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Die große Flut
Geologe Peter D. Ward über Folgen der Eisschmelze

Der Klimawandel hat viele Gesichter. Eines ist der Anstieg des Meeresspiegels. Die Folgen lassen sich schon aus der Erdgeschichte ablesen: Küstenstädte werden überflutet, Ackerland wird unbrauchbar, Trinkwasser vernichtet werden. Der Geologe Peter Ward möchte warnen vor dem, was kommt.

Von Dagmar Röhrlich |
Buchcover zu Peter D. Ward: “Die große Flut - Was auf uns zukommt, wenn das Eis schmilzt“
Die Folgen der Eisschmelze: Was passiert, wenn der Meeresspiegel steigt (Buchcover: Oekom-Verlag, Hintergrund: IMAGO / NurPhoto/Ulrik Pedersen)
Hamburg im Jahr 2095. Tief hat sich das Wasser in die Stadt gefressen. Denn in den vergangenen 100 Jahren ist der Meeresspiegel um weit mehr als einen Meter gestiegen. Wo früher die Menschen entlang der Elbe spazierten, wabern jetzt Schwaden von Cyanobakterien im grauen Wasser. Die Milliardeninvestitionen zur Verteidigung Hamburgs gegen das Meer, sie waren vergebens. Und es war nicht nur in Hamburg so, sondern in allen Küstenzonen der Erde...
"Wenn es überhaupt irgendeinen Trost gab, dann den, dass – anders als die Ozeane – die menschliche Bevölkerung mittlerweile nicht mehr anstieg. Und so gab es weniger von den verletzlichsten menschlichen Wesen, die es zu ernähren galt: den Kindern."
Das Bild zeigt Eisberge in Grönländ während der Dämmerung
Fotografin über Klimawandel - Für die Kunst "setze ich mich auch ins Flugzeug"
Mit ihrem Projekt "Tropic ice" will die Fotografin Barbara Dombrowski vor dem Klimawandel warnen. Dafür flog sie klimaschädlich kreuz und quer durch die Welt. "Das ist desaströs, aber ich habe das bewusst gemacht."
Ein szenischer Einstieg, der an Gefühle appelliert. Das ist typisch Peter Ward. Für den Geologen ist es in seinen Büchern das Mittel der Wahl, um seine Leser in ein Thema zu ziehen – bevor er in die Wissenschaft eintaucht und beispielsweise erklärt, warum es so schwierig ist, den künftigen Temperaturanstieg vorherzusagen:
"Da sich der Wärmehaushalt der Erde durch vielfältige Wechselbeziehungen und Rückkopplungen innerhalb des Klimasystems sehr kompliziert gestaltet, gibt es kein lineares Verhältnis zwischen dem CO2-Anstieg und der globalen Temperatur."

Ein Anstieg um zwei Meter hätte bereits gewaltige Folgen

Doch vom Anstieg der Temperatur hängt ab, wie schnell Gletscher schmelzen und die grönländischen und antarktischen Eisschilde instabil werden – und das bestimmt wiederum, wie sich der Meeresspiegel in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten verhalten wird.
"Von der Steigungsrate wird abhängen, was überflutet wird und was nicht, welcher Staat weiter existiert und welcher nicht. Ein Anstieg der Meere [...] wird keinen Menschen direkt töten. [...] Und trotzdem wären die Folgen eines Anstiegs von zehn oder auch nur zwei Metern gewaltig, allein wegen der Fläche Land, die dadurch verloren ginge. Der Verlust an Ackerland wird zu Hungersnöten führen. Die Flut von Menschen, die vor der Flut des Meeres fliehen müsste, wäre ebenfalls gewaltig."
Peter Wards Spezialgebiet sind Katastrophen: eigentlich die ganz großen längst vergangener Erdepochen, die Massenaussterben, bei denen das System Erde aus unterschiedlichen Gründen aus den Fugen geriet und dem Leben schwere Schläge versetzte. Doch in "Die große Flut" analysiert er die Zukunft: die Folgen des Klimawandels mit Fokus auf den Meeresspiegelanstieg.
"Als Paläontologe, der sich von Berufs wegen mit den Auswirkungen steigender und fallender Meeresspiegel beschäftigt, wie sie sich in uralten, lange vor dem Auftreten der Menschen liegenden Zeiten manifestieren, weiß ich, dass wir hier nicht einfach nur spekulieren (...). Wir können aus der Vergangenheit ableiten, was in einer Zukunft, die wir selbst geschaffen haben, passieren kann."
Denn die Prozesse sind heute nicht anders als vor Hunderten Jahrmillionen. Und erschreckenderweise zählt zu den Lehren der Vergangenheit, dass alles sehr schnell gehen kann: vor 14.000 Jahren etwa, gegen Ende der jüngsten Eiszeit, ließ ein Schmelzwasserpuls die Ozeane innerhalb von 300 Jahren um fast 16 Meter ansteigen.

Bekannte Prozesse unter neuen Vorzeichen

Es ist schon geschehen und wird wieder passieren. Doch diesmal ist alles anders. Denn heute leben knapp acht, aber bald schon neun oder zehn und mehr Milliarden Menschen auf der Erde. Damit bekommen die naturwissenschaftlich-kühlen Schlussfolgerungen sozus agen eine menschliche Dimension. Und um die zu verdeutlichen, unternimmt Peter Ward in den erzählerischen Passagen Zeitreisen in die Zukunft. Etwa in die Niederlande, wo 2085 aller milliardenschweren Schutzmaßnahmen zum Trotz Sturmfluten die Deiche und Schleusen überrollen und niederreißen. Oder ins Tunesien des Jahres 2050, um den Faktor Überbevölkerung zu thematisieren.
"So wie das Bevölkerungswachstum eine wachsende Nachfrage nach Energie auslöst, werden wir auch immer mehr Nahrungsmittel benötigen, um diese Menschen zu ernähren. Damit die moderne Landwirtschaft diese Mengen auch produzieren kann, ist sie neben Wasser und Boden auf immer mehr Energie angewiesen. Und die steckt vor allem in Produkten, die aus Erdöl gewonnen werden."
Von Dünger bis Erntemaschinen: Nur durch die energieintensive Produktion ist es möglich, dass in Europa oder den USA ein Bauer 140 Menschen ernähren kann. Deshalb stammt ein Viertel aller Treibhausgasemissionen aus der Land- und Forstwirtschaft – und befeuert über den Klimawandel den Meeresspiegelanstieg. Steigt der Meeresspiegel, dringt entlang der Küsten Salzwasser auch unterirdisch weit ins Landesinnere vor und verdirbt das Grundwasser. Das wiederum bedroht die Landwirtschaft.
"Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass hier ein gewaltiges Problem auf die Menschheit zukommt."
"Die große Flut" ist ein Buch, das den Leser nachdenklich zurücklässt. Es ist fesselnd geschrieben, und immer wieder schimmert die Verzweiflung des Autors durch, die Verzweiflung über das Widerstreben der Menschheit, das Steuer doch noch herumzureißen. Der Meeresspiegel wird ansteigen, das ist sicher. Mit höheren Deichen lässt sich diese Schlacht auf Dauer nicht gewinnen. Doch was sollen wir tun? Darauf geht Peter Ward im letzten Kapitel seines vor zehn Jahren auf Englisch erschienenen und für den Oekom-Verlag überarbeiteten und aktualisierten Buchs ein.
Patentrezepte hat er keine. Er ist vorsichtig, wenn es darum geht, die Probleme mit technologischen Ansätzen lösen zu wollen. Dazu gibt es meist zu viele Unbekannte, und manche Idee führt, der geologischen Erfahrung zufolge, direkt in eine Katastrophe. Hingegen dürfte die Renaturierung von Mooren hilfreich sein, denn Moore sind exzellente CO2-Speicher. Vor allem aber ist ein anderer Faktor essentiell, so Peter Ward: das Verhalten der Menschen. Wenn sie nicht im wahrsten Sinne des Wortes untergehen wollen, müssen sie ihren Lebensstil radikal wandeln – weniger Konsum, weniger Mobilität, viel mehr Nachhaltigkeit. Binsenweisheiten, sicherlich – aber das macht sie nicht falsch. Und vielleicht, das hofft Peter Ward jedenfalls, bringt die Erfahrung der Pandemie ja jetzt ein Umdenken.
Peter D. Ward: "Die große Flut - Was auf uns zukommt, wenn das Eis schmilzt",
aus dem Englischen übersetzt von Eva Leipprand
Oekom-Verlag, 250 Seiten, 22 Euro.