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Die Grundlage jeder Freiheit

Das Bundesverfassungsgericht fällte vor 50 Jahren ein bedeutendes Grundsatzurteil, das die Redefreiheit als "Grundlage jeder Freiheit überhaupt" ausdrücklich stärkte. Hintergrund war eine Klage des NS-Regisseurs Veit Harlan gegen einen Boykottaufruf des Journalisten Erich Lüth im Jahr 1950, die Lüth zum Anlass nahm, in Karlsruhe für seine Meinungsfreiheit zu kämpfen. Bis zum Urteil sollte es acht Jahre dauern.

Von Horst Meier |
    Erich Lüth: " Das moralische Ansehen Deutschlands in der Welt darf aber nicht von robusten Geldverdienern erneut ruiniert werden. Denn Harlans Wiederauftreten muss kaum vernarbte Wunden wieder aufreißen und abklingendes Misstrauen zum Schaden des deutschen Wiederaufbaus furchtbar erneuern. "

    Erich Lüth, Pressechef der Freien und Hansestadt Hamburg, rief im Oktober 1950 dazu auf, einen neuen Film des Regisseurs Veit Harlan zu boykottieren. Harlan hatte unter dem Naziregime Karriere gemacht und zeichnete verantwortlich für den Spielfilm "Jud Süß", der 1940 in die Kinos kam und zwanzig Millionen Zuschauer anzog.

    " Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können, "

    notierte Goebbels in seinem Tagebuch.

    Lüth: " Es ist aus allen diesen Gründen nicht nur das Recht anständiger Deutscher, sondern sogar ihre Pflicht, sich im Kampf gegen diesen unwürdigen Repräsentanten des deutschen Films über den Protest hinaus auch zum Boykott bereitzuhalten. "

    Dass Harlan ohne jede Selbstkritik an seine frühere Popularität anknüpfte, reizte den streitbaren Journalisten Lüth:

    " Was die Angriffslust anlangt, so bin ich im Grunde doch wohl mehr schüchtern und ängstlich. Aber ich protestiere manchmal. Und wenn ich protestiere, wird immer dann ein großer Eklat daraus. "

    Harlan verklagte Lüth. Dieser müsse, urteilten die Hamburger Gerichte, seinen "sittenwidrigen" und geschäftsschädigenden Boykottaufruf unterlassen. Zivilrechtlich, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900, ging es um das Recht auf die ungestörte Ausübung von Beruf und Gewerbe. Doch verfassungsrechtlich, nach dem Grundgesetz von 1949, ging es um die Frage, welche Bedeutung die Grundrechte bei der Anwendung des sogenannten einfachen Rechts haben. Also ging Lüth den damals noch ungewöhnlichen Weg nach Karlsruhe. Und fand in Adolf Arndt, dem Kronjuristen der SPD, den richtigen Mann für seine Sache. Doch seine Verfassungsbeschwerde blieb jahrelang liegen: Der Erste Senat war heillos überlastet.

    " Das war die härteste Erfahrung in meinem Leben.

    Ich wurde in allen Instanzen verurteilt. Und dann nach sieben Jahren, nach dem alle Leute mir schon den Rücken gekehrt hatte(n), erhielt ich vor dem Bundesverfassungsgericht ein obsiegendes Urteil. "

    Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in (ihnen) verkörpert sich aber auch eine [...] verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts. [...] Der Zivilrichter kann durch sein Urteil Grundrechte verletzen, wenn er (ihre Ausstrahlung auf das Zivilrecht) verkennt.

    heißt es in den Leitsätzen des Lüth-Urteils:

    Die "allgemeinen Gesetze" (welche die Meinungsfreiheit beschränken können - etwa solche des Zivilrechts) müssen im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts [...] ausgelegt werden. (Ein Boykottaufruf) kann bei Abwägung aller Umstände des Falles [...] gerechtfertigt sein.

    Ein epochales Urteil mit praktisch weitreichenden Folgen. Seitdem muss sich jede richterliche Interpretation des Gesetzes, also jedes Urteil, an den Bürgerrechten messen lassen. Der Meinungsfreiheit gebührt dabei ein besonderer Rang, so die Richter:

    Für eine Demokratie ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung "schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist."

    Und mit Blick auf den Supreme Court der USA setzen die deutschen Verfassungsrichter hinzu:

    (Die Redefreiheit) ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt.

    Erich Lüth, dem ein Stein vom Herzen fiel, begegnete nach der Verkündung des Karlsruher Urteils einem hohen Hamburger Richter:

    " Und der ging nun mit offenen Armen auf mich zu und packte mich an den Schultern und sagte: "Nun wissen wir wenigstens, wie wir in Zukunft uns verhalten sollen in solchen Prozessen!" Und da hab ich zu ihm gesagt: "Also, tut mir leid, aber das hab ich von Anfang an gewusst!" "