Ulrike Burgwinkel: "Hauptschule am Ende - ein Nachruf", so heißt das Buc, der Autor Ernst Rösner, Schulforscher an der Uni Dortmund. Guten Tag, Herr Rösner.
Ernst Rösner: Guten Tag.
Burgwinkel: Herr Rösner - ein Nachruf. Das bedeutet doch irgendwo, dass die Hauptschule nicht mehr zu retten ist, oder?
Rösner: Genau das ist damit gemeint. Die Hauptschule ist perspektivisch nicht zu retten, und so war auch der Titel zu verstehen.
Burgwinkel: Sollte man sie deswegen abschaffen? Es sind doch immerhin, sagen wir mal, rund 150.000 Schüler an diesen Schulen und es gibt immer noch 5000 in Deutschland.
Rösner: Ja, es gibt viel mehr als 150.000: Es kommen jedes Jahr fast 150.000 neue dazu, das ist das Problem. Das heißt, man schickt 150.000 Kinder in einen Bildungsgang, dessen Abschluss keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt mehr vermittelt. Und das ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Dem muss man sich stellen, und deshalb plädiere ich dafür, die bestehenden Hauptschulen so gut wie möglich zu fördern und auszustatten, aber gleichzeitig keine neuen Jahrgänge mehr mit Hauptschülern zu bilden und damit die Schule geordnet auslaufen zu lassen.
Burgwinkel: Und welche Schulen sollen denn dann die Schüler besuchen, also, was ist ihre Vorstellung, was ist die Alternative für diese Kinder?
Rösner: Es gibt mehrere Alternativen, mehrere Handlungsmöglichkeiten in der schulpolitischen Diskussion. Die traditionelle Alternative heißt integrierte Gesamtschule. Die erfreut sich dort, wo es sie gibt, einer stark wachsenden Beliebtheit. Die alte Dämonisierung dieser Schule als sozialistische Einheitsschule verfängt offenbar nicht mehr. Es gibt weitaus mehr Anmeldungen, als Plätze in den Schulen zur Verfügung stehen. Trotzdem ist diese Schule nicht überall konsensfähig, politisch konsensfähig, da wirken die alten Konflikte offenbar noch nach. Also muss man sich auch über was anderes verständigen. Die andere Möglichkeit lautet: Konzept Gemeinschaftsschule. Dieses Konzept habe ich 2004 für das Land Schleswig-Holstein erarbeitet und dieses ist offensichtlich sehr erfolgreich. Es können gar nicht so viele Schulen genehmigt werden, wie beantragt werden. Und das ist auch eine gemeinsame Schule, die aber nicht zwingend integrativ arbeiten muss, wie es eine integrierte Gesamtschule macht, die hat mehr Gestaltungsspielräume. Und die dritte Variante ist die, die im Augenblick in Hamburg diskutiert wird, aber auch schon in Berlin ins Gespräch gebracht wird, das ist ein zweigliedriges Schulsystem: auf der einen Seite das Gymnasium und auf der anderen Seite eine Schule, die alles zusammenfasst, was nicht gymnasial ist. In Hamburg heißt diese Schule Stadtteilschule. In jedem Fall zielen alle darauf ab, dass es keinen eigenständigen Hauptschulbildungsgang mehr gibt, denn der ist fatal und der führt ins Abseits.
Burgwinkel: Die drei Vorschläge, die Sie uns jetzt skizziert haben, würden allerdings auch dringend eine Reform der Lehrerausbildung nach sich ziehen. Es ist in manchen Ländern ja auch die Ausbildung noch dreigegliedert.
Rösner: Richtig, da haben Sie völlig Recht, und deshalb ist es auch nach meiner festen Überzeugung nur ein erster Schritt, über andere Strukturen nachzudenken. Wenn man eine richtige Reform im Schulwesen erreichen will, und zwar nach dem Vorbild des erfolgreichen Auslandes, dann muss man über den Unterricht nachdenken, dann muss man über die Schulformen nachdenken und gewiss auch über die Lehrerausbildung. Da haben Sie völlig Recht.
Burgwinkel: Wie sollte die denn aussehen? Sollte es dann nur noch eine Einheitslehrerausbildung geben oder mit Bachelor und Master? Sollte sich das damit irgendwie vertragen?
Rösner: Das sollte sich in jedem Fall vertragen können, da sehe ich überhaupt keine grundsätzlichen Schwierigkeiten. Ich denke, wir brauchen eine stärkere Orientierung am Stufenprinzip, das heißt also, Lehrerinnen und Lehrer sollten ausgebildet werden für Grundschule, für die Sekundarstufe I, und man kann jeweils ja auch noch optional was draufsatteln. Ich fände es zum Beispiel gut, wenn es sich überlappende Lehrämter gäbe, also Jahrgangsstufe 1 bis 6 und Jahrgangsstufe 4 bis 10 respektive 13. Dann hätte man mehr Flexibilität beim Einsatz der Lehrkräfte aus den Grundschulen auch in den ersten Jahrgängen der Sekundarstufe I. Und das zweite, was ungeheuer wichtig ist, ist, dass Lehrerinnen und Lehrer lernen, wie man mit leistungsgemischten Gruppen arbeitet, das heißt, individuelle Förderung macht von Kindern, die auf der einen Seite stark sind und auf der anderen Seite eben Schwächen zeigen, und dieses gemeinsam produktiv zu machen für erfolgreichen Unterricht für beide Seiten, das ist eigentlich die ganz große Herausforderung an eine neue Lehrerausbildung in Deutschland. Ich müsste genauer sagen, in Westdeutschland, denn in Ostdeutschland können die Lehrkräfte das, wenn die noch aus der alten Ausbildung kommen.
Burgwinkel: Bei uns konnten sie das früher im Grunde genommen auch, nämlich interne Differenzierung gab es ja auch in den ganzen - früher hieß es Volksschulen, heute Grundschulen. Das ist ja nicht ungewöhnlich eigentlich.
Rösner: Richtig. Die Grundschule ist ja eigentlich die erste Gesamtschule, wenn man so will. Seit 1921 gibt es die, aber danach hat sich nicht mehr sehr viel getan, das ist die einzige richtig verbindliche Strukturreform, die alle erfasst hat. Gesamtschulen sind ja eigentlich, bei Licht gesehen, keine echten Gesamtschulen, wie sie mal konzipiert worden sind, nämlich als ersetzende Schule, wie es im Ausland der Fall ist, sondern wir haben sie als ergänzende Schule in Deutschland, und das bringt viele Probleme für beide Seiten - sowohl für Gesamtschulen wie auch für die Schulen des gegliederten Schulsystems.
Literatur
Das Buch "Hauptschule am Ende" des Schulforschers Ernst Rösner ist im Wachsmann-Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.
Ernst Rösner: Guten Tag.
Burgwinkel: Herr Rösner - ein Nachruf. Das bedeutet doch irgendwo, dass die Hauptschule nicht mehr zu retten ist, oder?
Rösner: Genau das ist damit gemeint. Die Hauptschule ist perspektivisch nicht zu retten, und so war auch der Titel zu verstehen.
Burgwinkel: Sollte man sie deswegen abschaffen? Es sind doch immerhin, sagen wir mal, rund 150.000 Schüler an diesen Schulen und es gibt immer noch 5000 in Deutschland.
Rösner: Ja, es gibt viel mehr als 150.000: Es kommen jedes Jahr fast 150.000 neue dazu, das ist das Problem. Das heißt, man schickt 150.000 Kinder in einen Bildungsgang, dessen Abschluss keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt mehr vermittelt. Und das ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Dem muss man sich stellen, und deshalb plädiere ich dafür, die bestehenden Hauptschulen so gut wie möglich zu fördern und auszustatten, aber gleichzeitig keine neuen Jahrgänge mehr mit Hauptschülern zu bilden und damit die Schule geordnet auslaufen zu lassen.
Burgwinkel: Und welche Schulen sollen denn dann die Schüler besuchen, also, was ist ihre Vorstellung, was ist die Alternative für diese Kinder?
Rösner: Es gibt mehrere Alternativen, mehrere Handlungsmöglichkeiten in der schulpolitischen Diskussion. Die traditionelle Alternative heißt integrierte Gesamtschule. Die erfreut sich dort, wo es sie gibt, einer stark wachsenden Beliebtheit. Die alte Dämonisierung dieser Schule als sozialistische Einheitsschule verfängt offenbar nicht mehr. Es gibt weitaus mehr Anmeldungen, als Plätze in den Schulen zur Verfügung stehen. Trotzdem ist diese Schule nicht überall konsensfähig, politisch konsensfähig, da wirken die alten Konflikte offenbar noch nach. Also muss man sich auch über was anderes verständigen. Die andere Möglichkeit lautet: Konzept Gemeinschaftsschule. Dieses Konzept habe ich 2004 für das Land Schleswig-Holstein erarbeitet und dieses ist offensichtlich sehr erfolgreich. Es können gar nicht so viele Schulen genehmigt werden, wie beantragt werden. Und das ist auch eine gemeinsame Schule, die aber nicht zwingend integrativ arbeiten muss, wie es eine integrierte Gesamtschule macht, die hat mehr Gestaltungsspielräume. Und die dritte Variante ist die, die im Augenblick in Hamburg diskutiert wird, aber auch schon in Berlin ins Gespräch gebracht wird, das ist ein zweigliedriges Schulsystem: auf der einen Seite das Gymnasium und auf der anderen Seite eine Schule, die alles zusammenfasst, was nicht gymnasial ist. In Hamburg heißt diese Schule Stadtteilschule. In jedem Fall zielen alle darauf ab, dass es keinen eigenständigen Hauptschulbildungsgang mehr gibt, denn der ist fatal und der führt ins Abseits.
Burgwinkel: Die drei Vorschläge, die Sie uns jetzt skizziert haben, würden allerdings auch dringend eine Reform der Lehrerausbildung nach sich ziehen. Es ist in manchen Ländern ja auch die Ausbildung noch dreigegliedert.
Rösner: Richtig, da haben Sie völlig Recht, und deshalb ist es auch nach meiner festen Überzeugung nur ein erster Schritt, über andere Strukturen nachzudenken. Wenn man eine richtige Reform im Schulwesen erreichen will, und zwar nach dem Vorbild des erfolgreichen Auslandes, dann muss man über den Unterricht nachdenken, dann muss man über die Schulformen nachdenken und gewiss auch über die Lehrerausbildung. Da haben Sie völlig Recht.
Burgwinkel: Wie sollte die denn aussehen? Sollte es dann nur noch eine Einheitslehrerausbildung geben oder mit Bachelor und Master? Sollte sich das damit irgendwie vertragen?
Rösner: Das sollte sich in jedem Fall vertragen können, da sehe ich überhaupt keine grundsätzlichen Schwierigkeiten. Ich denke, wir brauchen eine stärkere Orientierung am Stufenprinzip, das heißt also, Lehrerinnen und Lehrer sollten ausgebildet werden für Grundschule, für die Sekundarstufe I, und man kann jeweils ja auch noch optional was draufsatteln. Ich fände es zum Beispiel gut, wenn es sich überlappende Lehrämter gäbe, also Jahrgangsstufe 1 bis 6 und Jahrgangsstufe 4 bis 10 respektive 13. Dann hätte man mehr Flexibilität beim Einsatz der Lehrkräfte aus den Grundschulen auch in den ersten Jahrgängen der Sekundarstufe I. Und das zweite, was ungeheuer wichtig ist, ist, dass Lehrerinnen und Lehrer lernen, wie man mit leistungsgemischten Gruppen arbeitet, das heißt, individuelle Förderung macht von Kindern, die auf der einen Seite stark sind und auf der anderen Seite eben Schwächen zeigen, und dieses gemeinsam produktiv zu machen für erfolgreichen Unterricht für beide Seiten, das ist eigentlich die ganz große Herausforderung an eine neue Lehrerausbildung in Deutschland. Ich müsste genauer sagen, in Westdeutschland, denn in Ostdeutschland können die Lehrkräfte das, wenn die noch aus der alten Ausbildung kommen.
Burgwinkel: Bei uns konnten sie das früher im Grunde genommen auch, nämlich interne Differenzierung gab es ja auch in den ganzen - früher hieß es Volksschulen, heute Grundschulen. Das ist ja nicht ungewöhnlich eigentlich.
Rösner: Richtig. Die Grundschule ist ja eigentlich die erste Gesamtschule, wenn man so will. Seit 1921 gibt es die, aber danach hat sich nicht mehr sehr viel getan, das ist die einzige richtig verbindliche Strukturreform, die alle erfasst hat. Gesamtschulen sind ja eigentlich, bei Licht gesehen, keine echten Gesamtschulen, wie sie mal konzipiert worden sind, nämlich als ersetzende Schule, wie es im Ausland der Fall ist, sondern wir haben sie als ergänzende Schule in Deutschland, und das bringt viele Probleme für beide Seiten - sowohl für Gesamtschulen wie auch für die Schulen des gegliederten Schulsystems.
Literatur
Das Buch "Hauptschule am Ende" des Schulforschers Ernst Rösner ist im Wachsmann-Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.