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"Die Haut, in der ich wohne"

Ein Schönheitschirurg will seine verstorbene Frau in einem anderen Körper rekonstruieren: Der neue Film von Pedro Almodóvar ist eine schrille Mischung aus Thriller, Horror und Melodram. In Erinnerung bleibt vor allem Antonio Banderas als innerlich zerrissener Arzt.

Von Rüdiger Suchsland | 15.10.2011
    Es ist ziemlich schwer, und in gewisser Weise unmöglich, etwas über diesen Film zu sagen, ohne seinen Hauptplot zu verraten. Trotzdem wollen wir es in diesem Fall einmal versuchen, denn das neue Werk des spanischen Autorenfilmers Pedro Almodóvar ist ein Film, den man von diesem Mann als Allerletztes erwartet hätte: Ein rasanter, dabei ungemein geistreicher Thriller, der den Zuschauer packt und bis zum Ende gefesselt hält, der amüsiert und überrascht, der Suspense und puren Schrecken vereint, ein bisschen "Frenzy" und eine Menge "Psycho", vor allem aber sehr viel "Vertigo" - mit anderen Worten: Almodóvars ganz persönliche Version eines Hitchcock-Filmes.

    Zugleich ist dies aber, und zwar unverkennbar von den ersten Sekunden an, purer Almodóvar: Barock, pathetisch, verspielt, überladen, ein Beispiel experimentellen Filmemachens, ein Kino, das sich ausprobiert und unverblümt sucht, gerade weil sich dieser Filmemacher seiner Mittel ganz und gar gewiss ist.

    Aber worum geht es überhaupt in "La Piel que habito" ("Die Haut, die ich bewohne")?

    Alles beginnt mit einer sehr schönen jungen Frau. Sie lebt in einem abgeschlossenen Areal in einem Privathaus, und bald begreifen wir: Dieser Ort ist zugleich Schutzraum und Gefängnis. Der Arzt, der sie behandelt, heißt Roberto und ist ein berühmter Schönheitschirurg. Es ist - unter anderem - auch ein sehr guter Besetzungswitz, diese Rolle des Schönheitschirurgen mit Antonio Banderas zu besetzen, einem der schönsten Männer des europäischen Kinos und einem vertrauten Weggefährten Almodóvars aus den 80er Jahren, als der Regisseur der Star der "Movida" von Madrid und der aufblühenden, frisch aus den Bleikammern des Franco-Faschismus befreiten Spaniens war. Erstmals seit 21 Jahren drehten beide jetzt wieder miteinander.

    Robertos Frau hat vor Jahren bei einem schrecklichen Unfall verheerende Brandwunden erlitten. Ganz allmählich nur richtet er sie nun her. Dafür schreckt Roberto vor keinem Experiment und Bruch mit ärztlicher Ethik zurück: Künstlich gewachsene Haut wird verpflanzt, Blut von Tieren ebenso verwendet, wie Schweinezellen - geliefert aus Deutschland. Er selbst hält zuhause Bienen, Schaben und Käfer, raucht Opium - das alles sind Passagen, in denen der Film minutenlang an ein Werk des kanadischen Horror-Intellektuellen David Cronenberg erinnert.

    Von "Mutation" und "Transgenesis" ist die Rede - und der Zuschauer fragt sich: Wie viel hat dieses Wesen, das in edlen Räumen zwar wunderschön anzusehen, aber traurig, selbstmordgefährdet und irgendwie "anders" vor sich hinlebt, überhaupt mit Robertos Frau gemeinsam?

    Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass die Eingriffe des Arztes noch viel weiter gehen - trotzdem ist dies, was beginnt wie eine moderne Variation des Doktor-Frankenstein-Mythos, nicht so sehr ein Thriller über die Hybris der Wissenschaft, sondern vor allem ein Melodram auf den Spuren von Hitchcocks "Vertigo": Auch hier geht es um einen Mann, der seine Frau verloren hat, und nun eine künstliche Frau nach seinen Vorstellungen gestaltet.

    Wie immer bei Almodóvar ist das nicht nur klug und thematisch äußerst reichhaltig, sondern auch überaus schön anzusehen: Offen bekennt sich der Spanier zu Einflüssen von Tizian und Louise Bourgeois, dem Modeschöpfer Gaultier und dem Genetiker Richard Dawkins.

    Offen spielt Almodóvar auch mit dem ästhetischen Arsenal des Fetischismus in diversen Variationen. Fast alle Menschen haben hier mehr als eine Haut, und man denkt hier weniger an das rotblaue Spinnenkostüm eines Spiderman oder Batmans Lack- und Lederoutfits, als an diese spezielle Art von Sexspielen, die um Kleidung in Form von zweiten Häuten kreisen, in Form von hautengen Leder- und Gummianzügen, über Ganzkörperstrumpfhosen bis hin zu Pseudo-Tierhäuten, die wir auch aus Filmklassikern wie "Cat People" kennen.

    "Die Haut, die ich bewohne", basiert übrigens auf dem Roman "Mygale" des französischen Kriminalautors Thierry Jonquet, wurde aber gegenüber der Vorlage stark verändert - Almodóvar erzählt keinen Krimi, sondern eine sich überkreuzende, intime Rachegeschichte und eine Film-Version der Herr-Knecht-Dialektik

    Ein Film, der auf hohem künstlerischen Niveau Mut und Risikobereitschaft zeigt, und der um Almodóvars Lieblingsthemen Macht und Begierde, Geschlechtsidentität und Sadomasochismus. "Die Haut, die ich bewohne" ist sein starkes Comeback nach etwas schwächeren Werken.