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Die Großstädte schrumpfen

Eines der wichtigen Themen unserer Zeit ist der Bevölkerungsrückgang in vielen Ländern der wohlhabenden Welt. Damit ist aber zugleich ein geographischer Wandel verbunden: Städte schrumpfen. Ganze Regionen entvölkern sich.

Von Ingeborg Breuer |
    Philipp Oswalt:" Was man in der Stadtentwicklung der letzten 50 Jahre sehen kann, der Anteil der schrumpfenden Städte ist zunehmend. Heute ist in einem Fünftel der Städte Schrumpfung. Schwerpunktmäßig findet man es in den USA und in Westeuropa, aber man findet es auch in Afrika, in Asien, also an Orten, wo man es nicht vermutet hätte. "

    Zum Beispiel: 1965 hatte Tokio fast 9 Mio. Einwohner. 1999 nicht einmal mehr 8 Mio.
    Oder Berlin: 1940 lebten dort über 4 Mio. Einwohner, 1993 3 Mio.
    Auch die amerikanische Automobilstadt Detroit ist von Schrumpfung betroffen: zwischen 1950 und 2000 ging die Einwohnerzahl um annähernd 1 Mio. zurück.


    Rote Pünktchen auf einer Weltkarte markieren im "Atlas der schrumpfenden Städte" Orte mit starkem Wachstum. Blaue Pünktchen markieren Orte, die von starker Schrumpfung betroffen sind. Und man stellt fest: in den letzten 50 Jahren stieg die Anzahl der blauen Pünktchen stärker als die Anzahl der roten. Die Zahl der schrumpfenden Städte nimmt also zu. Städte in den alten Industrieländern Europas, Städte an der Ostküste der USA, in Japan, seit den 90er Jahren auch Regionen des alten Ostblocks verkleinern sich. Und das wird wohl auch in Zukunft so bleiben. Für Philipp Oswalt, den Herausgeber des Atlas, ist dies ein Zeichen, dass die "Grenzen des Wachstums" erreicht sind.

    " Wir können nicht von einem ständigen Wachstum ausgehen. Und wir merken es ja auch beim Öl, die Ölressourcen sind begrenzt. Wir wissen es hinsichtlich des Ozons und des Klimaschutzes. Wir wissen, dass die Weltbevölkerung sich einpendelt bei acht Milliarden Menschen. Also all diese Prozesse zeigen, dass eben gewisse Sachen, die in den letzten zwei Jahrhunderten gewachsen sind, ihre Grenzen erfahren. Und bezogen auf das Thema der Städte ist es so, dass es dort sehr anschaulich wird und insofern besonders geeignet um einen solchen Sachverhalt zu diskutieren. Früher galt es als die Ausnahme, und wir merken heute, das ist nicht mehr die Ausnahmeerscheinung. Wir können nicht sagen, dass wir nur drei Stellschrauben verändern müssen und dann wächst das wieder. "

    Die Gründe für das Schrumpfen der Städte sind vielfältig. Früher wie heute waren Kriege, Katastrophen und Epidemien Faktoren, die das Bevölkerungswachstum bremsten. Ökologische Katastrophen kamen zunehmend dazu. In Afrika - und auch in Teilen Asiens - dezimiert Aids die Bevölkerung ganzer Regionen.

    Aber es gibt auch Veränderungen der Wohngewohnheiten. Da gibt es in manchen Städten wieder einen Zuzug in attraktive Innenstadtlagen - dort verarmen und veröden dann aber die Vororte. Andere Innenstädte wiederum, wie z.B. Detroit in den USA, werden zunehmend von Armen bevölkert, während wohlhabende Regionen wie ein Speckgürtel im Umland entstehen.

    Oswalt:
    " Wir haben einen neue Urbanismus; die ganzen Espresso- und Galeriekultur, das hat zu einer Aufwertung der Innenstädten geführt. Und Sie haben nach wie vor ein Wachsen in den Außenzonen. Und das ist sehr typisch, das finden Sie in Leipzig, auch in Frankfurt, in Manchester, in dieser Zwischenzone zwischen dem Stadtzentrum und dem Stadtumland, da haben Sie die Gebiete die der Schrumpfung unterliegen. In den USA ist inzwischen ein Drittel der Vorstädte schrumpfend. Die alten Vorstädte, die nach dem zweiten Weltkrieg entstanden sind, also dort ein zunehmender Leerstand, haben sie dann 50 Meilen entfernt gigantische neue Wohngebiete, wo dann gigantische Einfamilienhaussiedlungen entstehen. So, und dass ist das Bild, was eigentlich in den westlichen Industrieländern sich abzeichnet. "

    Vor allem in den alten Industrieländern gibt es mittlerweile Schrumpfungsprozesse, die kaum mehr reversibel sind. In etlichen Regionen hat sich dort in den letzten Jahrzehnten eine dauerhafte Massenarbeitslosigkeit eingestellt. Erwerbslosigkeit führt in vielen Städten zur Abwanderung. Zurück bleiben dann oft nur die Alten, die sozial Schwachen, manche Migrantengruppen. Betroffen sind Städte in den USA, in England oder Belgien. Aber auch das deutsche Ruhrgebiet. Zwischen 1960 und 2020, so schätzt man, schrumpft das Ruhrgebiet um rund 910000 Einwohner; das sind in 60 Jahren 22,5 %.

    " Es sind eigentlich die alten Industriestandorte, Kohle und Stahl. Im Ruhrgebiet ist es ein Prozess, der in den 60er Jahren deutlich einsetzt, er geht langsamer als in Ostdeutschland, und er wurde aufgefangen mit sehr viel mehr öffentlichen Mitteln. "

    Und dann ist da natürlich noch der demographische Wandel. Weil die Geburtenzahlen in vielen Ländern zurückgehen, werden die Einwohnerzahlen dort dauerhaft sinken. Bis 2050 werden in 43 Ländern insgesamt 60 Millionen weniger Menschen leben.

    Bevölkerungsabnahme zwischen 2000 - 2050:
    In Deutschland: 3 Mio. In Japan: 17 Mio. In Russland 22 Mio.


    Natürlich fragt man sich, warum in Zeiten globaler Überbevölkerung schrumpfende Städte ein Problem sein sollen. Dann wächst das Grün wieder in die Städte. Dann gibt es mehr freien Raum, ein größeres Wohnungsangebot, denkt der Laie. Doch Städte schrumpfen leider nicht schön übersichtlich, von außen nach innen. In schrumpfenden Städten entstehen vielmehr Brachen, baufällige, fast unbewohnte Stadtteile, Industrieruinen. Es kommt zu Leerstand mitten in der Innenstadt. Und Philipp Oswalt weist darauf hin, welche ökonomischen, sozialen und städteplanerischen Probleme das mit sich bringt.

    " Die Räume sind nicht mehr im sozialen Alltag eingebunden, es entsteht Vandalismus. Ein anderes Problem ist auch soziale Segregation und selektive Wanderungsbewegungen, z.B. gerade für die ostdeutsche Provinz. Die Jugendlichen nach ihrem Schulabschluss ziehen zum guten Teil weg oft nach Westdeutschland, weil sie am Ort keine Berufsperspektive haben. Das führt aber dazu, dass die weniger Mobilen zurückbleiben und das ist für die Zusammensetzung vor Ort ein Problem, dass damit auch die Perspektiven dieser Standorte schlechter werden.

    Es gibt dann auch ganz große Versorgungsprobleme, wie können dünne Gebiete versorgt werden? Und wir haben heute das Problem, dass wir eine Ärzteunterversorgung in Ostdeutschland haben, sie finden keine Ärzte mehr, die bereit sind, dort zu praktizieren, weil ihnen das nicht attraktiv erscheint. "
    Wie also soll man mit Schrumpfung umgehen? Welche Aufgabe kommt Städteplanern zu? Können Künstler etwas zum Thema beitragen? Demnächst geht die Ausstellung "Schrumpfende Städte" auf Wanderschaft, die innerhalb des "Projekts Schrumpfende Städte" entwickelt wurde. Dort zeigen Künstler, Städteplaner und Publizisten ihre Ideen von einem kreativen Umgang mit der wachsenden Leere - jenseits der Abrissbirne.