Jasper Barenberg: Der Widerstand ist beträchtlich in der SPD, sich nach 2005 noch ein weiteres Mal auf eine Koalition mit der Union einzulassen. Wir haben schon darüber berichtet. Unter anderem geht es ja auch darum, dass unklar ist, ob bei einem Abstand von 16 Prozentpunkten zu CDU und CSU von einer Großen Koalition auf Augenhöhe überhaupt die Rede sein kann. Parteichef Gabriel jedenfalls mahnt vor dem Parteikonvent am Freitag zu Geschlossenheit und zu Stillschweigen, während die andere Seite erste Avancen in Richtung SPD und Grüne sendet. – Peter Kapern hat darüber mit dem Dresdener Politikwissenschaftler Werner Patzelt gesprochen und ihn gefragt, ob wir uns wie einst die Belgier auf viele Monate der Regierungsbildung werden einstellen müssen.
Werner Patzelt: Das glaube ich weniger, weil wir nicht die Erfahrungen haben, und außerdem haben wir ja den Bundesrat, durch den sämtliche wichtigen Gesetze hindurch müssen. Spielen wir einfach den Gedanken durch, dass die jetzige Bundesregierung geschäftsführend im Amt bleibt, dann hat sie im Bundestag keine Mehrheit und der Bundesrat, von der SPD und den Grünen dominiert, wird sich eine Freude daraus machen, den Regierungsprozess zum Stopp zu bringen. Das heißt, das ist keine gute Perspektive für unser Land.
Peter Kapern: SPD und Grüne zieren sich, das haben wir in den vergangenen Tagen wieder und wieder gehört. Sie zieren sich, was eine Regierungsbeteiligung angeht. Wie lange, glauben Sie, ist das durchzuhalten?
Patzelt: Das ist schwer vorherzusagen. Für die SPD steht fest, dass eine Große Koalition für die Union zwar die bequemste Lösung wäre, für sie selbst aber vermutlich Profilierungsschwierigkeiten und Verluste an die Linke oder an die Nichtwähler herbeiführen würde. Und die Grünen stehen vor der dritten ihrer Grundsatzentscheidungen. Die erste war, ob sie antiparlamentarische, Anti-Parteien-Partei sein wollen, oder in die Parlamente streben. Die zweite war, ob sie Fundamentalopposition seien, oder regieren wollen. Und die dritte ist nun, ob sie das Regieren auch mit der Union bewerkstelligen könnten, und das ist eine Entscheidung, die an die Identität der Grünen rührt. Hier kann keine Parteiführung das der Partei oktroyieren und folglich wird das auch Zeit brauchen.
Kapern: Das die Probleme der beiden potenziellen Koalitionspartner. Welcher von beiden knickt denn als Erster ein?
Patzelt: Das ist schwer vorherzusehen. In der SPD mehren sich Stimmen, insbesondere aus der zweiten Reihe, man möge doch die politische Mandatsmehrheit der Linken im Bundestag nutzen, was aber dem, was die Bevölkerung wünscht und was auch die Mehrheit in den Wählern gewesen ist, vollständig auf den Kopf stellen würde, und die SPD kann eigentlich nur sich in ihre alte Tradition stellen, nämlich den Staat mitzutragen und dafür auch Opfer auf sich zu nehmen. Ob das sich in der Partei durchsetzen wird, das ist derzeit noch nicht abzusehen.
Kapern: Herr Patzelt, warum gilt es eigentlich so sehr als ausgemacht, dass die SPD als Verlierer vom Feld geht, wenn sie sich auf eine Große Koalition einlässt? Wenn wir mal auf die letzte Große Koalition schauen, dann ist ja doch eigentlich offen, ob die SPD so sehr verloren hat, weil sie Teil der Großen Koalition war, oder weil sie es nicht verstanden hat, die Erfolge der Agenda 2010 aus rot-grünen Zeiten für sich zu reklamieren.
Patzelt: Das rührt genau an den Kern des Problems. Die SPD ist ja nicht wirklich stolz auf die Agenda 2010, sondern auch unter dem Druck der Linkspartei hat sie angefangen, die Agenda 2010 als eine Art Sündenfall, als eine Abkehr von einem richtigen linken, auf soziale Gerechtigkeit ausgehenden Kurs aufzufassen. Infolgedessen trägt sie den Erfolg der Agenda 2010 Reformpolitik eben nicht wie eine Monstranz vor sich her; das tut eher die Union, der ja diese Politik vollständig in den politischen Kram hinein passte. Im Übrigen muss man auch sehen, dass es weniger die Kanzlerin Merkel war, welche die SPD nach der letzten Großen Koalition so schlecht hat aussehen lassen; es waren schon eigene Schwierigkeiten. Sie hat etliche Parteivorsitzende verschlissen, sie hat keine gute Figur nach außen abgegeben. Infolgedessen ist es nicht einfach die Große Koalition, welche die SPD fürchten muss, sondern ihre innere Zerrissenheit. Aber an dieser Stelle muss sie einfach mit dem Druck der Linkspartei rechnen, die alles, was linke Politik ist, wesentlich deutlicher und klarer und einladender sagen kann als eine SPD, die mitregiert.
Kapern: Ist die SPD nicht bei Licht betrachtet in der Situation, jetzt der Union einen Wunschzettel diktieren zu können wie ein Kind reicher Eltern vor Weihnachten? Könnte sie nicht angesichts der Nöte der Kanzlerin aus einer schwarz-roten inhaltlich zumindest eine rot-schwarze Regierung machen?
Patzelt: Das ist genau das, was ja auch der Vorsitzende des Seeheimer Kreises empfohlen hat, nämlich den Kauf- oder Brautpreis sehr stark nach oben zu treiben. Deswegen wäre es der Union sehr recht, wenn die Grünen bald auch in Freiersgestalt aufträten, denn dann könnte man beide gegeneinander ausspielen. Andernteils ist unübersehbar, dass die SPD diesmal nicht stimmenmäßig auf ähnlicher Höhe wie die Union dasteht, und sie wird einen solchen Hochpreiskurs in der Öffentlichkeit nicht auf Dauer durchhalten können.
Kapern: Schauen wir noch kurz auf den anderen potenziellen Koalitionspartner: die Grünen. Die stecken tief in einem personellen und in einem inhaltlichen Umbruch. Ist so eine Parteibaustelle überhaupt regierungsfähig?
Patzelt: Die Grünen sind ganz gewiss der unangenehmere Koalitionspartner, und deswegen wünscht sich die Union ja in der Tat auch die SPD als Koalitionspartner. Aber strategisch gesehen wären die Grünen natürlich der bessere Koalitionspartner, denn dann würde die Lagerpolitik in Deutschland einige Zeit lang zu einem Ende kommen, wo immer das rot-grüne Lager gegen das schwarz-gelbe stand und. selbst wenn man den Begriff vermied. immer Lagerwahlkampf betrieben wurde. Die Koalitionsmöglichkeiten vermehrten sich und das bekäme der Funktionsweise unseres parlamentarischen Regierungssystems auf das beste, wie etwa der Blick nach Hessen auch in der Gegenwart zeigt.
Barenberg: Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden, im Gespräch mit meinem Kollegen Peter Kapern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Werner Patzelt: Das glaube ich weniger, weil wir nicht die Erfahrungen haben, und außerdem haben wir ja den Bundesrat, durch den sämtliche wichtigen Gesetze hindurch müssen. Spielen wir einfach den Gedanken durch, dass die jetzige Bundesregierung geschäftsführend im Amt bleibt, dann hat sie im Bundestag keine Mehrheit und der Bundesrat, von der SPD und den Grünen dominiert, wird sich eine Freude daraus machen, den Regierungsprozess zum Stopp zu bringen. Das heißt, das ist keine gute Perspektive für unser Land.
Peter Kapern: SPD und Grüne zieren sich, das haben wir in den vergangenen Tagen wieder und wieder gehört. Sie zieren sich, was eine Regierungsbeteiligung angeht. Wie lange, glauben Sie, ist das durchzuhalten?
Patzelt: Das ist schwer vorherzusagen. Für die SPD steht fest, dass eine Große Koalition für die Union zwar die bequemste Lösung wäre, für sie selbst aber vermutlich Profilierungsschwierigkeiten und Verluste an die Linke oder an die Nichtwähler herbeiführen würde. Und die Grünen stehen vor der dritten ihrer Grundsatzentscheidungen. Die erste war, ob sie antiparlamentarische, Anti-Parteien-Partei sein wollen, oder in die Parlamente streben. Die zweite war, ob sie Fundamentalopposition seien, oder regieren wollen. Und die dritte ist nun, ob sie das Regieren auch mit der Union bewerkstelligen könnten, und das ist eine Entscheidung, die an die Identität der Grünen rührt. Hier kann keine Parteiführung das der Partei oktroyieren und folglich wird das auch Zeit brauchen.
Kapern: Das die Probleme der beiden potenziellen Koalitionspartner. Welcher von beiden knickt denn als Erster ein?
Patzelt: Das ist schwer vorherzusehen. In der SPD mehren sich Stimmen, insbesondere aus der zweiten Reihe, man möge doch die politische Mandatsmehrheit der Linken im Bundestag nutzen, was aber dem, was die Bevölkerung wünscht und was auch die Mehrheit in den Wählern gewesen ist, vollständig auf den Kopf stellen würde, und die SPD kann eigentlich nur sich in ihre alte Tradition stellen, nämlich den Staat mitzutragen und dafür auch Opfer auf sich zu nehmen. Ob das sich in der Partei durchsetzen wird, das ist derzeit noch nicht abzusehen.
Kapern: Herr Patzelt, warum gilt es eigentlich so sehr als ausgemacht, dass die SPD als Verlierer vom Feld geht, wenn sie sich auf eine Große Koalition einlässt? Wenn wir mal auf die letzte Große Koalition schauen, dann ist ja doch eigentlich offen, ob die SPD so sehr verloren hat, weil sie Teil der Großen Koalition war, oder weil sie es nicht verstanden hat, die Erfolge der Agenda 2010 aus rot-grünen Zeiten für sich zu reklamieren.
Patzelt: Das rührt genau an den Kern des Problems. Die SPD ist ja nicht wirklich stolz auf die Agenda 2010, sondern auch unter dem Druck der Linkspartei hat sie angefangen, die Agenda 2010 als eine Art Sündenfall, als eine Abkehr von einem richtigen linken, auf soziale Gerechtigkeit ausgehenden Kurs aufzufassen. Infolgedessen trägt sie den Erfolg der Agenda 2010 Reformpolitik eben nicht wie eine Monstranz vor sich her; das tut eher die Union, der ja diese Politik vollständig in den politischen Kram hinein passte. Im Übrigen muss man auch sehen, dass es weniger die Kanzlerin Merkel war, welche die SPD nach der letzten Großen Koalition so schlecht hat aussehen lassen; es waren schon eigene Schwierigkeiten. Sie hat etliche Parteivorsitzende verschlissen, sie hat keine gute Figur nach außen abgegeben. Infolgedessen ist es nicht einfach die Große Koalition, welche die SPD fürchten muss, sondern ihre innere Zerrissenheit. Aber an dieser Stelle muss sie einfach mit dem Druck der Linkspartei rechnen, die alles, was linke Politik ist, wesentlich deutlicher und klarer und einladender sagen kann als eine SPD, die mitregiert.
Kapern: Ist die SPD nicht bei Licht betrachtet in der Situation, jetzt der Union einen Wunschzettel diktieren zu können wie ein Kind reicher Eltern vor Weihnachten? Könnte sie nicht angesichts der Nöte der Kanzlerin aus einer schwarz-roten inhaltlich zumindest eine rot-schwarze Regierung machen?
Patzelt: Das ist genau das, was ja auch der Vorsitzende des Seeheimer Kreises empfohlen hat, nämlich den Kauf- oder Brautpreis sehr stark nach oben zu treiben. Deswegen wäre es der Union sehr recht, wenn die Grünen bald auch in Freiersgestalt aufträten, denn dann könnte man beide gegeneinander ausspielen. Andernteils ist unübersehbar, dass die SPD diesmal nicht stimmenmäßig auf ähnlicher Höhe wie die Union dasteht, und sie wird einen solchen Hochpreiskurs in der Öffentlichkeit nicht auf Dauer durchhalten können.
Kapern: Schauen wir noch kurz auf den anderen potenziellen Koalitionspartner: die Grünen. Die stecken tief in einem personellen und in einem inhaltlichen Umbruch. Ist so eine Parteibaustelle überhaupt regierungsfähig?
Patzelt: Die Grünen sind ganz gewiss der unangenehmere Koalitionspartner, und deswegen wünscht sich die Union ja in der Tat auch die SPD als Koalitionspartner. Aber strategisch gesehen wären die Grünen natürlich der bessere Koalitionspartner, denn dann würde die Lagerpolitik in Deutschland einige Zeit lang zu einem Ende kommen, wo immer das rot-grüne Lager gegen das schwarz-gelbe stand und. selbst wenn man den Begriff vermied. immer Lagerwahlkampf betrieben wurde. Die Koalitionsmöglichkeiten vermehrten sich und das bekäme der Funktionsweise unseres parlamentarischen Regierungssystems auf das beste, wie etwa der Blick nach Hessen auch in der Gegenwart zeigt.
Barenberg: Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden, im Gespräch mit meinem Kollegen Peter Kapern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.