Peter Kapern: Heute treffen sich die Grünen zu ihrem Parteitag in Kiel. Und bis Sonntag wollen die Delegierten dort den Startschuss geben für einen Politikwechsel im Jahr 2013 - so hat es die Parteivorsitzende Roth gesagt. Also für eine Regierungsbeteiligung nach der nächsten Bundestagswahl. Und dies, obwohl der Höhenflug der Partei, zu dem sie nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima gestartet war, in einen langsamen Sinkflug übergegangen ist.
– Bei uns am Telefon ist jetzt der frühere Spitzenpolitiker der Grünen und Politikwissenschaftler Hubert Kleinert. Guten Tag, Herr Kleinert.
Hubert Kleinert: Guten Tag.
Kapern: Herr Kleinert, bleiben wir noch kurz beim Atomthema. Da kann man ja gerade bei diesem Thema gerade einen enormen Spagat bestaunen, den die Grünen dort machen müssen zwischen ihrer Orientierung an Bürgerinitiativen einerseits und der Regierungsverantwortung andererseits. Winfried Kretschmann, der Grüne-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, hat zur Beendigung der Anti-Atomtransport-Proteste aufgerufen. Wie viel Stimmen und wie viel Glaubwürdigkeit kostet das die Grünen?
Kleinert: Also, ich glaube, das sollte man jetzt nicht überschätzen. Natürlich haben die Grünen da – das hatten wir schon in der rot-grünen Regierungszeit – ein Problem: Auf der einen Seite eine konstruktive Lösung durchsetzen, auf der anderen Seite es auch denen Recht machen, denen das alles nicht genug ist und nicht schnell genug geht und dergleichen. Das ist eine schwierige Spagatsituation, keine Frage. Aber ich glaube, dass die Grünen nicht wirklich fürchten müssen, den Ruf derjenigen zu verlieren, die sozusagen die Speerspitze im politischen Raum des Widerstandes gegen die Atomkraft immer gewesen sind und denen letztlich auf dem Gebiet doch große Verdienste zukommen, was den Ausstieg, der mittlerweile ja Konsens ist, anlangt. Ich glaube nicht, dass sie da sonderlich viel fürchten müssen.
Kapern: Hat Winfried Kretschmann denn mit seiner Forderung recht?
Kleinert: Das kommt darauf an, wie man das sieht. Natürlich ist durch den Ausstiegsbeschluss eine politisch neue Situation entstanden und natürlich stehen jetzt alle vor der Notwendigkeit, die Endlagerthematik ernsthaft anzugehen. Irgendwo muss das Zeug ja schließlich hin, irgendwo muss es zwischengelagert werden und irgendwann einmal muss auch die Endlagersuche abgeschlossen sein, mit welchem Ergebnis auch immer. Auf der anderen Seite: Wenn man es als Protest gegen die Festlegung, die indirekte Festlegung auf Gorleben versteht, sieht die Sache wieder anders aus. Also ich persönlich sehe es schon eher so wie Kretschmann.
Kapern: Aber den Grünen bleibt Ihrer Meinung nach nur so etwas wie ein Lavieren zwischen diesen Positionen, um da einigermaßen heil durchzukommen?
Kleinert: Na ja, was heißt Lavieren? Wenn man der festen Überzeugung ist, dass es bessere Lösungen gibt als Gorleben, dann wird man das wohl auch zum Ausdruck bringen können. Oder wenn man dagegen opponieren will, dass es diese Art indirekte Festlegung gegeben hat, die ja jetzt aufgemacht worden ist – insofern ist auch auf dem Gebiet eine neue Situation da. Aber selbstverständlich ist das für die Grünen eine schwierige Situation. Und man kann auch nicht immer so tun, als könne man Protest einerseits und Regieren und Verantworten andererseits so ohne Weiteres gleichzeitig praktizieren. Es gibt auch Situationen, da muss man sehr deutlich sagen, also an dieser Stelle muss sozusagen der verantwortungsethische Aspekt im Vordergrund stehen.
Kapern: Man kann sich auch in der Opposition zerstreiten. Auch das zeigen die Grünen gerade wieder in ihrem Berliner Landesverband. Da gibt es Flügelkämpfe wie in den 80er- und 90er-Jahren, nachdem es dort nicht für die Regierungsbeteiligung gereicht hat. Die Fraktion im Abgeordnetenhaus kann sich nicht auf einen Fraktionsvorstand verständigen. Sind die Grünen da in Berlin auf dem Weg zurück in ihre eigene Vergangenheit?
Kleinert: Das ist natürlich von außen schwer zu beurteilen. Aber ich gebe Ihnen insoweit recht, als die Optik so ein bisschen schon an die 80er-Jahre erinnert, also offensichtlich eine festgefahrene Situation zwischen links und Realoflügel. Also, vielleicht mal etwas salopp ausgedrückt sozusagen: Die Kreuzberger Alternativtradition und der Prenzlauer Berg mit aufstiegsorientiertem Bürgertum auf der anderen Seite passt offensichtlich in der Partei nicht richtig zusammen. Das ist mühsam übertüncht worden, vielleicht auch durch die starke Personalisierung auf Renate Künast. Und jetzt in einer Situation, in der es dann wirklich um was geht und in der da richtige Probleme aufgeworfen sind, weil die Wahl nicht so ausgegangen ist, wie man sich das gewünscht hat, bricht das alles auf. Das erinnert schon ein bisschen an die 80er-Jahre, aber ich glaube nicht, dass das für die Partei in ihrer Breite so zutrifft.
Kapern: Heute hat das ZDF-Politbarometer seine neuesten Umfragewerte veröffentlicht, Herr Kleinert. Da kommen die Grünen auf 16 Prozent. Das ist ein überaus anständiger Wert für diese Partei, aber doch weit weniger als noch vor wenigen Monaten. Da haben wir sogar über die Volkspartei Die Grünen spekuliert. Wo ist die Zustimmung geblieben, was ist da falsch gelaufen?
Kleinert: Also, mich überrascht diese Entwicklung überhaupt nicht. Das was wir im Frühjahr und im Frühsommer hatten, das war Ergebnis einer ganz außergewöhnlich günstigen, für die Grünen ganz außergewöhnlich günstigen, Stimmungslage. Grüne Themen standen ganz oben, es gab eine breite Unzufriedenheit mit allen anderen, von denen auch die anderen Oppositionsparteien nicht viel abbekommen haben. Also, ich habe es nie für wahrscheinlich gehalten, dass die Grünen bundesweit bei Ergebnissen von um die 20 Prozent ankommen könnten. Insofern haben die Grünen es jetzt damit zu tun, dass sozusagen politische Normalzeiten wieder angebrochen sind. Die Themen, die jetzt ganz oben stehen, sind auch nicht die Themen, die ihnen auf den Leib geschneidert sind: Euro-Krise, Finanzkrise, das ganze Gerechtigkeitsthema, was sich damit verknüpft. Insofern, würde ich mal sagen, treten die Grünen auf hohem Niveau, auf hohem Zustimmungsniveau wieder in politische Normalzeiten ein, in denen sie – da fand ich das Bild, was ich von Özdemir heute gelesen habe, ganz gut – halt rudern müssen und nicht mehr segeln können.
Kapern: Nun bietet dieses ZDF-Politbarometer noch eine andere erstaunliche Zahl: Es reicht nicht mehr für Rot-Grün. Kriegen wir doch wieder eine Debatte über Schwarz-Grün?
Kleinert: Also, ich glaube, die Grünen würden einen Fehler machen, wenn sie sich an diesem Punkt jetzt oder in absehbarer Zeit irgendwie eine große inhaltliche Auseinandersetzung liefern müssten. Ich meine, die Dinge liegen doch, was die strategischen Fragen anlangt, ziemlich eindeutig. Die Grünen sind in der Opposition, zusammen mit den Sozialdemokraten und den Linken. Mit den Linken geht es nicht, mit den Sozialdemokraten würde es wohl gehen. Es gibt immerhin eine realistische Chance, trotz allen Entwicklungen im Politbarometer, auf Rot-Grün, also sind die Grünen gut beraten, auf diese Option zu setzen, ohne definitiv und für alle Zeiten irgendwas anderes auszuschließen. Was hindert die Grünen, in die Wahl zu ziehen mit dem Ziel der Ablösung der Regierung Merkel? Und wenn es dann nicht ganz reicht, dann muss man sehen. Ich denke, die Union hat eine Entwicklung durchgemacht, Stichwort Atomausstieg, auch die Entwicklung weg von dem neoliberalen Kurs des Leipziger Parteitages damals, wo man sagen kann, warum soll man da etwas definitiv ausschließen? Von daher, denke ich, gibt es für die Grünen keine Not, jetzt diese gewachsene Unabhängigkeit, die sie in den letzten Jahren gewonnen haben, wieder aufzugeben.
Kapern: Hubert Kleinert war das, der frühere grüne Spitzenpolitiker und heutige Politikwissenschaftler. Herr Kleinert, danke, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
– Bei uns am Telefon ist jetzt der frühere Spitzenpolitiker der Grünen und Politikwissenschaftler Hubert Kleinert. Guten Tag, Herr Kleinert.
Hubert Kleinert: Guten Tag.
Kapern: Herr Kleinert, bleiben wir noch kurz beim Atomthema. Da kann man ja gerade bei diesem Thema gerade einen enormen Spagat bestaunen, den die Grünen dort machen müssen zwischen ihrer Orientierung an Bürgerinitiativen einerseits und der Regierungsverantwortung andererseits. Winfried Kretschmann, der Grüne-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, hat zur Beendigung der Anti-Atomtransport-Proteste aufgerufen. Wie viel Stimmen und wie viel Glaubwürdigkeit kostet das die Grünen?
Kleinert: Also, ich glaube, das sollte man jetzt nicht überschätzen. Natürlich haben die Grünen da – das hatten wir schon in der rot-grünen Regierungszeit – ein Problem: Auf der einen Seite eine konstruktive Lösung durchsetzen, auf der anderen Seite es auch denen Recht machen, denen das alles nicht genug ist und nicht schnell genug geht und dergleichen. Das ist eine schwierige Spagatsituation, keine Frage. Aber ich glaube, dass die Grünen nicht wirklich fürchten müssen, den Ruf derjenigen zu verlieren, die sozusagen die Speerspitze im politischen Raum des Widerstandes gegen die Atomkraft immer gewesen sind und denen letztlich auf dem Gebiet doch große Verdienste zukommen, was den Ausstieg, der mittlerweile ja Konsens ist, anlangt. Ich glaube nicht, dass sie da sonderlich viel fürchten müssen.
Kapern: Hat Winfried Kretschmann denn mit seiner Forderung recht?
Kleinert: Das kommt darauf an, wie man das sieht. Natürlich ist durch den Ausstiegsbeschluss eine politisch neue Situation entstanden und natürlich stehen jetzt alle vor der Notwendigkeit, die Endlagerthematik ernsthaft anzugehen. Irgendwo muss das Zeug ja schließlich hin, irgendwo muss es zwischengelagert werden und irgendwann einmal muss auch die Endlagersuche abgeschlossen sein, mit welchem Ergebnis auch immer. Auf der anderen Seite: Wenn man es als Protest gegen die Festlegung, die indirekte Festlegung auf Gorleben versteht, sieht die Sache wieder anders aus. Also ich persönlich sehe es schon eher so wie Kretschmann.
Kapern: Aber den Grünen bleibt Ihrer Meinung nach nur so etwas wie ein Lavieren zwischen diesen Positionen, um da einigermaßen heil durchzukommen?
Kleinert: Na ja, was heißt Lavieren? Wenn man der festen Überzeugung ist, dass es bessere Lösungen gibt als Gorleben, dann wird man das wohl auch zum Ausdruck bringen können. Oder wenn man dagegen opponieren will, dass es diese Art indirekte Festlegung gegeben hat, die ja jetzt aufgemacht worden ist – insofern ist auch auf dem Gebiet eine neue Situation da. Aber selbstverständlich ist das für die Grünen eine schwierige Situation. Und man kann auch nicht immer so tun, als könne man Protest einerseits und Regieren und Verantworten andererseits so ohne Weiteres gleichzeitig praktizieren. Es gibt auch Situationen, da muss man sehr deutlich sagen, also an dieser Stelle muss sozusagen der verantwortungsethische Aspekt im Vordergrund stehen.
Kapern: Man kann sich auch in der Opposition zerstreiten. Auch das zeigen die Grünen gerade wieder in ihrem Berliner Landesverband. Da gibt es Flügelkämpfe wie in den 80er- und 90er-Jahren, nachdem es dort nicht für die Regierungsbeteiligung gereicht hat. Die Fraktion im Abgeordnetenhaus kann sich nicht auf einen Fraktionsvorstand verständigen. Sind die Grünen da in Berlin auf dem Weg zurück in ihre eigene Vergangenheit?
Kleinert: Das ist natürlich von außen schwer zu beurteilen. Aber ich gebe Ihnen insoweit recht, als die Optik so ein bisschen schon an die 80er-Jahre erinnert, also offensichtlich eine festgefahrene Situation zwischen links und Realoflügel. Also, vielleicht mal etwas salopp ausgedrückt sozusagen: Die Kreuzberger Alternativtradition und der Prenzlauer Berg mit aufstiegsorientiertem Bürgertum auf der anderen Seite passt offensichtlich in der Partei nicht richtig zusammen. Das ist mühsam übertüncht worden, vielleicht auch durch die starke Personalisierung auf Renate Künast. Und jetzt in einer Situation, in der es dann wirklich um was geht und in der da richtige Probleme aufgeworfen sind, weil die Wahl nicht so ausgegangen ist, wie man sich das gewünscht hat, bricht das alles auf. Das erinnert schon ein bisschen an die 80er-Jahre, aber ich glaube nicht, dass das für die Partei in ihrer Breite so zutrifft.
Kapern: Heute hat das ZDF-Politbarometer seine neuesten Umfragewerte veröffentlicht, Herr Kleinert. Da kommen die Grünen auf 16 Prozent. Das ist ein überaus anständiger Wert für diese Partei, aber doch weit weniger als noch vor wenigen Monaten. Da haben wir sogar über die Volkspartei Die Grünen spekuliert. Wo ist die Zustimmung geblieben, was ist da falsch gelaufen?
Kleinert: Also, mich überrascht diese Entwicklung überhaupt nicht. Das was wir im Frühjahr und im Frühsommer hatten, das war Ergebnis einer ganz außergewöhnlich günstigen, für die Grünen ganz außergewöhnlich günstigen, Stimmungslage. Grüne Themen standen ganz oben, es gab eine breite Unzufriedenheit mit allen anderen, von denen auch die anderen Oppositionsparteien nicht viel abbekommen haben. Also, ich habe es nie für wahrscheinlich gehalten, dass die Grünen bundesweit bei Ergebnissen von um die 20 Prozent ankommen könnten. Insofern haben die Grünen es jetzt damit zu tun, dass sozusagen politische Normalzeiten wieder angebrochen sind. Die Themen, die jetzt ganz oben stehen, sind auch nicht die Themen, die ihnen auf den Leib geschneidert sind: Euro-Krise, Finanzkrise, das ganze Gerechtigkeitsthema, was sich damit verknüpft. Insofern, würde ich mal sagen, treten die Grünen auf hohem Niveau, auf hohem Zustimmungsniveau wieder in politische Normalzeiten ein, in denen sie – da fand ich das Bild, was ich von Özdemir heute gelesen habe, ganz gut – halt rudern müssen und nicht mehr segeln können.
Kapern: Nun bietet dieses ZDF-Politbarometer noch eine andere erstaunliche Zahl: Es reicht nicht mehr für Rot-Grün. Kriegen wir doch wieder eine Debatte über Schwarz-Grün?
Kleinert: Also, ich glaube, die Grünen würden einen Fehler machen, wenn sie sich an diesem Punkt jetzt oder in absehbarer Zeit irgendwie eine große inhaltliche Auseinandersetzung liefern müssten. Ich meine, die Dinge liegen doch, was die strategischen Fragen anlangt, ziemlich eindeutig. Die Grünen sind in der Opposition, zusammen mit den Sozialdemokraten und den Linken. Mit den Linken geht es nicht, mit den Sozialdemokraten würde es wohl gehen. Es gibt immerhin eine realistische Chance, trotz allen Entwicklungen im Politbarometer, auf Rot-Grün, also sind die Grünen gut beraten, auf diese Option zu setzen, ohne definitiv und für alle Zeiten irgendwas anderes auszuschließen. Was hindert die Grünen, in die Wahl zu ziehen mit dem Ziel der Ablösung der Regierung Merkel? Und wenn es dann nicht ganz reicht, dann muss man sehen. Ich denke, die Union hat eine Entwicklung durchgemacht, Stichwort Atomausstieg, auch die Entwicklung weg von dem neoliberalen Kurs des Leipziger Parteitages damals, wo man sagen kann, warum soll man da etwas definitiv ausschließen? Von daher, denke ich, gibt es für die Grünen keine Not, jetzt diese gewachsene Unabhängigkeit, die sie in den letzten Jahren gewonnen haben, wieder aufzugeben.
Kapern: Hubert Kleinert war das, der frühere grüne Spitzenpolitiker und heutige Politikwissenschaftler. Herr Kleinert, danke, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.