In Israel ist sehr viel mehr Lyrik gelesen worden als bei uns, denn die Zeitungen druckten Gedichte ab. Das heißt, Lea Goldberg wurde schon zu Lebzeiten wirklich populär, es wurden sofort viele Gedichte von ihr vertont, und die Kinderbücher wurden richtige Klassiker. Die transportieren natürlich das Hebräisch als neue Alltagssprache an die Kinder, aber sie transportieren auch die neuen Werte. Und die bekannteste Geschichte ‚Wohnung zu vermieten', da geht's letztlich um Toleranz und um das Miteinanderleben völlig verschiedener Menschen."

    An der Hebräischen Universität Jerusalem baute Lea Goldberg den Lehrstuhl für vergleichende Literaturwissenschaft auf, den sie ab 1963 innehatte. Sie sprach sieben Sprachen und übersetzte wichtige Werke der europäischen Literatur ins Ivrit: etwa Tolstois Roman "Krieg und Frieden", Lyrik von Bertolt Brecht und Nelly Sachs, Dante und Petrarca.

    Lea Goldberg starb am 15. Januar 1970. Postum wurde sie mit dem höchsten Kulturpreis ihrer Heimat, dem Israel-Preis, geehrt.