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"Die Hardcore-Revolutionslieder sind alle verschwunden"

In China läuft eine Kampagne für mehr traditionelles linkes Liedgut in Radio und Fernsehen. Der chinesische Publizist Shi Ming erklärt, selbst in der kommunistischen Partei seien kritische Töne laut geworden. Nun sei die Liste der "36 roten Liedern" überarbeitet worden.

Shi Ming im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: "Vorsitzender Mao und die kommunistische Partei haben uns alle herangezogen, so ging auf der Steppe eine Sonne auf, die niemals untergeht." Komisch, so was hat doch früher ganz anders geklungen, als große Chöre noch "Der Osten ist rot" und solche Sachen schmetterten. Und die passen immer noch zu dem ideologischen Hochmut, mit dem heute die politische Führung Chinas ihre Kritiker verfolgt. Nach wie vor keine Nachricht vom verhafteten Ai Weiwei, der Schriftsteller Liao Yiwu hat gerade Reiseverbot bekommen, das sind die Nachrichten, die uns derzeit immerzu erreichen. Und dann diese: Es gibt nun eine Kampagne der kommunistischen Partei für traditionelles linkes Liedgut. - Die Frage an meinen Kollegen Shi Ming: Was steckt denn nun dahinter?

    Shi Ming: Es versteckt sich erst mal dahinter, die Nostalgie der Revolutionsgeneration wiederzubeleben. Es werden überall Revolutionslieder wie die Internationale, chinesische Nationalhymne, Lobeslieder auf den Vorsitzenden Mao Zedong verordnet. Am vordergründigsten ist die Stadt Chongqing dafür sehr bekannt. Seit zwei Jahren dort nämlich singen zu Zehntausenden die Parteimitglieder der kommunistischen Partei in Stadien, auf öffentlichen Plätzen solche Lieder. Das nennt sich dann auch "Die Bewegung der roten Lieder". Das Besondere dabei ist nämlich, nun sollte diese Rote-Lieder-Kultur landesweit wieder praktiziert werden. Chinesische Fernseh- und Radiostationen haben schon Anweisungen bekommen, Sendeplätze für solche roten Lieder zu reservieren. Arbeitseinheiten sollten ihre Untergebenen dafür animieren, diese roten Lieder unbedingt zu lernen. Es sieht sehr danach aus, nach einer massenkulturellen Mobilmachung.

    Novy: Also eine regelrechte Kampagne, die von der Stadt Chongqing ausgeht. Wie verträgt sich das denn mit der längst etablierten Massenkultur in China, die die Jugend doch eher anspricht? Wollen die das alle mitmachen?

    Shi Ming: Die roten Lieder, die ursprünglich fast alle in Marschmusik komponiert sind, werden jetzt so ein bisschen aufgelockert. Trotzdem gibt es im chinesischen Internet spöttische Kommentare, zum Beispiel aus Süd-China, dass die Leute sagen, Bo Xilai, das ist der Parteichef von Chongqing, der diese rote Kultur initiiert hatte, sollte bitte schön das Volk dort beglücken, aber nicht bei uns. Diese Zeilen zeigen zumindest eine vorsichtige Zurückhaltung der jungen Generation, die im Internet besonders stark ist.

    Novy: Nun gibt es doch die Partei als zentrale Führungsinstanz, die wirklich alles im Griff hat und ein riesiges Millionen-, Milliardenvolk führen und steuern kann, eigentlich längst nicht mehr. Es gibt doch auch viel Uneinigkeit innerhalb der kommunistischen Führung. Finden das denn jetzt alle toll, was die da machen?

    Shi Ming: Nein, natürlich nicht. Wie gesagt, diese Kampagne begann vor zwei Jahren in Chongqing und auch schon damals gab es sogar aus der Führungsetage der kommunistischen Partei misstrauische Töne. Es gibt auch jetzt noch in süd-chinesischen Internet-Medien Analysen, die verlangen, eine zweite Kulturrevolution zu verhindern. Die kritischen Intellektuellen sind alarmiert.

    Novy: Auch innerhalb der Partei?

    Shi Ming: Auch innerhalb der Partei. Auch deswegen passierte etwas, was ganz merkwürdig ist, nämlich es gibt jetzt eine Liste von 36 roten Liedern, die landesweit gesungen werden sollten. Nur auf der Liste dieser roten Lieder sind die sogenannten Hardcore-Revolutionslieder alle verschwunden. Die Internationale findet sich nicht mehr dort, die Nationalhymne nicht mehr, die Lobeshymne auf Mao Zedong aus der Kulturrevolution nicht, nicht einmal ein Lied, das eigentlich allgemeine Binsenweisheiten des Marxismus aussagt, nämlich "wir Arbeiterklasse haben Kraft".

    Novy: Insgesamt macht diese ganze Kampagne eher den Eindruck von Hilflosigkeit. Steht also dahinter eine Schwäche der politischen Führung?

    Shi Ming: Ja. Das ist eindeutig zu lesen, dass diese Schwäche nicht nur existiert, sondern sich auch immer klarer offenbart. Denn bislang ist es ja so, wenn die Partei auch nur vermeintlich Einheit zeigt, dass das Land einigermaßen wie auch immer zu beruhigen ist. Wenn man zum Beispiel Ai Weiwei verhaftet, wenn man die Rote-Lieder-Kultur ungebremst zulässt, dann würde jeder Chinese wissen, wohin fährt der Zug. Aber wenn die Partei schon bei der Liste von roten Liedern solche Eigenzensur einführt, dann würde jeder sagen, ja was ist heute noch rot. Und das ermutigt auch wiederum die Kritiker, die jetzt im Internet zu Wort sich melden und sagen, auf gar keinen Fall wollen wir eine zweite Kulturrevolution, die Zeit in China lautet die Zeit des Vermögens, des Reichtums, des Wohlstandes, nicht der armen Kulturrevolution. Solche Kommentare leisten sich die Internet-Blogger, ohne die Angst, dass sie zensiert werden. Das zeigt natürlich auch ihre innerliche Bereitschaft, sehr viel zu riskieren gegen einen angeblich von der Partei beschlossenen Kurs.

    Novy: So ist die Schwäche der einen die Stärke der anderen. Das war Shi Ming.