Musik: "Komm zurück"
"Loving this from England, even with no clue, what they‘re saying"
"German music is so cool"
"This makes me want to learn German, and the singer‘s hot too"
Ein kleiner Ausschnitt aus den Kommentaren unter dem ersten Video der Band Fotos zum Song "Komm zurück" aus dem Jahr 2006. Die vier jungen Männer spielen in pixeligen schwarz-weiß-Bildern vor einer Mauer, in einem Park, laufen über ein Dach, hängen am Klettergerüst und rauchen cool vor "Rauchen verboten"-Schildern. Mit seinen zerhackten Postpunk-Riffs und dem catchy Refrain setzen Fotos ein klares Signal, wo es musikalisch langgeht: New-Wave beeinflusster Indierock, wie ihn damals auch Franz Ferdinand oder Kaiser Chiefs spielen. 15 Jahre später sind nicht nur die Videos psychedelischer, auch der Sound ist viel weniger durchsichtig, vom Indieboy-Gitarrenrock ist nicht mehr viel übrig geblieben. Auf ihrem sehr überzeugenden, neuen Album "Auf zur Illumination!" schwelgen Fotos jetzt in Bandhall und analogem Synthierauschen.
Musik: "Rauschen"
"Fotos steht synonym für Erinnerung und dafür, flüchtige Momente für die Ewigkeit einzufrieren und vermeintlich Vergängliches festzuhalten." - so lautet die Erklärung für den geradezu suchmaschinenfeindlichen Bandnamen. Dabei wollten Gitarrist Deniz Erarslan, Bassist Friedrich Weiss, Drummer Benedikt Schnermann und Sänger Tom Hessler zu Anfang eigentlich hoch hinaus.
Musik der 80er-Jahre
"Als wir in der Anfangsphase waren, habe ich durchaus damit geflirtet, ein kommerziell erfolgreicher Musiker zu werden. Habe dann aber relativ früh gemerkt, dass ich die Dinge, die man dafür liefern müsste, nicht liefern kann."
Musik: "Giganten"
Kennengelernt haben sich Fotos im Rahmen des Popkurses der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, aus dem auch Bands wie Wir sind Helden oder Boy hervorgegangen sind. Mit dem Musikmachen begonnen hat der heute 36-jährige Hessler schon in seiner Jugend in Bayern.
"Ich hatte ja schon einige Bands bevor ich mit den Fotos losgelegt habe. Bin dann aber aus meine bayerischen Heimat Augsburg abgehauen und habe all diese Bands hinter mir gelassen. Ich bin dann nach Hamburg und dann ging das alles wahnsinnig schnell. Ich habe innerhalb von wenigen Monaten das erste Fotos-Album geschrieben, das war als hätte sich das angestaut. In den Jahren davor habe ich sehr viel Musik der 80er-Jahre gehört, wie Joy Division und Orange Juice, die Stranglers, New Order - es gab einige Entdeckungen, die mich komplett umgehauen haben. Innerhalb von kürzester Zeit hat mich das dazu inspiriert, diese Platte rauszuhauen, die eben auch so nach New Wave klingt."
Musik: "Du löst dich auf"
Fotos' selbstbetiteltes Debütalbum packt jugendlichen Frust in pfeilschnelle Gitarrenriffs und trockene Trommelbeats. Das Album erscheint bei Labels, einem Subunternehmen des Plattengiganten EMI und stößt weitgehend auf positives Echo. Für einen Moment sieht es so aus, als seien Fotos die deutsche Antwort auf Interpol oder Maximo Park.
"Als es dann dazu kam, dass die Spex was geschrieben hat und gleichzeitig MTV das Video in die Rotation genommen hat: Solche Dinge, die damals ja noch eine große Rolle gespielt haben. Heute gibt es keinen..oder es gibt keine Spex mehr, damals war das ein Riesendeal. Für mich, der in den 90ern groß geworden ist, ich dachte dann: ok vielleicht passiert jetzt doch dieses Momentum, dass man sich erträumt, wenn man Jugendlicher ist. Das man von Bands kennt, die man verehrt und so weiter."
Doch das Momentum passiert nicht ganz. Die für den Mainstream-Durchbruch immer noch so wichtigen Radiohits bleiben aus. Trotz des großartigen Gespürs für Melodien in den Fotos-Songs.
Aufarbeitung einer Erfahrung
"Dann kam so'n bisschen das Erwachen, dann wurde unser Label eingestampft vom Mutterkonzern und es gab einige Umwälzungen in der Musikindustrie. Ich habe mich ein bisschen mittragen lassen von dieser Aufregung und war dann wie verkatert."
Der Titelsong des zweiten Albums "Nach dem Goldrausch" wirkt wie eine Aufarbeitung dieser Erfahrung.
Musik: "Nach dem Goldrausch"
Musik: "Porzellan"
Das war der Titelsong "Porzellan" vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 2010: Sie hören den Deutschlandfunk "Rock et cetera" mit einem Porträt der Hamburger Band Fotos. Jedes ihrer Alben schlägt in eine andere Richtung aus. Die Soul- und Funkeinflüsse der zweiten Platte werden auf "Porzellan" von düster-noisigem Shoegaze abgelöst. Vielleicht auch eine Reaktion auf die ernüchternde Erfahrung bei Stefan Raabs "Bundesvision Song Contest", bei dem sie 2009 den vorletzten Platz belegten. Dennoch spielen Fotos auf Einladung des Goethe-Instituts auch Konzerte in China, Indonesien oder Usbekistan. Für eine deutsche Band nicht selbstverständlich und eine Erfahrung, die Tom Hessler nicht missen möchte.
Zu Fuß über Grenzen
"Es gibt sehr viele Ankedoten aus dieser Zeit, von all diesen Reisen. Es gab Krankheiten, lebensbedrohliche Vergiftungen. Wir haben in Jakarta gelernt, auf Gamelan-Instrumenten zu spielen. Ich erinnere mich, dass wir auf den Molukken waren, den Gewürzinseln, auf Ambon, dem entlegensten Ort, an dem wir jemals waren. Am absurdesten wurde es vielleicht, als wir zwischen Usbekistan und Tadschikistan die Grenze zu Fuß mit unseren Instrumenten überqueren mussten. Auf der einen Seite ein 16-jähriger Miliz mit einer Maschinenpistole und auf der anderen Seite das selbe Bild nur eine andere Uniform. Während ein Eselkarren vor uns herfuhr mit unserem Gepäck."
Musik: "Feuer"
Nach "Porzellan" ist erstmal einige Jahre Funkstille bis 2017 die Platte "Kids" erscheint: ein eklektischer, opulent ausgestatteter Ritt durch die unterschiedlichsten Genres: von drohnigem Noise über ätherisch schwebende Klangteppiche bis zu clubbigem Synthiepop hat die Band alle Register gezogen.
"Es gibt viele Platten aus den 70er-Jahren, die ich total schätze, frühe Psychedelic-Platten, Meilensteine von Pink Floyd, wo man nicht wirklich dechriffieren kann ist das eine Gitarre oder ist das ein Synthesizer. Es ist eben ganz klar ein Klangkosmos, der so ambientmäßig funktioniert. Und das war uns wichtig, dass alles mal zuzulassen. Ist das vielleicht auch ein Soundtrack, der einen da beeinflusst hat, vielleicht sogar von einem Science Fiction-Film und nicht einfach nur immer im selben Indierock-Kosmos der 2000er weiterzubaden. Ich glaube, dass es extrem befreiend war, das zu tun."
Musik: "Alles offen"
Musik: "Melodie des Todes"
Die Beschränkungen durch die Pandemie haben den mittlerweile in Berlin-Neukölln lebenden Tom Hessler nicht besonders gestört. Die ungewohnte Ruhe und das viele Alleinsein waren für ihn sogar inspirierend. In seinem Heimstudio hatte er auf einmal Zeit, mit seinen Instrumenten zu experimentieren. Dabei herausgekommen ist das psychedelisch-krautige fünfte Album "Auf zur Illumination!".
"Dieses Mal habe ich versucht, mir nicht Gedanken zu machen, was kann ich mit den Instrumenten, die ich hier benutze erreichen, um zu klingen wie. Dieses Mal war es eher so: ich hatte ein kleines Instrumentarium gesammelt, nämlich mein Modularsystem, mein Bandecho und meine Orgel. Und habe geguckt, welche Klänge kommen da raus, ohne viel Aufwand sozusagen. Ohne komplexe Arbeitsprozesse und habe diese ganzen rauen und rudimentären Dinge, die diese drei Geräte verursachen, einfach gelassen wie sie sind."
Kassettenrekorder frisst Kassette
Das Ergebnis sind Arrangements aus sich langsam entwickelnden Klangteppichen mit viel Hall, Loops, Krautrock-Motorik und dröhnenden Synthies. Hier und da fliegt mal eine nölige Gitarre durch den kosmischen Songraum und der Gesang scheint schon in die nächste Dimension davonzuschweben. Songstrukturen werden größtenteils über Bord geworfen, "Auf zur Illumination!" ist Richtung Entgrenzung unterwegs.
Musik: "Meise"
Musik: "Auf zur Illumination"
Tom Hessler hat die neuen Songs auch produziert, und zusammen mit Mischer Olaf Opal verpasst er ihnen einen Klang, als würden sie auf einer Torfscholle im nebligen Moor spielen. Es rauscht, wabert und knarzt, man weiß nicht so genau, ob nicht jeden Moment der Kassettenrekorder die Kassette frisst. Im Stück "Das Verlangen" fehlen die Höhen, was dem Song emotionalen Tiefgang verleiht und das passt zu Hesslers Texten, die eine Reise durch sein Unterbewusstsein sind.
"Für mich ist es einfacher, mit einer Form von Écriture automatique anzufangen. Am besten früh morgens aufzustehen und wirklich bevor ich überhaupt mit jemandem kommuniziere und schon gar nicht, nachdem ich schon im Internet war oder in irgendeiner Form Nachrichten oder anderer Mediakonsumation teilgenommen habe, direkt anzufangen mit dem Schreiben. Und zu versuchen, noch diese Verbindung, die man zur Traumwelt hat, aufrechtzuerhalten und die Bilder oder die Assoziationen, die da aufpoppen, zu Papier zu bringen.
Und da ist einiges aufgepoppt: von William Blake und den Türen der Wahrnehmung bis zu "synaptischem Sirup", den Hessler im Song "Nachschattenglühen" "genüsslich schlürft". Das darf man ruhig mit einem Augenzwinkern verstehen. Denn Humor ist, bei aller psychoanalytischer Gravitas, auch ein wichtiger Bestandteil des neuen Fotos-Albums. Oder - um einen Youtube-User zu zitieren: German music is so cool.
Musik: "Das Verlangen"