Archiv


Die Guten und die Bösen

Vielgelobt wurde André Kubiczeks Debüt Junge Talente , das im vergangenen Jahr erschienen ist. Darin demontierte der 1969 geborene Autor die legendäre Prenzlauer-Berg-Szene aus dem Blickwinkel eines heranwachsenden Provinzlers. Seitdem gilt Kubiczek selbst als junges Talent. Daran wird sich auch nach dem Erscheinen seines zweiten Romans "Die Guten und die Bösen" nichts ändern, in dem Kubiczek ein gesellschaftliches Panorama des Nachwendejahrzehnts entwirft. Diesmal mag es Kubiczek gerne laut und grell und grob gerastert: Gut und böse, schwarz und weiß, West und Ost. Vorsätzlich operiert er mit Klischees und Karrikaturen. Die Namen in seinem Buch sprechen Bände: Ein Afrikawissenschaftler heißt Dr. Roberto Schwarzhaupt, die Redakteurin eines Fernsehmagazin hört auf den Namen Bolemia Hetschel, eine Kochsendung trägt den Titel "Mampf!".

Ralph Gerstenberg |
    Handlungsort ist natürlich wieder Berlin, die Stadt, in der die Guten auf die Bösen treffen wie Ost auf West, die Hauptstadt aller Zwangsvereinigten, die sich ihrer Geschichte entledigt wie eines abgetragenen Mantels.

    Offensichtlich wollte diese Stadt keinen Mythos, kein Epos seines Werdens (...), es genügte dieser Stadt ganz offensichtlich, in der Gegenwart zu vertrotteln, den Mammon als einzigen Götzen.

    Der Zeitgeist triumphiert über die Vergangenheit. Bei Kubiczek heißt das allerdings "Die Zeitgeist" und ist eine trendige Postille, die bekannt ist für ihre Berliner Seiten wie einst die FAZ. Der wöchentliche Fatalismuskolumnist heißt Börries Freiherr von Stammler und streicht am Ende die Segel, um in die "heimliche Hauptstadt" München zu ziehen. Chef der Berliner Seiten ist ein gewisser Zampano Dunkel, den seine Frau Nadine "Zampi" nennt. Die wiederum soll auf Geheiß ihres Gatten ein Buch über ihr angeblich wildes Leben verfassen, um ihr Image ein wenig aufzupolieren.

    "Er meint, ich hätte doch einiges erlebt. Früher im Osten die Diktatur und dann auf den Partys die Freiheit und so. Er meint, dass die Leute das lesen wollen. Weil es authentisch ist. Ihn zum Beispiel würde brennend interessieren, was unsere Generation so denkt und fühlt, was für Wünsche wir haben und Träume, jetzt nach dem Ende der Utopien. Von der 1. Mai- zur Liebesparade, sozusagen, verstehst du?" - "Nein", sagte ich, "das heißt: ja."

    Der da nicht bzw. doch versteht, ist der Frührentner und heimliche Privatdetektiv Raymond Schindler, der das Buch für die Zampanogattin verfassen soll, die zufällig seine Cousine ist - und selbstverständlich viel zu blöd, um so etwas schreiben zu können. Raymond Schindler hingegen trinkt viel Gin und erzählt in der Ich-Form, weil er schon immer Bücher bevorzugte, "in denen der Held den Mut hat, Ich zu sagen, und trotzdem alles weiß." Außerdem verwendet er gerne schiefe Vergleiche, die allerdings auch in anderen Passagen des Buches zu finden sind. Da liegen Tage "wie Ziegelsteine auf dem Gemüt", und Füße werden schwer "wie ein Drama von Robert Musil". Passagen, in denen Detektivstorys, Lebenserinnerungen im Kolonialstil oder popliterarische Seifenblasen parodiert werden, wechseln von Kapitel zu Kapitel in schöner Regelmäßigkeit. Auch in Kubiczeks Berlin ist alles schön aufgeteilt: Die Skins sind in Marzahn, die Yuppies in Mitte, die Medienmiezen in Charlottenburg und der resistente Rest wärmt sich in der Prenzlauer-Berg-Kneipe "Wir-Gefühl". So wird die Stadt zu einer Pappmachékulisse für sein chargierendes Personal. Und wenn eine seiner Figuren durch Berlin-Mitte läuft, liest sich das so:

    Hinterhöfe, in denen schon lange nichts mehr produziert wurde, in deren bis zur Unkenntlichkeit renovierten, entkernten, mit Parkett ausgelegten Etagen sich dennoch eine Industrie angesiedelt hatte, deren einziger Zweck es war, Scheiße zu verkaufen, Scheiße anzupreisen, beschissenen Leuten einzureden, dass ihre hochgetunten Troglodyten-Leben durch unfunktionales Design und geschützte Label und das Internet als Basar all dieser aus den Fingern gesogenen Absonderlichkeiten und vor allem und hauptsächlich durch Distinktionsgewinn jeglicher Art und egal welchen Sinns so etwas wie eine Bedeutung erhalten könnte. Gewiss: alles ein Haufen dämlicher Binsenweisheiten, die man in der Tat besser für sich behielt, wollte man nicht als ideologisches Fossil gelten.

    In der Tat! Doch immer wieder plappern Kubiczeks Figuren binsenweise und schwer systemkritisch daher. Neben dem intellektuellen Zyniker Schwarzhaupt, gibt es den Ex-Stasi-Mann Leit Wolf, der mit seinem Trupp von einem Bunker im Brandenburgischen aus operiert, um das System zu unterminieren, sowie die Hacker, Kiffer und Spaßguerilleros Zigmund Fraud und Zeus. Die Handlanger des Systems sind hingegen entweder perverse Sodomisten wie der Politiker Kuno Neppes oder skrupellose Parvenüs der massenverblödenden Medienmaschinerie wie Bolemia Hetschel. Die Lach- und Spaßgesellschaft ist auf Ihrem Höhepunkt angelangt und Berlin ist ihre unangefochtene Hauptstadt. Hier finden Sexorgien in Großraumdiskotheken statt, hier flanieren die Yuppies in der kaputtsanierten Mitte, und hier wird angeblich die Bombe hochgehen, wenn die Kolonialisierten und Unterdrückten zurückschlagen - mitten auf der Party! Doch soweit ist es noch nicht. In Kubiczeks Roman amüsiert man sich noch zu Tode. Ein Bömbchen explodiert in einem China-Restaurant, und die Schwarzafrikaner in der Stadt scheinen etwas im Schilde zu führen - aber was?

    Kubiczek versucht in postmoderner Manier ein wenig Paranoia zu entfachen und ein entropisches System zu entwerfen - wie einst der amerikanische Autor Thomas Pynchon. Dabei geht er vor wie eine seiner Figuren, die eine Stadtmythologie schreiben will.

    Das Prinzip, das sein Vorbild auf die kalifornische Filmstadt angewandt hatte, wollte er einfach auf Berlin übertragen, eine feine Mischung aus Soziologie, Kulturgeschichte, aus lokaler Politik im Zusammenhang mit der globalen, aus ökonomischen Tatsachen, aus Anekdoten, Gerüchten, Verschwörungstheorien, aus Migrationsstatistiken, Auswertungen von Alterspyramiden, aus Kriminalhistorie und allem, was einem sonst noch in die Finger geriet. Das alles musste nur verrührt werden, man musste es ein Weilchen durchziehen lassen und es anschließend zu einem gut lesbaren, solid erzählten Text ausrollen, in kurze Kapitel eingeteilt, die von knackigen Überschriften angeführt wurden.

    Leider ist der Text alles andere als gut lesbar, weil Kubiczek darauf verzichtet, eine tragfähige Geschichte spannungsvoll oder - dem Grundgestus entsprechend - aberwitzig voran zu treiben. Dafür versucht er stets, Proben stilistischer Virtuosität zum besten zu geben, die nicht selten zu Stilblüten werden. Da wird "die Konzentration jäh vom Kreischen der Hochbahn-Bremse zerschmettert", "Kommissar Zufall" führt Regie und Seminare werden "abgerissen". So produziert Kubiczek in seinem zweiten Roman eine Menge heißer Luft. "Die Guten und die Bösen" wirkt wie eine Provokation, die niemals wirklich provoziert, wie die Parodie einer Parodie, wie eine Groteske, in der es niemals wirklich grotesk zugeht. Was bleibt, ist ein grellbuntes Panoptikum der Banalitäten.