Tobias Armbrüster: Fünf Tote, 15 Menschen werden noch vermisst, das ist die bisherige Bilanz der Schiffskatastrophe vor der Küste der Toskana. In der Nacht von Freitag auf Samstag ist dort vor der Insel Giglio die "Costa Concordia" auf Grund gelaufen. Es ist eines der neuesten und größten Kreuzfahrtschiffe der Welt. Das Schiff liegt seit dem Unglück zur Seite geneigt im Wasser vor der Insel.
Am Telefon ist jetzt der Schifffahrtsexperte und Fachjournalist Frank Behling. Er schreibt unter anderem für das Schiffsreisenmagazin "anbord". Schönen guten Morgen, Herr Behling.
Frank Behling: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Behling, eines der modernsten Kreuzfahrtschiffe rammt einen Felsen und läuft auf Grund. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie das passieren konnte?
Behling: Zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässliche Erklärung. Aber es wurde ja in dem Bericht schon angesprochen, die häufigste Ursache sind in der Tat menschliche Fehler. Das belegen auch die Untersuchungen der deutschen Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen. Es deutet aufgrund der bisher vorliegenden Aussagen einiges darauf hin, dass im Bereich eine Stunde vor dem Unglück doch an Bord Fehler gemacht wurden, die zu diesem tragischen Ende führten.
Armbrüster: Aber hat so ein riesiges Schiff, ein Schiff, das wahrscheinlich einen dreistelligen Millionenbetrag kostet, nicht ein Navigationssystem, das einem irgendwann ganz unmissverständlich sagt, Leute, wenn ihr so weiterfahrt, wenn ihr diesen Kurs haltet, dann lauft ihr gleich auf Grund?
Behling: Das ist in der Tat so. Diese Schiffe, gerade auch diese Costa Concordia, sind modern ausgestattet, haben auf der Brücke das modernste Equipment, das man für Schiffe kriegen kann, weil da sparen die Reedereien ja in der Regel nicht. Nur am Ende steht da oben trotzdem ein Mensch, der diese Dinge, diese Geräte bedient, die Kurse eingibt, der auch festlegt am Ende, wie der Kurs ist. Sicherlich, er kann die Warnung ignorieren, aber wenn er trotzdem am Ende an einem Kurs festhält, der einen tragischen Ausgang nimmt, ist es immer noch der Mensch, der dort die Entscheidung trifft.
Armbrüster: Der Kapitän ist ja hier offenbar extrem nahe an der Insel Giglio vorbeigefahren. Was können Sie sich denken, was war der Grund dafür, dass er sozusagen auf Sichtweite zur Insel gefahren ist?
Behling: Ja, das ist in der Tat eine gute Frage, weil die Meerenge dort ist ja fast zwölf Kilometer breit und nach dem, was jetzt an Daten vorliegt, ist er ja wahrscheinlich bis auf unter eine Meile an die sehr felsige und vulkanische Insel herangefahren. Ich kann mir das nur so erklären, aus der Erfahrung heraus, dass natürlich den Passagieren an Bord, aber eben auch den Bewohnern an Land gerne mal etwas geboten werden soll. Das heißt, man fährt schon auch zum gesehen werden dort heran, und ich kann mir gut vorstellen – das ist aber wieder eine Vermutung -, dass dabei ein Fehler passiert ist.
Armbrüster: Stehen Kapitäne und Mannschaften bei solchen Kreuzfahrten unter einem gewissen Erwartungsdruck der Passagiere?
Behling: Mit Sicherheit. Auch bei Seegang, oder auch bei der Fahrt durch gewisse Reviere ist natürlich der wirtschaftliche Aspekt nicht zu vergessen. Aber ein Druck? Kapitäne sind in der Regel von diesem Druck sehr befreit, die sind in der eigenen Entscheidung sehr frei, weil am Ende, egal was passiert, werden die ja zur Verantwortung gezogen. Deswegen glaube ich nicht unbedingt, dass jetzt ein Druck von außen auf den Kapitän oder auf den Offizier, der dort Wache hatte oder Dienst hatte, ausgeübt wurde. Ich glaube aber schon, dass eine gewisse Motivation da war, den Menschen sowohl an Land, die ja auch irgendwann morgen mal Costa-Kunden sein sollen, aber auch den Passagieren, die jetzt an Deck standen, einfach mal etwas Besonderes zu zeigen, aber nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern dann mehr aus dem guten Willen heraus.
Armbrüster: Wir lesen allerdings auch tatsächlich von großen Fehlern der Mannschaft und in den Fernsehnachrichten sieht man auch diese Amateuraufnahmen von Bildern. Da herrschte dann Chaos an Bord, als das Schiff auf einmal in Schräglage geriet, und viele Passagiere haben gesagt, das hat alles sehr lange gedauert, bis wir da in Sicherheit gebracht wurden. Das verleitet einen zu der Frage, ob die Ausbildung für solche Notfälle für solche Schiffsmannschaften überhaupt noch zeitgemäß ist.
Behling: Die Ausbildung ist in der Tat ein Problem bei den Reedereien. Das liegt aber daran, dass sehr viele sehr neue Schiffe in den Markt kommen, die natürlich besetzt werden müssen. Man hat aber auch eine große Anzahl an unterschiedlichen Nationalitäten dort, die sicherlich auch in bestimmten Notlagen unterschiedlich reagieren. Wir haben hier einen Fall, den hat es bisher in der Passagierschifffahrt so noch nicht gegeben, dass ein Schiff dieser Größe mit so vielen Menschen an Bord in eine so schnell und dramatische Lage geraten ist. Deswegen ist natürlich dort ein Grenzbereich überschritten worden, wo der Faktor Glück irgendwo eine Rolle spielt, wo es natürlich aber auch dann sehr schnell dazu kommt, dass Schwächen eben aufgedeckt werden.
Armbrüster: Aber man sollte doch eigentlich erwarten, dass eine Schiffsmannschaft lernt, wie man Passagiere schnell in die Beiboote bringt.
Behling: Genau. Das wird auch in der Regel gemacht. Auch bei Costa gibt es wöchentliche Übungen, wöchentliche Drills. Aber es ist natürlich das Problem erst mal: Es sind viele unterschiedliche Nationen, sowohl bei den Passagieren als auch bei den Menschen in der Besatzung dabei. Ich glaube, 40 verschiedene Nationen sind bei der Besatzung, die natürlich auch vom Temperament ganz unterschiedlich sind. Wenn sie ein Schiff haben mit skandinavischer Besatzung, oder auch mit deutscher Besatzung, die sind natürlich anders im Zusammenhang, auch anders geschult. Deswegen ist das natürlich eine sehr herausfordernde Aufgabe, diese Besatzungen dann so zu schulen, dass auch in extremsten Situationen keine Unruhe oder keine falschen Befehle entstehen. Aber auch hier ist letztendlich die Schiffsführung diejenige, die dafür verantwortlich ist, dass der Drill und auch dass die Übung der Besatzung auf dem bestmöglichen Stand ist.
Armbrüster: Der Kapitän, wir haben das gehört, sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Ihm wird unter anderem auch vorgeworfen, dass er sich als einer der ersten in Sicherheit gebracht haben soll. Was sagen da genau die Vorschriften? Muss der Kapitän tatsächlich immer als letzter von Bord?
Behling: Er ist auf jeden Fall verantwortlich. Ob er als letzter muss? Es gibt da keine Vorschrift, dass er als letzter das Schiff verlassen muss. Es gibt ja auch Fälle wie hier jetzt auch, wo ein sehr großes Durcheinander entsteht. Ich unterstelle ihm einfach mal, dass er das mit Sicherheit nicht bewusst gemacht hat, sondern dass ihm wahrscheinlich irgendjemand aus seinem Bereich gesagt hat, das Schiff ist evakuiert. Das muss man nachher noch mal auswerten, wie da die Befehls- und die Informationsabläufe auf dem Schiff waren. Ich glaube nicht, auch die italienischen Kapitäne haben mit Sicherheit ein ähnliches Interesse, wie es Kapitäne in England oder in Deutschland haben, aber es ist eben das Problem eines sehr großen Schiffes und ich nehme einfach mal für ihn an, dass er zu dem Zeitpunkt des von Bord Gehens einfach auch nicht mehr wusste, was letztendlich im ganzen Schiff los ist. Wenn ihm da jemand meldet, wir sind alle von Bord, dann wird er wahrscheinlich auch gesagt haben, okay, dann nehme ich jetzt mein Schiffstagebuch und gehe auch herunter.
Armbrüster: Wenn wir uns jetzt dieses Schiff, das da auf der Seite liegt, mal ansehen, wie riskant ist das, auf so einem Schiff noch zu arbeiten und dort nach Überlebenden zu suchen?
Behling: Das ist mit Sicherheit sehr riskant, weil das Schiff liegt an einer sehr steil abfallenden Küste dort. Es ist ja eine Vulkaninsel und es gibt ähnliche Fälle wie in Santorin, wie ein Kreuzfahrtschiff auch an der Küste gesunken ist und dann relativ schnell an diesem Steilhang der Küste auf große Tiefe abgerutscht ist. Das droht hier diesem Schiff gerade vor dem Hintergrund, dass es so groß ist, auch, wenn sich jetzt die Gewichte verteilen. Wenn zum Beispiel Öl ausläuft, entstehen ja auch Hohlräume und es verschieben sich Gewichte. Dann kann so ein Schiff auch durchaus plötzlich abrutschen und komplett versinken.
Armbrüster: Können da denn tatsächlich auch unter Wasser noch Kabinen sein, in denen es noch Luft gibt, in denen noch Menschen atmen können und überleben können?
Behling: Theoretisch mit Sicherheit, weil so ein Schiff ist ja wie eine riesige Wabe, wo es unheimlich viele Räume gibt, unheimlich viele Abteilungen, die letztendlich natürlich alle aus Stahl sind und wenig Durchlässe haben, das heißt wo sich Luftblasen immer noch bilden können. Die theoretische Chance ist bei Schiffen, sehr lange zu überleben, wenn man einen Hohlraum findet, schon gegeben. Das ist wie im Bergbau. Wenn man da eine sichere Atmosphäre erreichen kann, dann kann man da auch Tage, wenn nicht sogar Wochen überleben.
Armbrüster: Das Schiff liegt jetzt im Wasser auf der Seite, hat ein großes Loch, nachdem es diesen Felsen gerammt hat. Ist dieses Kreuzfahrtschiff jetzt schrottreif, oder kann man das noch mal reparieren?
Behling: Das ist in der Tat eine gute Frage. Der Wert ist ja ungefähr bei 560 Millionen US-Dollar, das Schiff ist sechs Jahre alt. Ich sage mal, da müssen jetzt die holländischen Bergungsexperten einen Weg finden, wie sie dieses Schiff so aufrichten, dass man es in eine Werft bringen kann. Der Schaden ist aber mit Sicherheit der größte, den die Kreuzfahrtindustrie bisher zu beklagen hatte oder erlebt hat. Technisch möglich ist das natürlich. Es ist natürlich eine Frage, wie die Versicherung sich verhält und wie der wahre Zustand des Schiffes ist.
Armbrüster: Live hier bei uns an diesem Montagmorgen im Deutschlandfunk war das der Schifffahrtsexperte Frank Behling. Besten Dank, Herr Behling, für Ihre Einschätzungen.
Behling: Ja, bitte schön. Schönen Tag noch.
Armbrüster: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist jetzt der Schifffahrtsexperte und Fachjournalist Frank Behling. Er schreibt unter anderem für das Schiffsreisenmagazin "anbord". Schönen guten Morgen, Herr Behling.
Frank Behling: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Behling, eines der modernsten Kreuzfahrtschiffe rammt einen Felsen und läuft auf Grund. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie das passieren konnte?
Behling: Zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässliche Erklärung. Aber es wurde ja in dem Bericht schon angesprochen, die häufigste Ursache sind in der Tat menschliche Fehler. Das belegen auch die Untersuchungen der deutschen Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen. Es deutet aufgrund der bisher vorliegenden Aussagen einiges darauf hin, dass im Bereich eine Stunde vor dem Unglück doch an Bord Fehler gemacht wurden, die zu diesem tragischen Ende führten.
Armbrüster: Aber hat so ein riesiges Schiff, ein Schiff, das wahrscheinlich einen dreistelligen Millionenbetrag kostet, nicht ein Navigationssystem, das einem irgendwann ganz unmissverständlich sagt, Leute, wenn ihr so weiterfahrt, wenn ihr diesen Kurs haltet, dann lauft ihr gleich auf Grund?
Behling: Das ist in der Tat so. Diese Schiffe, gerade auch diese Costa Concordia, sind modern ausgestattet, haben auf der Brücke das modernste Equipment, das man für Schiffe kriegen kann, weil da sparen die Reedereien ja in der Regel nicht. Nur am Ende steht da oben trotzdem ein Mensch, der diese Dinge, diese Geräte bedient, die Kurse eingibt, der auch festlegt am Ende, wie der Kurs ist. Sicherlich, er kann die Warnung ignorieren, aber wenn er trotzdem am Ende an einem Kurs festhält, der einen tragischen Ausgang nimmt, ist es immer noch der Mensch, der dort die Entscheidung trifft.
Armbrüster: Der Kapitän ist ja hier offenbar extrem nahe an der Insel Giglio vorbeigefahren. Was können Sie sich denken, was war der Grund dafür, dass er sozusagen auf Sichtweite zur Insel gefahren ist?
Behling: Ja, das ist in der Tat eine gute Frage, weil die Meerenge dort ist ja fast zwölf Kilometer breit und nach dem, was jetzt an Daten vorliegt, ist er ja wahrscheinlich bis auf unter eine Meile an die sehr felsige und vulkanische Insel herangefahren. Ich kann mir das nur so erklären, aus der Erfahrung heraus, dass natürlich den Passagieren an Bord, aber eben auch den Bewohnern an Land gerne mal etwas geboten werden soll. Das heißt, man fährt schon auch zum gesehen werden dort heran, und ich kann mir gut vorstellen – das ist aber wieder eine Vermutung -, dass dabei ein Fehler passiert ist.
Armbrüster: Stehen Kapitäne und Mannschaften bei solchen Kreuzfahrten unter einem gewissen Erwartungsdruck der Passagiere?
Behling: Mit Sicherheit. Auch bei Seegang, oder auch bei der Fahrt durch gewisse Reviere ist natürlich der wirtschaftliche Aspekt nicht zu vergessen. Aber ein Druck? Kapitäne sind in der Regel von diesem Druck sehr befreit, die sind in der eigenen Entscheidung sehr frei, weil am Ende, egal was passiert, werden die ja zur Verantwortung gezogen. Deswegen glaube ich nicht unbedingt, dass jetzt ein Druck von außen auf den Kapitän oder auf den Offizier, der dort Wache hatte oder Dienst hatte, ausgeübt wurde. Ich glaube aber schon, dass eine gewisse Motivation da war, den Menschen sowohl an Land, die ja auch irgendwann morgen mal Costa-Kunden sein sollen, aber auch den Passagieren, die jetzt an Deck standen, einfach mal etwas Besonderes zu zeigen, aber nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern dann mehr aus dem guten Willen heraus.
Armbrüster: Wir lesen allerdings auch tatsächlich von großen Fehlern der Mannschaft und in den Fernsehnachrichten sieht man auch diese Amateuraufnahmen von Bildern. Da herrschte dann Chaos an Bord, als das Schiff auf einmal in Schräglage geriet, und viele Passagiere haben gesagt, das hat alles sehr lange gedauert, bis wir da in Sicherheit gebracht wurden. Das verleitet einen zu der Frage, ob die Ausbildung für solche Notfälle für solche Schiffsmannschaften überhaupt noch zeitgemäß ist.
Behling: Die Ausbildung ist in der Tat ein Problem bei den Reedereien. Das liegt aber daran, dass sehr viele sehr neue Schiffe in den Markt kommen, die natürlich besetzt werden müssen. Man hat aber auch eine große Anzahl an unterschiedlichen Nationalitäten dort, die sicherlich auch in bestimmten Notlagen unterschiedlich reagieren. Wir haben hier einen Fall, den hat es bisher in der Passagierschifffahrt so noch nicht gegeben, dass ein Schiff dieser Größe mit so vielen Menschen an Bord in eine so schnell und dramatische Lage geraten ist. Deswegen ist natürlich dort ein Grenzbereich überschritten worden, wo der Faktor Glück irgendwo eine Rolle spielt, wo es natürlich aber auch dann sehr schnell dazu kommt, dass Schwächen eben aufgedeckt werden.
Armbrüster: Aber man sollte doch eigentlich erwarten, dass eine Schiffsmannschaft lernt, wie man Passagiere schnell in die Beiboote bringt.
Behling: Genau. Das wird auch in der Regel gemacht. Auch bei Costa gibt es wöchentliche Übungen, wöchentliche Drills. Aber es ist natürlich das Problem erst mal: Es sind viele unterschiedliche Nationen, sowohl bei den Passagieren als auch bei den Menschen in der Besatzung dabei. Ich glaube, 40 verschiedene Nationen sind bei der Besatzung, die natürlich auch vom Temperament ganz unterschiedlich sind. Wenn sie ein Schiff haben mit skandinavischer Besatzung, oder auch mit deutscher Besatzung, die sind natürlich anders im Zusammenhang, auch anders geschult. Deswegen ist das natürlich eine sehr herausfordernde Aufgabe, diese Besatzungen dann so zu schulen, dass auch in extremsten Situationen keine Unruhe oder keine falschen Befehle entstehen. Aber auch hier ist letztendlich die Schiffsführung diejenige, die dafür verantwortlich ist, dass der Drill und auch dass die Übung der Besatzung auf dem bestmöglichen Stand ist.
Armbrüster: Der Kapitän, wir haben das gehört, sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Ihm wird unter anderem auch vorgeworfen, dass er sich als einer der ersten in Sicherheit gebracht haben soll. Was sagen da genau die Vorschriften? Muss der Kapitän tatsächlich immer als letzter von Bord?
Behling: Er ist auf jeden Fall verantwortlich. Ob er als letzter muss? Es gibt da keine Vorschrift, dass er als letzter das Schiff verlassen muss. Es gibt ja auch Fälle wie hier jetzt auch, wo ein sehr großes Durcheinander entsteht. Ich unterstelle ihm einfach mal, dass er das mit Sicherheit nicht bewusst gemacht hat, sondern dass ihm wahrscheinlich irgendjemand aus seinem Bereich gesagt hat, das Schiff ist evakuiert. Das muss man nachher noch mal auswerten, wie da die Befehls- und die Informationsabläufe auf dem Schiff waren. Ich glaube nicht, auch die italienischen Kapitäne haben mit Sicherheit ein ähnliches Interesse, wie es Kapitäne in England oder in Deutschland haben, aber es ist eben das Problem eines sehr großen Schiffes und ich nehme einfach mal für ihn an, dass er zu dem Zeitpunkt des von Bord Gehens einfach auch nicht mehr wusste, was letztendlich im ganzen Schiff los ist. Wenn ihm da jemand meldet, wir sind alle von Bord, dann wird er wahrscheinlich auch gesagt haben, okay, dann nehme ich jetzt mein Schiffstagebuch und gehe auch herunter.
Armbrüster: Wenn wir uns jetzt dieses Schiff, das da auf der Seite liegt, mal ansehen, wie riskant ist das, auf so einem Schiff noch zu arbeiten und dort nach Überlebenden zu suchen?
Behling: Das ist mit Sicherheit sehr riskant, weil das Schiff liegt an einer sehr steil abfallenden Küste dort. Es ist ja eine Vulkaninsel und es gibt ähnliche Fälle wie in Santorin, wie ein Kreuzfahrtschiff auch an der Küste gesunken ist und dann relativ schnell an diesem Steilhang der Küste auf große Tiefe abgerutscht ist. Das droht hier diesem Schiff gerade vor dem Hintergrund, dass es so groß ist, auch, wenn sich jetzt die Gewichte verteilen. Wenn zum Beispiel Öl ausläuft, entstehen ja auch Hohlräume und es verschieben sich Gewichte. Dann kann so ein Schiff auch durchaus plötzlich abrutschen und komplett versinken.
Armbrüster: Können da denn tatsächlich auch unter Wasser noch Kabinen sein, in denen es noch Luft gibt, in denen noch Menschen atmen können und überleben können?
Behling: Theoretisch mit Sicherheit, weil so ein Schiff ist ja wie eine riesige Wabe, wo es unheimlich viele Räume gibt, unheimlich viele Abteilungen, die letztendlich natürlich alle aus Stahl sind und wenig Durchlässe haben, das heißt wo sich Luftblasen immer noch bilden können. Die theoretische Chance ist bei Schiffen, sehr lange zu überleben, wenn man einen Hohlraum findet, schon gegeben. Das ist wie im Bergbau. Wenn man da eine sichere Atmosphäre erreichen kann, dann kann man da auch Tage, wenn nicht sogar Wochen überleben.
Armbrüster: Das Schiff liegt jetzt im Wasser auf der Seite, hat ein großes Loch, nachdem es diesen Felsen gerammt hat. Ist dieses Kreuzfahrtschiff jetzt schrottreif, oder kann man das noch mal reparieren?
Behling: Das ist in der Tat eine gute Frage. Der Wert ist ja ungefähr bei 560 Millionen US-Dollar, das Schiff ist sechs Jahre alt. Ich sage mal, da müssen jetzt die holländischen Bergungsexperten einen Weg finden, wie sie dieses Schiff so aufrichten, dass man es in eine Werft bringen kann. Der Schaden ist aber mit Sicherheit der größte, den die Kreuzfahrtindustrie bisher zu beklagen hatte oder erlebt hat. Technisch möglich ist das natürlich. Es ist natürlich eine Frage, wie die Versicherung sich verhält und wie der wahre Zustand des Schiffes ist.
Armbrüster: Live hier bei uns an diesem Montagmorgen im Deutschlandfunk war das der Schifffahrtsexperte Frank Behling. Besten Dank, Herr Behling, für Ihre Einschätzungen.
Behling: Ja, bitte schön. Schönen Tag noch.
Armbrüster: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.